Essen. Urenkel von Edward VII.? Das neue Buch „Gebt mir etwas Zeit“ vertieft sich heiter plaudernd in Ahnenforschung und die Jugend Kerkelings.
Wir haben es ja immer geahnt: In den Adern von Hape Kerkeling fließt auch der ein oder andere Tropfen blaues Blut. Wie sonst hätte er in seiner Parade-Nummer als Königin Beatrix der Niederlande so überzeugend wirken können? Treue Fans werden sich auch an die Fernsehposse „Willi und die Winzors“ erinnern, in der Kerkeling aus einer kleinbürgerlichen Nebenlinie am Ende auf dem britischen Thron landet... Aber wer wäre darauf gekommen, dass er tatsächlich ein Urenkel des britischen Königs Edward VII. sein soll? Und nach eigener Schätzung in etwa auf Platz 111 bei der britischen Thronfolge stehen soll, gleich hinter dem norwegischen Königshaus. Die hier und dort etwas luftige Indizienkette dafür präsentiert unser aller Herzbube aus Recklinghausen in seinem neuen Buch „Gebt mir etwas Zeit“, das heute erscheint.
Der Anfang von Kerkelings Recherchen liegt nicht so sehr in seiner Jugend, in der er sich bekanntermaßen leidenschaftlich in die Adelspostillen seiner Großmutter Bertha vertiefte, sondern im gesellschaftlichen Stillstand der Corona-Pandemie. Die erzwungene Tatenlosigkeit brachte Kerkeling in einem der vielen Lockdowns auf die Idee, in ein Plastikröhrchen zu spucken und es zur Gen-Analyse nach Texas zu schicken. Das Ergebnis: 4000 lebende genetische Verwandte rund um die Welt, die meisten in den USA, aber auch in ganz Europa, wenn man vom Vatikan einmal absieht. Und Hans-Peter Kerkeling ist zu 68 Prozent Skandinavier, zu 14 Prozent britisch, zu 13 balkanisch und zu vier Prozent italienisch.
Für „Gebt mir etwas Zeit“ recherchierte Hape Kerkeling drei Jahre lang in Archiven
Drei Jahre lang hat Kerkeling dann das Internet und einige Archive durchforstet, sich durch Ahnentafeln gekämpft, historische Literatur gewälzt. Hat sich immer heftiger in die Erforschung seines Stammbaums vertieft. Nun ist es ja so, dass Ahnenforschung immer am meisten diejenigen interessiert, die sie betreiben. Hape Kerkeling scheint das zu ahnen und kleidet deshalb die Ergebnisse seiner Recherchen für sein neues Buch „Gebt mir etwas Zeit“ in drei verschiedene Erzählstränge.
„Gebt mir etwas Zeit“: Hape Kerkeling wollte bloß nicht „eins auf die Fresse“ bekommen
Der eine ist seine eigene Jugend vom Besuch des sechsjährigen Hape in Amsterdam, wo er nie wieder wegwill, schon gar nicht zurück in die „Runkelrübenidylle von Hochlarmark“, bis zum Aids-Tod seines ersten Geliebten Duncan in den Niederlanden, den er als überirdisch schön beschreibt und in einem Schwulen-Club an der Amstel kennenlernt. Hier erfahren wir, dass der junge Hape sein Lustigsein nicht nur als Strategie gegen die Depressionen seiner Mutter entwickelt hat. Sondern auch, um nicht „ordentlich eins auf die Fresse“ zu bekommen, wie es bei der Revier-Jugend üblich ist, wenn man „scheu, lieb oder neunmalklug“ ist.
Hape Kerkeling wurde 1985 beim WDR hinausgemobbt
Hier erfahren wir auch, dass der junge Hape, der 1985 mit gerade mal 20 seine erste ARD-Abendshow bekam („Känguru“), zwei Jahre später aus dem WDR hinausgemobbt wurde, als sich herumgesprochen hatte, dass er schwul ist. Nachdem man ihm eine Schein-Beziehung zu einer Frau nahegelegt hatte. Was für eine große Strecke in Sachen Liberalität und Gleichberechtigung wir seither zurückgelegt haben, vergisst man allzu leicht. Dass Kerkeling 1991 gegen seinen Willen vom Filmemacher Rosa von Praunheim zusammen mit Alfred Biolek geoutet wurde, war vielleicht ein Anfang dieses Wegs, der über Klaus Wowereits „Und das ist auch gut so!“ bis zur Ehe für alle führte. Die 80er jedenfalls waren ein fürchterlich verdruckstes Dauerverstecken, Verleugnen, Ängstigen. Und Hape hatte dazu noch eine Höllenpanik vor Aids.
Kerkelings zweiter Erzählstrang ist das „Goldene Zeitalter“ der Niederlande, in dem seine Vorfahren eine gewisse Rolle spielten und ihren Namen immer mal anders schrieben: Kerkelingh, Cerckenringh, Kerckerlinkx, Kerklaan oder Kerman. Dazu hat sich der Mann, der schon so vieles aus seinem Leben in Bücher gegossen hat, viele Detailkenntnisse zum Alltag der Seefahrt und Handel treibenden Niederländer draufgeschafft – Zitate des klugen Philosophen Baruch de Spinoza inklusive. Und über einem der Häuser seiner Sippe an der Amsterdamer Herengracht fand Hape dann auch den Titel des Buchs: „Geeft wat tyt“. 1695 wanderte dann ein Heijndrik Harmensz Kerkelinck ins Münsterland aus.
Steckte Hape Kerkelings Uroma mit Edward VII. unter einer Decke?
Hier wie auch im dritten Erzählstrang lässt der plaudernde Erfolgsautor („Ich bin dann mal weg“, „Pfoten vom Tisch“) seine üppige Fantasie in schillernden Farben aufblühen. Dazu malt er sich dann ein folgenreiches, aber nicht beweisbares Zusammentreffen des englischen Königs Eduard VII. im Jahr 1903 mit der böhmischen Porzellanfabrikarbeiterin Agnes Sattler aus (die nachweisbar Kerkelings Uroma ist). Dass sie ihre Tochter Bertha nennt (um auf Edward VII. „bürgerlichen“ Namen Albert von Coburg anzuspielen), hält Kerkeling für einen Beweis für die Verwandtschaft, weil der Name in dieser Zeit selten sei. Ein sehr gewolltes Indiz: Kurz vor Berthas Geburt war es mehrfach der häufigste Mädchenname des Jahres in Deutschland.
Ein überaus lesenswertes Extra-Kapitel ist zudem Kerkelings Großvater gewidmet, der als katholischer Kommunist von 1933 bis 1945 in NS-Konzentrationslagern gequält wurde.
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Dass Kerkeling gelegentlich zu Wiederholungen, oft zum bunten Ausschmücken und stets zu Scherz, Satire, Ironie und schieferer Bedeutung neigt, wird dem Erfolg des Buchs keinen Abbruch tun. Und der autobiografische Teil endet ja etwa im Jahr 1990. Da kommt noch was auf uns zu!