Düsseldorf. Eine malerische Auseinandersetzung mit dem Holocaust: Im K21 der Kunstsammlung NRW ist jetzt Gerhard Richters „Birkenau“-Zyklus zu sehen.
Wie soll sich Kunst mit dem Grauen der industriellen Menschenvernichtung im „Dritten Reich“ auseinandersetzen? Muss sie das, kann sie das überhaupt? Gerhard Richter, bei dem das Etikett „Teuerster lebender Maler der Gegenwart“ zunehmend verdeckt, dass er auch einer der intelligentesten, reflektiertesten Künstler seiner Zeit ist, hat es mehr als einmal versucht – und stieß wiederholt auf das Dilemma, dass der Schock, den Bilder von Leichenbergen oder von skelettähnlichen KZ-Überlebenden auslösen, sich zu verselbstständigen droht, bis er nur noch einen Geisterbahn-Effekt hat, ein Schauerkabinett der Geschichte wird, das der Ungeheuerlichkeit des gezeigten Geschehens und seinen historischen Dimensionen nicht mehr gerecht werden kann.
Mitte der 60er-Jahre, die mit den ersten Auschwitz-Prozessen begonnen hatten, nahm Richter Zeitungsfotos vom Grauen der Vernichtungslager in sein Bilder-Sammelprojekt „Atlas“ auf – und kombinierte sie mit pornografischen Bildern, stellte sie, extrem provokant, unter Unterhaltungsverdacht. Zweifelte an ihrer Aussagekraft.
Aufnahmen entstanden unter Lebensgefahr
Schon damals war unter den Bildern, die Richter benutzte, eines, das entkleidete Frauen auf dem Weg in die Gaskammer des Krematoriums V von Auschwitz zeigt. Dies ist eines von vier Bildern, die zwei Häftlinge im August 1944 unter Einsatz ihres Lebens aus den Gaskammern heraus aufnahmen, um den Film in einer Zahnpastatube aus dem Lager zu schmuggeln und der Welt da draußen zu zeigen, dass die Nazis dabei waren, die jüdische Bevölkerung Europas auszulöschen.
Über den Umgang mit diesen vier besonderen Fotos, die Opfer von Opfern gemacht haben, um etwas gegen das Grauen zu unternehmen, hat der französische Kunstphilosoph Georges Didi-Huberman das sehr einsichtsvolle, weitdenkende Buch „Bilder trotz allem“ geschrieben. Das regte Gerhard Richter, der den Holocaust noch 2011 als „unmalbar“ bezeichnet hatte, dazu an, doch noch einen Versuch zu unternehmen, dem Holocaust ein Gesicht auf der Leinwand zu geben. Er übertrug die vier Fotos auf 2,60 hohe und 2 Meter breite Leinwände. Aber womöglich wurde Richter bewusst, was schon Theodor W. Adorno festhielt: „Durch das ästhetische Stilisationsprinzip erscheint das unausdenkliche Schicksal doch, als hätte es irgendeinen Sinn gehabt, es wird verklärt, etwas von dem Grauen weggenommen, damit allein widerfährt den Opfern Unrecht“. Der Schriftsteller und KZ-Überlebende Imre Kertész sprach angesichts von Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ von „Holocaust-Produkten für den Holocaust-Konsum“.
Fortan trugen die Gemälde den Titel „Birkenau-Zyklus“
Jedenfalls übermalte Richter die Foto-Abbildungen vor allem mit schwarzer und weißer Farbe, aber auch mit denkbar leicht zu lesenden Spuren von Grün und Rot. Als die Bilder 2015 erstmals im Albertinum seiner Heimatstadt Dresden ausgestellt waren, bestand ihr Titel noch aus den Werkverzeichnis-Nummern 937/1-4; vielleicht war es die Wiederkehr von rechter Gesinnung und Fremdenfeindlichkeit, jedenfalls tragen die vier Gemälde nun den Titel „Birkenau-Zyklus“.
In der Ständehaus-Dependance der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW (K 21) sind die Bilder nun mit Vergrößerungen der vier Aufnahmen aus Auschwitz ausgestellt, vier Spiegel den Gemälden gegenüber stellen Bezüge her und die Position der Betrachtung ins Licht. Der Kunsthistoriker Benjamin Buchloh spricht angesichts von Richters Bildern nicht von ungefähr von „Malerei zwischen Amnesie und Anamnese“. Dass aber eigentlich eher Bestandsaufnahme als Bewusstlosigkeit das Programm von Gerhard Richter ist, zeigen die kleinformatigen Zeichnungen und Foto-Übermalungen aus den vergangenen sechs Jahren, die dem Birkenau-Zyklus in Düsseldorf als eine Art Vorhof vorangestellt sind.
Die Birkenau-Bilder werden später in Japan gezeigt, bevor sie dann dauerhaft im neuen Berliner Museum der Gegenwart bleiben sollen.