Gelsenkirchen. Die „Schauburg“ in Gelsenkirchen-Buer ist einer der letzten klassischen Filmpaläste in Deutschland. Ein Ort voller Geschichte(n).
Niklaas Lengwenat weiß noch gut, wie alles angefangen hat. 12 war er, als er bei einem Preisausschreiben einen Kino-Besuch gewann, es war der erste seines Lebens. In seinem „Fahrrad- und Fußradius“ lag der Schauburg Filmpalast in Gelsenkirchen-Buer. Der Junge sah sich dort „Harry Potter“ an, im Vorprogramm lief ein Trailer, „Der Herr der Ringe“. Niklaas ging wieder hin. Und war endgültig begeistert. Was für ein Spektakel! „Mir stand der Mund offen“, schmunzelt er heute: „Damals bin ich für das Haus entbrannt.“
Er wurde Stammgast, später heuerte er als Filmvorführer an. Heute ist er 35 und Vize-Chef. Eine Geschichte, die typisch für ein Kino ist, das sich längst einen festen Platz in den Herzen der Gelsenkirchener erobert hat. Ein Besuch in einem der letzten klassischen Lichtspielpaläste Deutschlands.
Unsere Kino-Serie
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Ralf Kolecki und Niklaas Lengwenat sind beide zum Gespräch gekommen; Kolecki leitet das Theater jetzt seit über 25 Jahren. Mit „ihrem“ Kino verwurzelt sind sie gleichermaßen und können anschaulich von seiner Geschichte erzählen, die vor allem eins zeigt: Standhaftigkeit. „Jeder hier kennt die Schauburg. Und jeder verbindet Erinnerungen mit ihr“, weiß Kolecki. Seit ihrer Eröffnung am 31. Januar 1929 wird sie durchgehend bespielt. Selbst im Zweiten Weltkrieg kam sie glimpflich davon: Es blieb bei einem Splitter im Dach. Und als Anfang der 90er in Gelsenkirchen das Multiplex eröffnete, war die Schauburg das einzige Kino, das überlebte.
In Buer wissen viele noch, dass es hier mal eine Garderobe gab und Platzanweiser. Wer im Internet stöbert, findet alte Fotografien, gepostete Liebhaber-Stücke. Und einen Werbetext von 1955, aus der großen Zeit des Kinos, als es in der Stadt noch 57 Lichtspielhäuser gab. „Seit 25 Jahren gehört das Schauburg-Theater in Gelsenkirchen-Buer zu den bedeutendsten Vertretern im Großraum Gelsenkirchen“, ist da zu lesen. Und: „Millionen Menschen fanden in tausenden von Veranstaltungen aller Art Frohsinn und Erschütterung – Information und Belehrung – persönliche Bestätigung oder kritische Betrachtung – Erholung und Anregung im Spiegel unserer Zeit!“
Die wachsende Stadt Gelsenkirchen hatte kein eigenes Theater
Alles begann mit dem Düsseldorfer Architekten Carl Wagner, der 1927 von einem privaten Betreiber mit dem Bau eines „Großkinos“ in Gelsenkirchen-Buer beauftragt wurde. Die wachsende Stadt hatte kein eigenes Theater, das neue Haus sollte auch für Schauspiel, Opern, Operetten und Konzerte dienen. „Das war ein Riesenprojekt! Ein modernes Gebäude, eines der ersten, das in Betonbauweise errichtet wurde“, sagt Kolecki.
Im Innern entstand ein Saal mit ursprünglich 1400 Plätzen, Balkonen und Orchestergraben. „Sogar Boxkämpfe sollen hier stattgefunden haben“, merkt der Kino-Chef an. Zum Auftakt gab es den deutschen Stummfilm „Marquis d’Eon, der Spion der Pompadour“. Anfangs lief das neue Kino sensationell, aber bald kam die Weltwirtschaftskrise. Gespielt wurde weiter, doch das Gebäude ging an die Stadt. Und in deren Besitz ist es bis heute geblieben, was den Schauburg-Betreibern erschwingliche Mieten beschert.
An diesem verregneten Vormittag könnte man das Filmtheater im Gebäude mit den gezackten Türmchen fast übersehen. Ein grauer Hauseingang. Ralf Kolecki kennt das: „Von außen denken viele: langweilig. Aber drinnen bekommen sie staunende Augen.“ Am Kassenhäuschen vorbei geht es in ein hohes, geräumiges Foyer. Ein Sandsteinboden, die Wände vertäfelt mit kaukasischem Nussbaumholz, dazu Tische und Stühle. Der Blick fällt auf stilvolle Lampen und einen Projektor aus den 50ern, damals noch wuchtige Maschinen. Ein ausladender Treppenaufgang führt hinauf in den ersten Stock. Durch das Deckenfenster fällt das Licht. Ein Ort zum Wohlfühlen, warm und elegant.
Im ersten Stock entstand das „Lux“ mit 255 Plätzen
Nicht minder repräsentativ: der große Saal, die „Schauburg“. Heute beherbergt er 425 rote Ledersessel, dazu Logen, bis in die 60er, 70er Jahre hinein waren das noch klassische Separees mit Tischchen darin. Vor vielen Jahren wurde um- und angebaut; im ersten Stock entstand das „Lux“ mit 255 Plätzen, nüchtern, reduziert. Und dann gibt es noch das „Studio“, den kleinsten Kinoraum mit gerade mal 67 Plätzen. Drei Vorstellungen pro Kino täglich gehen in der Schauburg im Schnitt über die Bühne, an 365 Tagen im Jahr.
Inzwischen stehen die Fassade, der große Saal und das Foyer unter Denkmalschutz. Und längst haben moderne Zeiten Einzug gehalten. So beherbergt das Traditionskino die inzwischen dritte Generation von Digitalprojektoren, modernste Laserprojektoren. Aber auch 35mm-Filmkopien können gezeigt werden. Kolecki und Lengwenat bieten ein gemischtes Programm „zwischen Blockbuster und Arthouse“, einschließlich Erstaufführungen mit Regie-Besuch.
Ein Geschenk zum 95. Geburtstag der Schauburg
Außerdem ist die Schauburg ein beliebter Treffpunkt: An der Bar im Foyer eröffnet einmal in der Woche das „Kinocafé“ mit Filmvorstellung, Kaffee und Kuchen, das überwiegend ältere Semester besuchen. Und an jedem dritten Samstag kommen die Kino-Enthusiasten des Buio-Omega-Filmclubs zusammen, der nun auch schon 25 Jahre besteht. Für Filmschätze der 50er bis 80er Jahre reisen Fans aus ganz NRW an. Und die Räume der Schauburg kann man auch mieten, für private Geburtstage, offizielle Anlässe oder Firmenevents.
Kürzlich ist Kolecki mit einer 88-jährigen Dame ins Gespräch gekommen, die noch alte Bilder von der Schauburg besitzt. Ein Geschenk zum 95. Geburtstag. Und eine Begegnung, durch die sich der Theater-Chef bestätigt fühlt: „Das ist ein Kino für Generationen.“