Herne. Der Lyriker und Literaturwissenschaftler Harald Hartung feiert am 29. Oktober seinen 90. Geburtstag. Er hat drei Dutzend Bücher veröffentlicht.
Aufgewachsen ist er in einer Herner Bergmanns-Siedlung, studiert hat er in Münster und München, danach an Gymnasien in Buer und Bochum unterrichtet. 1966 ging er als Dozent an die Pädagogische Hochschule nach Berlin, und dort war er von 1981 bis zur Pensionierung Literaturprofessor an der Technischen Universität.
Er hat drei Dutzend Bücher veröffentlicht: Gedichte, Prosa-Notizen und literaturwissenschaftliche Studien. Vor sechs Jahren, als „die Achtzig angebrochen“ waren, hat er eine Auswahl seiner Texte zusammengestellt. Rückblicke auf „ein literarisches Doppel- und Dreifachleben“ – von einem, „der schreibt um verstanden zu werden“. Am 29. Oktober wird Harald Hartung 90.
Eine beeindruckende Themen- und Formen-Vielfalt
Hartungs Lyrik beeindruckt durch ihre Themen- und Formen-Vielfalt, ihre Grenzen zur Prosa sind fließend. Seine Texte sind leise aber genau, skeptisch aber nicht pessimistisch, reich an Zitaten und Anspielungen aber nie hermetisch. Sie summieren sich zu Momentaufnahmen aus dem Leben eines nachdenklichen, ungemein belesenen Zeitgenossen, der gegen alle intellektuellen Moden immer der Aufklärung treu geblieben ist.
Diese Texte enden nicht auf dem Papier; sie setzen sich in den Köpfen ihrer Leser fort – und manchmal dort fest. Sie handeln von Kindheit und Nachkriegszeit, von persönlichen Schicksalsschlägen und von der Liebe, von deutscher Teilung und Wiedervereinigung, aber auch vom Lesen, vom Reisen (oft nach Italien) und – immer häufiger – vom Alter, nie wehleidig, oft selbstironisch: „Es ist sinnlos auf der Welt / Ende zu hoffen wenn man / alt ist oder unglücklich / Es nimmt sich Zeit es trifft uns an / bei bester Verfassung.“
Er schrieb unzählige Beiträge für Tageszeitungen und Fachzeitschriften
Nicht weniger wichtig als die Gedichte sind Hartungs literaturkritische Schriften und seine Editionstätigkeit. In zahllosen Beiträgen für Tageszeitungen und Fachzeitschriften hat er sich als profunder Kenner zeitgenössischer Lyrik und ihrer Traditionen erwiesen. Seine Kritiken sind branchenuntypisch gründlich und fundiert, nie verletzend, aber auch nie gefällig. Seine gesammelten Essays taugen als Lehrbücher der Lyrik-Interpretation.
Die von ihm zusammengestellten Anthologien (Luftfracht, Internationale Poesie 1940 bis 1990 und Jahrhundertgedächtnis. Deutsche Lyrik im 20. Jahrhundert“) bieten nicht nur Querschnitte durch die Lyrik des 20. Jahrhunderts, sondern auch durch dessen Geschichte – lyrische Geschichtsbücher. Hartungs Werk widerlegt die Meinung, Literatur-Produktion und -Kritik passten nicht zusammen.
Gedankenreiche Wortkargheit in geschwätzigen Zeiten
Die literarische Praxis schärft seinen Blick für die Werke anderer, seine Belesenheit prägt das eigene Schreiben. In Zeiten von Sprachverlust und Geschwätzigkeit ist die gedankenreiche Wortkargheit seiner Gedichte eine Rarität.
Wünschen wir ihm, dass „Die Muse des Alters“ ihn noch eine Zeit lang besucht. „Neuerdings erscheint sie mir nachts / Da ist sie schwer zu verscheuchen / ich habe mir einen Bleistift ans Bett gelegt / Vielleicht hilft das“.