Essen. Der Film von Jonathan Glazer mit Christian Friedel zeigt das obszöne Familien-Idyll des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß. Aber warum?
Der Horror dieses Films spielt sich fast ausschließlich auf der Tonspur ab. Die Industrie des Mordens in Auschwitz rumort auf der anderen Seite der Mauer. In Dauerschleife dringen von dort nur die Kommandos und einzelne Schüsse, die Entsetzensschreie und Hundegebell herüber. Wieder und wieder. Was dort geschieht, zeigt der Film nicht. Als gelte das Bilderverbot, das die drei Weltreligionen aus dem vorderen Orient seltsam eint, nun auch für den Gott des Grauens. Man sieht nur Rauchschwaden und weiß, was sie zu bedeuten haben.
Das ist vielleicht der einfachste Ausweg aus dem Dilemma, dass kaum ein Bild dem überhaupt gerecht werden kann, was in Auschwitz geschah – und dass jedes Bild, das es doch versucht, im Kino dem Verdacht anheimfällt, eine besonders perfide Art der Unterhaltung zu sein. Nicht von ungefähr gerieten Gerhard Richter die vier Bilder seines „Birkenau“-Zyklus, die auf den wenigen authentischen Lager-Fotografien von Auschwitz-Häftlingen beruhen, zu rein abstrakten Übermalungen.
Der „New Yorker“ nannte „The Zone of Interest“ eine extreme Art von „Holokitsch“
Eine „extreme Art von Holokitsch“ hat denn auch der „New Yorker“ den Film „The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer nach dem gleichnamigen Roman von Martin Amis genannt. Das ist etwas oberflächlich. Denn das Idyll eines großen Hauses mit vorbildlich gepflegtem Garten, in dem besonders Hedwig Höß als trautes Weib des Lagerkommandanten in vorbildlicher Tüchtigkeit ihre kleinbürgerlichen Paradies-Träume wahr werden lässt, bleibt als verbissen herbeigelebtes Gegenbild der Hölle nebenan eben dieser stets verhaftet. Das Rumoren des Todes (Sound: Johnnie Burns) geht nie weg in diesem Film, die Verdrängung des Grauens gelingt nur denen, die es betreiben, die davon profitieren. Er läuft ganz ohne Musik an, wie eine trockene Dokumentation; später kommen vereinzelt Chorstimmen hinzu (Mica Levi), Unheilsboten und textlose Klagelieder zugleich.
Sandra Hüller spielt die Nazi-Ehefrau in „The Zone of Interest“ quälend gut
Die Kamera wirkt wie ein Überwachungsinstrument, sie wechselt zwischen verschiedenen starren Positionen, mal im Hause Höß, mal vor dem Eingang, mal im Garten. Die Familie bei ihrem so schrecklich normalen Alltagsleben zu beobachten, bleibt bis zum Ende eine Qual. Gesteigert wird sie noch durch die schauspielerischen Leistungen: Sandra Hüller erfüllt als Hedwig Höß das Nazi-Ideal der Mutter und Hausfrau bis zur Schmerzgrenze; vielleicht verdankt sich allein der konsequent trampelige Gang, den die Oscar-Kandidatin ihrer Figur verleiht, dem Bedürfnis, sich irgendwie zu distanzieren. Hedwig Höß ist es sogar, die darauf drängt, in Auschwitz zu bleiben: „Hier haben wir doch alles, was wir brauchen, vor der Haustür“ ist einer dieser Sätze des Films, die schon fast zu schmerzhaft sind, um als authentisch oder auch nur wahrscheinlich gelten zu können.
Sandra Hüller und die Oscars
Wer Sandra Hüller im Schauspielhaus in Bochum sehen möchte, hat im Februar und im März die Gelegenheit dazu. Am 29. Februar um 19.30 Uhr führt das Ensemble erneut „Der Würgeengel“ auf, Karten gibt es eventuell an der Abendkasse. Am 26. März folgt eine Vorstellung von „Hamlet“, ebenfalls um 19.30 Uhr. Der Vorverkauf beginnt am 1. Februar.
