Essen. David Dawsons „Giselle“ besticht durch klare Linien und große Gefühle. Dieses Ballett einer Liebe, die auch nach dem Tod besteht, hat den britischen Choreografen schon in jungen Jahren fasziniert. „Es ist so ausdrucksstark.“

David Dawson blickt aus den Fenstern des Aalto-Theaters auf die rosa leuchtenden Kirschbäume. „Als Kind in Hampstead Heath sah ich, wie die Blüten fielen, wenn sie am schönsten sind“, erinnert er sich. Ein starkes Motiv, das sich in seiner Neuschöpfung von „Giselle“ wiederfindet. Dieses Ballett einer Liebe, die auch nach dem Tod besteht, hat ihn schon in jungen Jahren fasziniert. „Es ist so menschlich, so gefühlvoll und ausdrucksstark“, sagt er. Und es begleitet ihn fast sein ganzes Leben.

Im idyllischen London-Hampstead wuchs er auf und tanzte, seit er laufen konnte. Mit sieben stellte er sich auf die Schulbühne und improvisierte. „Man musste mich stoppen. Ich hätte sonst nicht aufgehört“, erzählt er. Das waren die ersten Schritte, die ihn zum klassischen Tanz führten. „Ich hatte meine Identität gefunden. Es war der Himmel“, meint er. „Auch wenn ich in der Schule isoliert war, ich hätte das nie aufgegeben.“

Schwerpunkt auf dem Dreiecksverhältnis

Seine Tanzkarriere, in der „Giselle“ zweimal eine Rolle spielte, verlief von Birmingham über London, Amsterdam bis Frankfurt geradlinig. Dennoch beendete er sie ohne Not und Verletzungen mit 30 bei Ballettchef William Forsythe. Da hatte er seine ersten Choreografien bereits erfolgreich in die Welt gesetzt. „Bei mir hat sich das organisch entwickelt. Ich wollte mehr Einfluss. Ich wollte meine Visionen realisieren“, so der 42-Jährige.

Premiere im Aalto

Die Ballettcompagnien von Essen und Gelsenkirchen haben sich für David Dawsons „Giselle“ zusammengeschlossen, um alle Positionen in dem anspruchsvollen Ballett mindestens doppelt besetzen zu können.

Für die Hauptpartien Giselle und Albrecht gibt es drei Paarungen: Artur Babajanyan und Anna Khamzina, Breno Bittencourt und Yanelis Rodriguez, Bridget Breiner und Raphaël Coumes-Marquet, Solo-Tänzer aus Dresden.

Die Essener Premiere am 29. März ist ausverkauft.

Karten, Termine: 8122-200

2001 dachte er zum ersten Mal darüber nach, seine Version von „Giselle“ zu kreieren. „Ich hatte großen Respekt davor und viele Fragen“, berichtet Dawson. 2008 beantwortete er sie dann mit dem Semperoper Ballett in Dresden. Seine „Giselle“ erzählt dieselbe Geschichte von Liebe, Betrug und Vergebung wie 1841 Théophile Gautier zur Choreografie von Jean Coralli und Jules Perrot, die zu dem romantischen Ballettklassiker schlechthin wurde. Doch legt Dawson, inspiriert von einer eigenen Erfahrung, die er damals durchmachte, den Schwerpunkt auf das Dreiecksverhältnis und bleibt inhaltlich wie optisch zeitlos. „Ich brauche den Wald nicht und nicht die Klassenunterschiede“, betont er. Um eine große Fallhöhe zu schaffen, verwandelt er die Szenerie der Erntezeit in eine Hochzeit. Statt eines Bauernmädchens ist Giselle eine junge Frau, „die weiß, wer sie ist“, und zwar kein Opfer. Der Kampf um die Liebe und der Tod bleiben ihr nicht erspart und Albrecht nicht die Qualen der Schuld, die er mit Bathilde auf sich geladen hat. Am Ende rettet ihn Giselle vor den rachsüchtigen Geistern, den Wilis, die hier als Gespinste in seinem Kopf existieren.

„Meine Stücke sind immer emotional“

„Giselle“ wurde eines seiner gefeierten Werke. Nicht zuletzt, weil der Brite in der Choreografie klassisches und sein eigenes Tanzvokabular verschmelzen lässt. Schnelle, klar definierte, aber immer fließende Bewegungen, Linien, die ins Unendliche reichen, charakterisieren die Figuren und ihre Gefühle. Damit sie natürlich wirken, fordert er die Tänzer auf, „sich persönlich einzubringen“. Auch bei den Proben am Aalto-Theater ist das so. Schließlich soll sein Bild von „Giselle“ zum Leben erweckt werden. Die Compagnien aus Essen und Gelsenkirchen, die sich für das Ballett zusammengeschlossen haben, begeistern ihn: „Ich könnte nicht glücklicher sein. Die Tänzer haben die Kraft und die Energie. Sie zeigen 150 Prozent.“

Bei allem Sinn für Perfektion lässt er die Romantik nicht außen vor. Höchstens für seine Liebe in Berlin bleibt sie ein wenig auf der Strecke. „Ich reise viel und die Arbeit endet nicht“, sagt David Dawson. In Dresden wartet schon die Ballettfassung von „Tristan und Isolde“ auf ihn, wiederum eine fatale Dreiecksgeschichte: „Meine Stücke sind immer emotional. Ich bin eben ein emotionaler Mensch.“