Essen. Neu im Kino: In „Babylon - Rausch der Ekstase“ versucht sich Regisseur Damien Chazelle am Hollywood der 20er Jahre und verliert sich in Ideen.
1926 ist die Welt noch in Ordnung. Besonders in Hollywood lassen die Schönen und Reichen vom Film ungeniert die Sau raus. Der Film ist noch ohne Ton, aber künstlerisch und kommerziell hat sich ein Medium etabliert, das die Menschen in die Kinos lockt und beinah wöchentlich immer neue Stars hervorbringt.
Genau hier setzt Damien Chazelle mit seinem neuen Film an. In sechs Kapiteln lässt er die schillernde Übergangsphase vom Stummfilm auf der Höhe seiner Kunst hinein in die Anfänge des Tonfilms auferstehen und rückt dafür fünf fiktive Figuren ins Zentrum.
Klatschreporter Elinor St. John lauert auf immer neue Skandale
Da ist der gefeierte Stummfilmstar Jack Conrad, ein Mann in besten Jahren, der den Übergang zum Ton (Brad Pitt als Douglas Fairbanks) nicht überstehen wird. Die ehrgeizige und durchaus nicht untalentierte Schönheit Nellie LaRoy (Margot Robbie) will hinauf zu den Sternen, aber als sie es fast geschafft hat, wird ihr ein Charakterfehler zum Verhängnis.
Am Rande wittert der schwarze Jazz-Bandleader Sidney Palmer (Jovan Adepo) seine Chance im Tonfilm, während Klatschreporterin Elinor St. John (Jean Smart als Louella Parsons) auf immer neue Skandale lauert. Und da ist der Mexikaner Manny Torres (Diego Calva), der sich als Spanier ausgibt, weil das leichter Türen öffnet, wenn man es im Filmgeschäft zu etwas bringen will.
Nie strahlten Stars in hellerem Glanz
Ja, es war eine wilde Zeit. Nie strahlten Stars in hellerem Glanz und aberwitzigem Reichtum, nie gab es tiefere Abstürze in Armut und Vergessen, wurden selbst größte Leinwandgötter in jungen Jahren zu Grabe getragen. Der Filmemacher und Schriftsteller Kenneth Anger verfasste darüber die Skandalchronik „Hollywood Babylon“, und man darf davon ausgehen, dass Damien Chazelle sich hier allerlei Inspiration holte für seine Vision vom Fegefeuer der Eitelkeiten, ohne dabei je konkret zu werden.
Lieber entfesselt er wilde Partys mit nackten Frauen und kopulierenden Paaren im Rausch von Alkohol, Kokain und ekstatischen, viel zu modernen Rhythmen, während im Obergeschoss ein dicker Komiker (ein Verweis auf Roscoe „Fatty“ Arbuckle) in Natursekt duscht.
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Ein Regieexzentriker mit deutschem Akzent (ein Verweis auf Erich von Stroheim) peitscht seine Statisten für eine Ritterschlacht buchstäblich bis zum Blutrausch, selbst Schwarze müssen sich für mehr Authentizität Blackfacing unterziehen und ein syphilitischer Gangsterboss (ein bizarrer Auftritt von Toby Maguire) unterhält in einem Bergwerksstollen ein Kabinett der Perversitäten.
Die erste von drei Stunden ist atemberaubend
In all das taucht der bereits in jungen Jahren fürs Musical „La La Land“ Oscar-prämierte Damien Chazelle mit einer technischen Fertigkeit ein, das es zumindest in der ersten der über drei Stunden Spielzeit den Atem verschlagen darf. Chazelle will Skandal und Kulturschock mit modernen Mitteln und hat sich dafür alle Exzesse aus Martin Scorseses „Der Wolf von Wall Street“ und Baz Luhrmans „Moulin Rouge“ und „Der große Gatsby“ notiert, um sie nun mit noch mehr Lärm, noch schnelleren Schnitten und größerem Aufwand an allem (einmal trampelt sogar ein echter Elefant durch eine Party) zu übertrumpfen.
Selten rauschte ein Film so atemlos durch seine Schauwerte und erwirkte dabei so wenig an Gefühl und Anteilnahme, obwohl es vor der Kamera schillernde Prominenz zu bewundern gibt. Brad Pitt spielt als Jack Conrad die vermutlich beste Rolle seiner Karriere in einer Balance aus Selbstsicherheit und Verletzlichkeit, die einen eigenen Film verdient hätte. Gleiches gilt für Margot Robbie, die als Nellie das Filmschauspiel als harte Arbeit ausgestaltet und einen wunderschönen melancholischen Abgang hat.
Der Film ist lang, wild und komplett enthemmt
Tatsächlich gibt es in diesem langen, wilden, komplett enthemmten Film immer wieder Momente von ergreifender Poesie und Wahrhaftigkeit. Aber sie alle werden sofort wieder verweht, weil die Regie ständig Neues losmacht. Im Finale schließlich verquirlt alles in einem rasenden, sinnentleerten Gewitter ikonografischer Bildschnipsel. Damien Chazelle hat die Filmgeschichte bereist, aber ob er selber welche geschrieben hat - in hundert Jahren werden wir mehr wissen.
>>> Ein Preis für die beste Musik <<<
Der Film „Babylon – Rausch der Ekstase“ ging mit fünf Nominierungen in das Rennen um die Golden Globes; gewonnen hat er nur in der Kategorie beste Filmmusik.
Ein neuer Erfolg für den US-Komponisten Justin Hurwitz, der mit Regisseur Damien Chazelle bereits mit „La La Land“ Preise abräumte.
Auch für den Oscar-Gewinner des Jahres 2017 (insgesamt sechs Trophäen) schrieb Hurwitz die Musik und erhielt dafür Globe wie Oscar.