Essen. Mit „Nur noch kurz die Welt retten“ bescherte Tim Bendzko der Popwelt einen Riesenhit. Im Interview spricht er über sein neues Album „April“.
Als Tim Bendzko 2011 mit seinem unverwüstlichen Gassenhauer „Nur noch kurz die Welt retten“ die Popwelt durchschüttelte, war er Mitte zwanzig. Nun wird der Berliner, der in der Nähe von Potsdam lebt, am 9. April 38 Jahre alt, hat einen kleinen Sohn und gibt sich auf seinem neuen Album „April“ bei aller Unbeschwertheit zuweilen auch ziemlich nachdenklich. Wir unterhielten uns mit Tim Bendzko am Telefon.
„April“ heißt nicht nur so, es ist auch musikalisch ein absolutes Frühlingsalbum. War es dein Plan, mit den neuen Songs gewissermaßen die Fenster aufzumachen und die Sonne reinzulassen?
Tim Bendzko: Ja, mir lag es total am Herzen, ein positives und lebensfreudiges Album zu machen. Der rote Faden ist wirklich der, dass die Songs, wie wir Musiker immer so schön sagen, nach vorne gehen und mit einer gewissen Leichtigkeit daherkommen.
Weil das Leben an sich schon schwer genug ist?
Weil es höchste Zeit für Aufbruchstimmung und gute Laune ist. Die vergangenen Jahre waren geprägt von Chaos, Unheil und einem ziemlichen Hin und Her aus Hoffnung und Rückschlägen. Ich wollte ein Album aufnehmen, dass voller frischer Kraft und Energie steckt und das einen Neuanfang markiert. Zudem bin ich im April geboren.
In „Das Glück kommt zurück“ sprichst du vom halbvollen Glas, ein anderes Lied heißt „Das Leben wieder lieben“. Bist du generell ein Mensch, der sich nicht unterkriegen lässt und der sich immer seinen Optimismus bewahrt?
Ich denke, dass in jedem Ereignis auch etwas Gutes steckt. Wenn Dinge schiefgehen, neige ich total dazu, daraus Energie zu schöpfen und mich neu aufzustellen. Ich gehöre zu den Menschen, die es richtig schön finden, neu anzufangen. Ich liebe es zum Beispiel, umzuziehen. Eine leere Wohnung oder ein leeres Haus zu haben und zu überlegen „Was mache ich daraus“, das ist für mich ein tolles Gefühl.
Bist du jemand, der immer irgendetwas zu tun haben muss?
Tatsächlich ja. Vor einigen Monaten habe ich zum Beispiel ein Carport gebaut. Das war das größte Gebäude, das ich bisher in meinem Leben errichtet habe. Handwerkliche Sachen mache ich sowieso am allerliebsten selbst, wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich jeden Tag irgendetwas bauen.
Fällt es dir schwer, einfach mal faul zu sein?
Ja, aber ich habe mir für dieses Jahr vorgenommen, weniger zu machen und mir auch ganz bewusst mal einen oder mehrere Tage zu gönnen, an denen ich gar nichts tue, weder privat noch beruflich. Als Selbstständiger hast du schnell ein schlechtes Gewissen, sobald du mal nicht arbeitest.
Bei mir kommt dazu, dass mir meine Arbeit auch wirklich viel Spaß macht. Trotzdem will ich lernen, dass es auch in Ordnung ist, einfach mal loszulassen.
Kürzlich war ich mit einem Freund in Barcelona, drei Tage lang, einfach so. Der Freund ist Fotograf, und wir hätten natürlich wieder irgendwelche Pressefotos machen können. Haben wir aber nicht. Sondern sind einfach drei, vier Tage wunderbar ziellos in dieser schönen Stadt herumgelaufen.
Als du 2011 mit „Nur noch kurz die Welt retten“ deinen ersten Riesenhit hattest, war deutschsprachige Musik im Radio extrem angesagt. Aktuell kann man stundenlang irgendeinen populären Radiosender hören, ohne dass ein einziges Lied in deutscher Sprache gespielt wird. Welche Folgen hat diese Flaute für deine Musik?
Mehr denn je kann ich jetzt Musik machen, weil mir das ein Bedürfnis ist. Und nicht, weil ich irgendwelche Erwartungen erfüllen muss oder möchte. Ich habe das Gefühl, sehr frei zu sein und die Songs veröffentlichen zu können, die ich selbst supergeil finde.
Ist es dennoch frustrierend, zumindest im Radio sein Publikum nicht mehr zu erreichen?
Mir kann keiner erzählen, dass es keinen Bedarf gibt für deutschsprachige Popmusik. Aber im Moment ist das halt nicht der Trend. Unter den ersten hundert der Jahrescharts war 2022 genreübergreifend kein einziger Titel in deutscher Sprache, obwohl Helene Fischer Konzerte vor bis zu 150.000 Leuten spielt.
Auf der anderen Seite spielen die sozialen Medien und das Streaming eine immer größere Rolle. Tanzt du deine Lieder schon auf TikTok?
Auch ich bin auf TikTok, aber nicht mit irgendwelchen Tänzen. Ich bin nicht überzeugt, dass das mit meiner Musik zusammenpasst, die ja bei allem Spaß auch eine gewisse Ernsthaftigkeit hat. Durch das Streaming ist tatsächlich vieles anders geworden. Früher, zu Anfang meiner Karriere, gab es die eine große Single, die im besten Fall ein Hit wurde und das Album getragen hat. Jetzt hast du den Eindruck, alle zwei Wochen einen neuen Song posten zu müssen, und selbst das ist noch zu wenig.
