Düsseldorf. Der Kampf gegen Corona hat NRW verändert. Die Erfahrungen mit der Pandemie waren bitter, aber nicht alles ging schief. Ein Resümee.

Am 26. Februar 2020, also vor fast drei Jahren, wurde bei einem Mann aus dem Kreis Heinsberg erstmals ein Corona-Fall in NRW festgestellt. Schon drei Wochen später schlug Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) Alarm: „Es geht um Leben und Tod“. Die WAZ hat Experten um ein Resümee der Pandemie gebeten. Das Ergebnis ist eine gemischte, in Teilen bittere Bilanz.

Was lief schlecht?

Fast 31.000 Todesopfer „im Zusammenhang mit Covid-19“ wurden bisher in NRW vom Robert-Koch-Institut erfasst. Es reicht aber nicht, die Toten zu zählen, um die Folgen von Corona zu begreifen. Zu den Betroffenen gehören alle Familien, und in den Familien litten vor allem die Älteren und die Jüngeren.

„Viele Familien sind an ihre Grenzen gestoßen, weil sie mit Job, Homeschooling und Kinderbetreuung allein gelassen wurden“, bilanziert Anja Weber, NRW-Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).

Bereits im Juni 2021 bat Armin Laschet um Verzeihung: „Die Entscheidungen, die dazu geführt haben, dass Menschen einsam sterben mussten, waren ein gravierender Fehler“, sagte er bei einer Gedenkstunde im Landtag.

Dramatisch waren und sind die Folgen der Pandemie auch für Kinder und Jugendliche. Laut dem „Kinder- und Jugendreport 2022“ der DAK-Krankenversicherung für NRW leiden seit der Pandemie viel mehr Mädchen und Jungen an Ess-Störungen, unter Ängsten und Depressionen. 10 bis 14-jährigen Mädchen wurden im Vergleich zu 2019 zuletzt doppelt so viele Antidepressiva verschieben.

„Soziale Kontakte waren eingeschränkt, es gab zu wenig Bewegung und Lernlücken sind entstanden“, sagte NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) dieser Redaktion. „Die Ausnahmesituation Corona hat das Bildungssystem erschüttert“, berichtet Anne Deimel, NRW-Vorsitzende der Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). Der Wegfall des täglichen Kita- und Schulbesuches habe Nachwirkungen bis heute: „Zu viele Kinder und Jugendliche fühlten sich alleingelassen und konnten Lerninhalte noch nicht aufholen.“ Immer neue Anweisungen hätten das Personal in Schulen und Kitas zermürbt.

Die Pflegekräfte und Mediziner hätten aufopferungsvoll gearbeitet, lobt Matthias Blum, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft NRW. Trotz der Finanzhilfen des Bundes seien viele Kliniken in NRW während der Pandemie aber in eine „gefährliche wirtschaftliche Schieflage“ geraten.

„Unser Land war sehr schlecht, eigentlich gar nicht auf die Pandemie vorbereitet. Es darf nicht sein, dass wir die Menschen auf den Intensivstationen provisorisch in Zelten oder in mit Zeltplanen abgetrennten Bereichen in den Kliniken versorgen mussten“, sagt Dr. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Zudem habe eine „Kakophonie von Ratschlägen“ die Menschen zusätzlich zur Angst vor dem Virus verunsichert, weil es keine einheitlichen Maßnahmen gegeben habe.

Zu den am härtesten getroffenen Branchen gehört das Hotel- und Gastgewerbe. Laut dem Fachverband Dehoga NRW sank die Zahl der Beschäftigten im Gastgewerbe zwischen Dezember 2019 und März 2021 um fast 100.000. Gerade erst gehen die Zahlen weder nach oben. Aber viele, die früher in einer Küche oder als Bedienung arbeiteten, haben sich in andere Jobs verabschiedet. „Für die Zukunft in einem ähnlichen Szenario wünschten wir uns -- neben schneller finanzieller Unterstützung -- weniger Bürokratie, bessere Planbarkeit und genauere Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Eingriffe“, sagte Patrick Rothkopf, Präsident des Dehoga in NRW.

