Dortmund. Einst waren die Briten überall im Ruhrgebiet präsent. Der Abzug der Rheinarmee hat Lücken hinterlassen – die oft erfolgreich geschlossen wurden.

Das Bild wirkt nicht erst seit dem Tod von Queen Elizabeth II. wie aus der Zeit gefallen: Die Monarchin nimmt im Militärjeep eine Parade ab, mitten in Dortmund. Die Kanonenrohre bilden ein Dach, die Truppen stehen Spalier, Elizabeth als Ehren-Oberst verweilt zwei Tage, um sich vom soldatischen Treiben im Ruhrgebiet einen Eindruck zu verschaffen. Was für ein Spektakel – und doch nicht außergewöhnlich für die Zeit des Kalten Kriegs.

Man schrieb den 23. Mai 1984, als die Queen kam. Und natürlich war damals die Britische Rheinarmee noch an zahlreichen Standorten in Nordrhein-Westfalen stationiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Soldaten zunächst zur Unterstützung der britischen Militärregierung in der britischen Besatzungszone verblieben, eine sinnvolle Einrichtung.

Queen lobt „wunderbaren“ Golf-Club in Dortmund

Auch, weil die junge Republik ja noch nicht wieder über eine eigene Armee verfügte, denn die Bundeswehr wurde ja erst Ende der 50er-Jahre nach langen politischen Debatten über die Wiederbewaffnung aufgebaut. Und in Europa standen sich auf den beiden Seiten des Eisernen Vorhangs Nato und Warschauer Pakt gegenüber – und schürten zunehmend die Angst vor einem Atomkrieg.

Vom Besuch der Queen erzählt man sich, dass sie auch den damaligen „Royal Artillery And Dortmund Garrison Golf Club“ in Augenschein nahm, den „wonderful golf course“ lobte und eine Garten-Party mit dem obligatorischen Tässchen Tee feierte. Den Parcours gibt es heute noch als Royal Saint Barbara’s Dortmund Golf Club.

Imposanter Empfang für die Queen. Sie besuchte 1984 ihre Truppen in Dortmund.
Imposanter Empfang für die Queen. Sie besuchte 1984 ihre Truppen in Dortmund. © WR | Bodo GOEKE

Die Briten waren an zig Stellen präsent, so in den oben erwähnten Napier Barracks in Dortmund, wo es auch die West Riding/Moore-, Ubique- und Redesdale-Barracks gab; in Mülheim exerzierten die Briten in den Wrexham Barracks am Witthausbusch; die Duisburger Glamorgan Barracks in Wanheim erlangten im Jahr 1988 sogar traurige Schlagzeilen-Bekanntheit, weil hier die Irisch-Republikanische Armee (IRA) einen Anschlag verübte, bei dem neun Soldaten verletzt wurden.

Gütersloh, Bielefeld Paderborn und nicht zuletzt die Joint Headquarters in Mönchengladbach-Rheindahlen waren Stützpunkte der Briten. Und bis zur Auflösung der Britischen Rheinarmee 1994 und dem darauf folgenden langfristigen Abzug der Streitkräfte, wurden die britischen Soldaten längst nicht mehr als Besatzungstruppen angesehen, sondern als Verbündete und Freunde. Schon in den 1960er-Jahren berichtete die ARD angesichts eines angekündigten Abzugs aus mehreren Garnisonsstädten.

Ruhrgebiets-Kinder lernten dank Soldatensender Englisch

Es ließen sich damals kaum britische Soldaten finden, die langfristig wieder zurückkehren wollten ins Vereinigte Königreich, viele hatten hier Frauen gefunden, Kinder bekommen und fühlten sich recht wohl in dem Land, das sie im Zweiten Weltkrieg noch bekämpft hatten. Die Kasernen selbst waren zwar ziemlich abgeschottet, hinter Stacheldrahtzäunen wurde der britische Lebensstil gepflegt, doch waren die Soldaten außerhalb dieser Mauern natürlich auch daran interessiert, Land und Leute kennenzulernen.

Ohnehin waren die britischen Streitkräfte längst bis in die Kinder- und Jugendzimmer in ganz NRW vorgerückt: Der Soldatensender BFBS sendete auf UKW – und verbreitete (neben Meldungen aus dem militärischen Alltagsleben) vor allem britische Popmusik und Nachrichten unter allen, die es hören wollten. Musikalisch war das exzellent anzuhören, die Moderationen waren locker und humorvoll auf hohem Niveau.

Hier waren einst die Napier Barracks der Britischen Rheinarmee in Dortmund.
Hier waren einst die Napier Barracks der Britischen Rheinarmee in Dortmund. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Und viele Jugendliche lernten durch Zuhören und Imitieren ziemlich passabel Englisch. Auch wenn die meisten bis heute nicht wissen, was denn nun der Name der Versorgungseinrichtung NAAFI (Navy, Army and Air Force Institutes) bedeutet – und einige die RAF (Royal Air Force) mit der damals leider in Deutschland aktiven Rote Armee Fraktion durcheinanderwürfelten.

Der Rückzug der britischen Truppen brauchte seine Zeit, erst im Februar 2020 waren die letzten Kampftruppen aus Deutschland abgezogen. Von den einst 50.000 Soldaten sind nur etwa 250 Militärangehörige und Zivilbeamte auf dem Truppenübungsplatz Senne nördlich von Paderborn verblieben. Und immer wieder flammen Diskussionen auf, ob die Truppen nicht nach Gütersloh zurückkehren sollen. Aber gerade bei Lokalpolitikern treffen diese Pläne nicht gerade auf Gegenliebe, was gar nicht so sehr mit der Militärpräsenz zu tun hat.

Britische Kasernen werden zu beliebten Standorten im Ruhrgebiet

Denn längst haben Stadt- und Projektentwickler die ehemaligen Kasernengelände als attraktive Grundstücke ausgemacht, so etwa die Dortmunder Stadtkrone Ost, wo nun statt britischen Barracks unter anderem die ADAC-Hauptverwaltung Westfalen steht, dazu eine neue Filiale der Bundesbank, nicht zuletzt 600 Einfamilienhäuser und Etagenwohnungen, Restaurants, ein Hotel, ein Gymnasium… Wo einst 3250 britische Soldaten dienten wurden bis heute 3500 neue Arbeitsplätze geschaffen. Und wo damals die Napier Barracks standen, ist heute außer dem erwähnten Golfplatz übrigens das Trainingsgelände für Borussia Dortmund.

Die Lücken, die der Abzug der britischen Truppen gelassen hat, werden immer weniger – und so auch das Bewusstsein dafür, dass sie einst in unserer Region präsent waren. Wer sich nochmals daran erinnern möchte, kann natürlich noch einmal Radio hören. Der Soldatensender BFBS Radio 1 Germany funkt zwar längst nur noch in Ostwestfalen auf UKW, ist aber natürlich von überall aus als Internet-Radio zu empfangen. Und vielleicht wird manches ja jetzt auch verständlicher, wo man endlich weiß, was NAAFI bedeutet…

Weitere Texte aus dem Ressort Wochenende finden Sie hier: