Essen. Ballett-Chef Ben Van Cauwenbergh erhielt in Essen für seine traditionelle Choreografie Standing Ovations. Ein Abend mit Schauerromantik.
Ein Bauernmädchen verliebt sich in den Prinzen Albrecht. Und wird enttäuscht, weil der bereits mit einer Adligen verlobt ist. Gemäß romantischer Vorstellung im 19. Jahrhundert stirbt „Giselle“ an gebrochenem Herzen – wird später aber von Albrecht am Grab besucht. Damit dringt er ein ins Reich der tanzenden Totenfeen („Willis“), über deren Kunst sich bereits Heinrich Heine ausgelassen hat.
Auf die Tradition der magischen Schauerromantik stützt sich auch die Inszenierung des Essener Ballett-Chefs Ben Van Cauwenbergh, deren Premiere jetzt im voll besetzten Aalto-Theater mit Ovationen gefeiert wurde.
2014 gab es im Aalto Theater tätowierte Prinzen und elegante Seidenkleider
Es ist zwar alles anders als 2014 – als im Aalto der britische Choreograf David Dawson eine moderne, urbane „Giselle“ mit tätowiertem Prinzen, Poloshirts, offenen Hemden und Seidenkleidern in eleganten Pastellfarben herausbrachte. Bewusst zeigt Van Cauwenbergh nun das Märchen, wie es Mitte des 19. Jahrhunderts (damals von Jules Perrot und Marius Petipa) in Tanz-Szene gesetzt wurde.
Staub vergangener Zeiten rieselt selten
Tänzer, Sprünge, Pirouetten und Pantomimen wirken frisch, authentisch. Staub vergangener Zeiten rieselt selten. Obwohl die Regie auf die Kraft der schönen alten Tableaus setzt: Märchenbilder mit Knusperhäuschen, dampfendem Schornstein (Bühne: Dorin Gal), Kinderszenen (mit Schülern des Tanz-Gymnasiums in Essen-Werden) und Bauerntänzen im ersten Akt.
Und dann ziehen Nebelschwaden in eisblaue Waldeinsamkeit der Totenfeen im zweiten, dem berühmten „weißen Akt“. Sobald Myrtha, die Herrin der Willis, stolz und unnachgiebig ihr Szepter schwingt, flüstert eine mitteilungsbedürftige Besucherin ihrem Nachbarn zu „Das ist jetzt echtes klassisches Ballett“.
Tatsächlich verbreiten dieses ‚ballet blanc‘ und die Geister der Frauen, die angeblich gebrochenem Herzen gestorben sind, heute noch einen Märchen-Zauber.
Selbst jüngeres, cooles Ballett-Publikum bleibt regungslos, wenn die Willis und Yuki Kishimoto in der Titelrolle schwerelos durch die gruselige Waldkulisse schweben. Und sich mit leicht geneigtem Kopf, gefalteten Händen und Diadem an Albrecht anlehnt. Angefacht und subtil geführt von Adolphe Adams lyrischen Klängen – dynamisch, vorwärtsdrängend und mit leuchtendem Holzbläser-Sound interpretiert von den Essener Philharmonikern unter Wolfram-Maria Märtig.
Schauerromantik funktioniert auch ohne Psycho-Drama
Kishimoto hat den Giselle-Stil verinnerlicht, springt geräuschlos, huscht wie eine Feder in die Arme von Artem Sorochan (als Albrecht), der sie mühelos im berühmten Pas-de-deux in luftige Höhen liftet. Der St. Petersburger Solist passt als zurückhaltender, eleganter Danseur Noble fabelhaft ins Set. Ebenso wie die Essener Kompanie, die auf den außergewöhnlichen Giselle-Stil getrimmt wurde.
Herausragend als klassische, sprungkräftige Solisten mit Ausdruckskraft sind Rosa Pierro (als energiegeladene Myrtha), Yegor Hordiyenko (als Giselles eifersüchtiger Freund Hilarion) und William Emilio Castro Hechavarría (im Bauen-Pas-de-Quatre). Fazit: Schauerromantik funktioniert auch ohne Psycho-Drama und begeistert.
Termine: 31. Oktober, 1., 19., 17., 24., 25. November, 9. Februar . Alle Infos: https://www.theater-essen.de/spielplan/a-z/giselle/