Was lief gut?

Über Homeoffice lächelt heute keiner mehr. „Unsere Arbeitswelt hat einen Digitalisierungsschub erlebt, der für viele Menschen mehr Flexibilität und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bedeuten kann“, erklärt NRW-DGB-Chefin Anja Weber. Viele Arbeitsplätze seien in der Coronazeit „sichere Orte“ gewesen. Vor allem Firmen mit Betriebsräten hätten sich an die Hygieneregeln gehalten. „Durch Kurzarbeit konnten Arbeitsplätze und Einkommen zum Großteil gesichert werden“, sagt die Gewerkschafterin.

Dass die Hilfe wirkte, bestätigt Dehoga-NRW-Chef Patrick Rothkopf: „Der Staat hat gezeigt, dass er bereit ist, betroffene Unternehmen zu unterstützen, die unverschuldet in diese massive Krise gerutscht sind. Kurzarbeitergeld, November- und Dezember- sowie die Überbrückungshilfen, für die sich der Dehoga eingesetzt hat, haben Unternehmern und Beschäftigten geholfen.“ Allerdings warteten einige Firmen noch immer auf die „längst überfällige Auszahlung“.

„Auf der Habenseite steht auch, dass die Schulen in NRW bei der Digitalisierung einen großen Schritt vorangekommen sind“, meint Schulministerin Dorothee Feller (CDU). Viel mehr Schülerinnen und Schüler sowie Lehrende nutzten jetzt Computer im Unterricht.

Pflegekräfte, Hausärzte, Beschäftigte in Praxen, Pädagoginnen und Pädagogen – sie alle hätten unter Stress „Großartiges“ geleistet, betonen Verbände und Politik. Respekt und Beifall waren den „Corona-Helden“ stets sicher. Was bleibt, ist ihr Ruf nach besseren Arbeitsbedingungen.

Die Bilanz der Impfkampagne ist gemischt. Der Start war wegen der komplizierten Online-Terminvergabe chaotisch. Später gab es viele kommunale Impf-Angebote, und die Hausärzte-Teams engagierten sich vorbildlich.

Was lehrt uns die Pandemie?

Bei Medizinprodukten, Schutzausrüstung, Medikamenten dürfe sich NRW nicht mehr auf China verlassen, heißt es. „Daran werde gearbeitet“, versichert das NRW-Gesundheitsministerium. Konkrete Daten dazu hat es aber nicht.

Im Moment wird in NRW sogar darüber gestritten, ob Schutzkleidung und Masken, die das Land nach einer seltsamen Vermittlungsaktion von Armin Laschets Sohn Joe einst für viel Geld von der Textilfirma van Laack kaufte, verbrannt werden sollen.

„Pandemien können immer wieder auftreten“, warnt Dr. Hans-Albert Gehle. „Wir müssen deshalb die Patientenversorgung in Kliniken und Praxen pandemiefest machen und dies auch bei allen Krankenhausreformen berücksichtigen.“ Der Infektionsschutz in NRW müsse neu aufgestellt, der Öffentliche Gesundheitsdienst brauche mehr Personal.

Für die „Resilienz“, also Widerstandsfähigkeit von Schulen und Kitas, müsse noch viel getan werden, findet Anne Deimel vom VBE. Zu wenige Schultern müssten dort zu viel tragen. Mehr Lehrkräfte müssten her. Sonst drohe noch mehr Unterrichtsausfall.

„Es gibt keinen Grund, die Hände in den Schoß zu legen“, sagt auch Schulministerin Feller. Das Füllen der Lernlücken dauere an. Eine der wichtigsten Lehren aus der Pandemie: Distanzunterricht dürfe nur das letzte Mittel sein. Feller: „Durch die Pandemie ist uns allen deutlich geworden, wie wichtig der Präsenzunterricht für die Entwicklung unserer Kinder ist.“