Sandra Hüller ist die erste Darstellerin am Bochumer Schauspielhaus, die für einen Oscar nominiert ist. Der Bochumer Lokalpolitiker Lothar Gräfingholt hat ihr dazu bei der Vorstellung am Samstag seinen Debüt-Roman „Die Colliers der Kanzlerin“ überreicht. Er handele von einer berühmten Frau, die immer wieder nach Bochum zurückkehre – ähnlich wie Hüller. „Ich finde es sehr schön, dass es auch Sandra Hüller immer wieder nach Bochum zieht“, sagt Gräfingholt.
Die 96. Oscars, für die unter anderem Hüller nominiert ist, werden am 10. März im Dolby Theatre in Los Angeles verliehen. Moderiert wird die Veranstaltung in diesem Jahr von Showmaster und Comedian Jimmy Kimmel, der die Gala bereits 2017, 2018 und 2023 präsentiert hat. ProSieben überträgt die Verleihung im Livestream auf seiner Internetseite und in der App. Die Oscars starten um 16 Uhr Ortszeit, in Deutschland ist es dann 12 Uhr nachts.
Als Rudolf Höß befördert wird, weil er sich als perfekter, stets um Effizienz-Verbesserung bemühter Organisator der Todesindustrie erwiesen hat, soll er in der Oranienburger Kommandozentrale des KZ-Systems Dienst tun. Es ist der Punkt, an dem Christian Friedelseinem Höß allzumenschliche Züge eines liebenden Ehemanns verleihen muss, der seine Frau vermisst, sich nicht wohlfühlt. Ansonsten strahlt er äußerst rollenkonform Kälte, Maschinenhaftigkeit und Ehrgeiz aus.
Christian Friedel
Der Schauspieler Christian Friedel, geboren 1979 in Magdeburg, wurde einem breiten Publikum bekannt durch seine Rollen in Michael Hanekes Film „Das weiße Band“, in dem er die Hauptrolle des Dorflehrers spielte, und durch Auftritte in der Fernseh-Serie „Babylon Berlin“ (als Polizeifotograf Gräf). Als Schauspieler arbeitet er gastweise an den Bühnen in Dresden („Hamlet“) und Düsseldorf („Der Sandmann“, „Dorian“); dort tritt er auch mit seinem Rockband-Projekt Woods of Birnam auf.
„The Zone of Interest“ bebildert die „Banalität des Bösen“ – vielleicht doch zu banal
Unterm Strich bebildert der Film das, was Hannah Arendt im Angesicht von Höß‘ Vorgesetztem Adolf Eichmann die „Banalität des Bösen“ nannte. Die Spießigkeit, die Normalität, die bürgerliche Fassade, die eben kein Widerspruch zum mörderischen Grauen war, keine Kehrseite, sondern seine Voraussetzung. Es bleibt die Grundfrage dieses Films, warum man ausgerechnet diese Menschen in die Zone des Interesses ziehen soll, warum man sich für sie interessieren soll.
Der Zweck jenseits eines zynischen Grusels kann nur Aufklärung sein: Ein Warnzeichen davor, dass die klassischen deutschen „Sekundärtugenden“ nicht nur dazu taugen, ein KZ zu verwalten, sondern sogar dazu, eine industrielle Mordmaschine ans Laufen zu bringen und immer effizienter zu machen. Dass sich hinter der Maske des Biedermanns rassistische Verbrecher, Menschenverächter, Deportations-Optimierer verbergen können. Aber dem Film fehlt, ausgerechnet in diesen Tagen, etwas Entscheidendes: Nirgends wird deutlich, dass Höß ein glühender Antisemit war, dass genau diese Einstellung ihm möglich machte, seine Verbrechen nicht nur zu begehen, sondern auch zu rechtfertigen.
Dass die Rollen (etwa mit Imogen Kogge als Hedwig Höß‘ Mutter, die es in dem obszönen Familien-Idyll nicht aushält und Hals über Kopf abreist) überwiegend mit deutschen Mimen besetzt wurden ist nicht gerade ein Dementi des bösen Verdachts, dass es sich bei dem Film um eine Art Buß-Übung zu dem handelt, was früher auf verräterische Weise „Vergangenheitsbewältigung“ genannt wurde.