Das Songschreiben funktioniert bei mir aber nicht wie ein „9 to 5“-Job, sondern aus dem inneren Bedürfnis heraus, Dinge zu verarbeiten oder zu strukturieren. Die Songs des „April“-Albums sind innerhalb von zweieinhalb Jahren entstanden. Ich finde es superschade, wie inflationär heute Musik gemacht und veröffentlicht wird. Gerade für kleine und mittelgroße Künstlerinnen und Künstler ist es wirtschaftlich trotz allem fast unmöglich, auch nur die Produktionskosten durch Streaming einzuspielen.
In „Parallelwelt“ geht es um die vielzitierte Spaltung der Gesellschaft. Wie erlebst du dieses Auseinanderdriften?
Ich höre immer wieder Geschichten von Menschen, auch in meinem Umfeld, die ich nicht mehr nachvollziehen kann. Der Begriff „Parallelwelt“ ist wie ein geflügeltes Wort für mich geworden. Ich finde es nicht einfach, damit umzugehen, wenn man denkt, dieselbe Sprache zu sprechen, aber vollkommen aneinander vorbei zu reden. Das naheliegendste Beispiel ist die Querdenker-Bewegung.
„Phantomschmerz“ und „Geisterjagd“ sind Lieder, in denen du über deine Ängste sprichst. Hast du die gut im Griff?
Bis jetzt ja. Das Songschreiben hilft mir sehr, mich mit problematischen Gedanken auseinanderzusetzen und da auch wieder rauszufinden. Oft hält ein Song ein Gefühl fest, und dieses Gefühl wird dadurch für mich zu einem weniger großen Problem.
Überhaupt ist es eine meiner Hauptmotivationen beim Songschreiben, mich mit Dingen auseinanderzusetzen, die mich beschäftigen oder bedrücken. „Phantomschmerz“ etwa handelt von dem ganz schlimmen Gefühl, mir vorzustellen, was wäre, wenn einem Menschen, den ich liebe, etwas passieren würde. Gerade seitdem ich Vater geworden bin, bewegen sich meine Verlustängste auf einem ganz anderen Level.
Dein Sohn ist jetzt drei. Wie hat sich dein Leben durch ihn verändert?
Neben den vielen anderen tollen Dingen am Vatersein hat sich vor allem meine Motivation verändert. Plötzlich tue ich das, was ich tue, nicht mehr nur für mich, sondern für meine Familie.
Als Musiker habe ich das Zehnfache von dem erreicht, was ich mir irgendwann mal ausgemalt hatte. Ich merke, dass ich nach zwölf Jahren Karriere mehr zurück als nach vorne schaue. Ein Kind zu haben und diesem Kind auch etwas bieten und zeigen zu wollen, gibt mir neuen Antrieb.
„Wer rettet die Welt für mich“, stilecht mit Kinderchor, steht in der Tradition deines großen Klassikers „Nur noch kurz die Welt retten“. Frage also an den Experten: Wie weit sind wir denn mit der Weltrettung?
Deine Frage, die mir in Form von Nachrichten wie „Mensch, Tim, wolltest du nicht die Welt retten und wann fängst du damit an?“ jeden Tag gestellt wird, impliziert genau das Problem: Nämlich, dass wir alle glauben, jemand anderes werde die Rettung der Welt für uns übernehmen. Aber das wird nicht passieren. Wir alle wissen, was wir im kleinen Rahmen dazu beitragen können, und das letzte, was wir brauchen, ist irgendjemand, der schlaue Ratschläge gibt.
Der kleine Rahmen ist ja gut und schön. Ich kann mir ein Elektroauto kaufen, das Dach dämmen oder Wasser nur noch aus dem Kran trinken. Aber was wird denn wirklich mal entscheidend sein?
Ich setze mittelfristig auf Riesenfortschritte beim Thema „erneuerbare Energien“. Wir brauchen eine preiswerte Energiequelle, die der Umwelt nicht schadet. Es liegt an Wissenschaft und Wirtschaft, dieses Problem anzugehen und zu lösen.
Der Song selbst greift auch die eigenen Widersprüche auf: Du trennst daheim akribisch deinen Müll, aber dann fährst du bei vierzig Grad Außentemperatur in einem grotesken Einkaufszentrum in Dubai Ski.
Ja, niemand von uns ist perfekt, und ich rege mich wirklich darüber auf, wenn Menschen, die versuchen, die Welt ein bisschen grüner zu machen, trotzdem immer mit so einem „Ja, aber“ runtergemacht werden. Coldplay versuchen also, auf Tour möglichst wenig Müll zu produzieren? Ja, aber sie fliegen mit dem Privatjet zu ihren Konzerten. Diese Argumentation halte ich für eine absolute Katastrophe, denn sie bedeutet, dass wir nichts versuchen dürfen, weil es ja doch nie genug ist.
Ich selbst finde es toll und wichtig, wenn jemand den Mut hat, den ersten Schritt zu machen. Denn daraus folgt ja meistens der zweite und der dritte Schritt. Ich fahre elektrisch, ich habe eine Solaranlage auf dem Dach, eins ergibt bei mir das nächste. Und dann kommt eben einer und sagt „Ja, aber er war für drei Tage in Barcelona! Mit dem Flugzeug!“ Statt zu motivieren, gucken wir immer nur, wo das Haar in der Suppe ist.
Du wirst auf deiner Tour im April nicht in Hotels, sondern in einem ausgebauten Campingmobil schlafen. Warum eigentlich?
Bendzko: Ich habe schon lange davon geträumt, beim Touren mein eigenes Bett dabeizuhaben. In Hotels schlafe ich in der ersten Nacht immer schlecht. Also beschloss ich, mein eigenes Schlafzimmer mitzunehmen. In meinem Camper schlafe ich jede Nacht wie ein kleines Kind.