Dortmund. Dortmunds Intendantin Julia Wissert zeigt mit der Erzählung von Annie Ernaux ihre erste Arbeit auf eigener Bühne. Das Ergebnis ist ernüchternd.

Die Intendanz von Julia Wissert am Theater Dortmund war bislang nicht vom Glück verfolgt. Vor über einem Jahr aus dem Schatten ihres schier übermächtigen Vorgängers Kay Voges heraus mit einiger Euphorie gestartet, musste die 37-jährige Regisseurin ihre Arbeit kurz danach schon wieder abbrechen: Corona sei Dank.

Nachdem die Eröffnung mit „2170“ eher ein launiger Spaziergang durch die Dortmunder Innenstadt war, zeigt Wissert mit der Uraufführung von „Der Platz“ jetzt endlich ihre erste Arbeit auf eigener Bühne. Ein gewisser Erwartungsdruck ist also vorhanden. Das Ergebnis allerdings ist ernüchternd.

Erzählung von Annie Ernaux kaum länger als 100 Seiten

In ihrer kaum 100 Seiten langen Erzählung „Der Platz“ widmet sich die französische Autorin Annie Ernaux der schwierigen Beziehung zu ihrem Vater. In fesselnder Nüchternheit beschreibt sie darin die Stationen seines Lebens: erst Knecht, dann Fabrikarbeiter, dann Kneipenbesitzer in der Normandie. Als ihr Vater 1967 starb, war Ernaux knapp 30 und Mutter eines kleinen Sohnes. Über die riesige Distanz, die zwischen ihnen in den Jahren zuvor entstanden war, schreibt sie in einem ruhigen, in sich gekehrten Ton, eher sachlich als berührend.

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Dass gute Literatur zwangsläufig auch gutes Theater ergeben muss, das ist eine Falle, in die schon manche Regisseure getappt sind. Auch Julia Wissert und die Dramaturgin Hannah Saar tun sich ganz offenkundig schwer damit, für die stille Geschichte szenisch schlüssige Lösungen zu finden, die über ein bloßes Nacherzählen der Handlung hinausgehen.

„Der Platz“: Am Theater Dortmund wird die Erzählung von Annie Ernaux bühnenreif.
„Der Platz“: Am Theater Dortmund wird die Erzählung von Annie Ernaux bühnenreif. © Theater Dortmund | Birgit Hupfeld

Blau schimmernde Hütte dreht sich in Zeitlupe

Auf der beinahe leeren Bühne (von För Künkel) steht nicht viel mehr als eine blau schimmernde Hütte, die das sechsköpfige Ensemble in Zeitlupentempo um die eigene Achse dreht und allerlei blau angesprühte Gartenmöbel daraus hervorkramt. Entschleunigung scheint das Zauberwort zu sein, alles geschieht wie in Trance. Wer nicht gerade die Geschichte weitererzählt, hockt auf dem Boden oder vertreibt sich die Zeit mit langsam kreisenden Tanzbewegungen. So werden die Darsteller zu Sprechern in merkwürdig schrillen Kostümen degradiert.

Nur selten gelingen sinnfällige Verbindungen zwischen Text und Bühnengeschehen: Wenn Annie Ernaux vom unbändigen Durchhaltewillen erzählt, der ihr in ihrem Elternhaus beinahe täglich abverlangt wurde, tanzt die Schauspielerin Antje Prust, offenbar als Ballerina trainiert, minutenlang auf den Spitzen. Die Härte dieser Übung ist ihr nach einer Weile anzusehen, was bestens mit Ernauxs Erzählung harmoniert.

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Dance-Hit sorgt für den Tiefpunkt

Zu einem Problem ganz besonderer Art gerät die Musik, die von der Berliner Komponistin Houaïda am linken Bühnenrand eingespielt wird. Zunächst übergießt sie die Szenerie mit zuckersüßen Popsongs, die vom harten Leben im Nordfrankreich der 1950er Lichtjahre entfernt sind. Wenn schließlich sogar der 90er-Dance-Hit „The Rhythm of the Night“ (von einer italienischen Band namens Corona!) erklingt, erlebt der Abend seinen Tiefpunkt.

Ein großes Stück Literatur verträumt und voller Bewunderung auf die Bühne zu bringen, das mag Julia Wisserts Intention gewesen sein. Viel zu sehen ist davon leider nicht. Immerhin, der Schaden hält sich in Grenzen, denn mit zwei sehenswerten Produktionen von John Steinbeck und Virginia Woolf ist das Theater Dortmund bislang bestens in die Saison gestartet.

Dauer: ca. 90 Minuten ohne Pause. Wieder am 6. und 7. November sowie 2., 3., 4. Dezember. Karten: Tel. 0231 / 5027222.