Dortmund. 1970 gründete sich der „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“, einer der wichtigsten Beiträge des Reviers zur deutschen Literaturgeschichte.

Die verblüffendste Nachricht zum Werkkreis Literatur der Arbeitswelt, der heute vor 50 Jahren in Dortmund gegründet wurde, dürfte die sein, dass es ihn noch gibt. Mehr denn je im Verborgenen, aber ja: Er selbst feiert sein Jubiläum am 9. Mai von 15 bis 18:30 Uhr im Gewerkschaftshaus Nürnberg. Raum „Burgblick“, 7. Stock, wie die Einladung verheißt. Selbstverständlich wird die Werkkreis-Gründung aber auch in seiner Heimatstadt Dortmund gewürdigt – schon am 7. März 2020 (siehe Box).

Der Werkkreis entstand als eine Abspaltung der Dortmunder „Gruppe 61“. Sie wollte zwar die Arbeitswelt in den Vordergrund rücken, wirkte aber mit ihrem Festhalten an der bürgerlichen Ordnung des Grundgesetzes für Autoren wie Günter Wallraff, Max von der Grün, Erika Runge, Angelika Mechtel und Erasmus Schöfer im Zuge der ‘68er-Revolte nicht radikal, nicht systemkritisch genug. Und zu weit weg von dem, was damals gerne für das Proletariat gehalten wurde. Der Werkkreis sollte den schreibenden noch mehr als den lesenden Arbeiter hervorbringen, der gemeinsam mit anderen an seinen Texten schliff und feilte. Am 7. März schlossen sich literarische „Werkstätten“ an neun Standorten zusammen, darunter das Essener Jugendzentrum Papestraße, die Gelsenkirchener Stadtbücherei mit dem Leiter Hugo Ernst Käufer und die in Köln mit dem langjährigen Werkkreis-Motor und DKPisten Erasmus Schöfer.

Die Werkkreis-Literatur sollte sozialistischer Realismus sein

Das Konzept lebte weitgehend von der Idee. Die Mitglieder, vor allem aber die Funktionäre, waren zum allergrößten Teil bürgerlich. Und vielfach handelte es sich um Autoren, die ahnen mochten, dass sie angesichts ihrer literarischen Qualitäten allenfalls auf dem Schild einer sozial-kulturellen Bewegung zu einer Veröffentlichung kommen konnten. 1968 hatte (ausgerechnet!) Hans Magnus Enzensberger im „Kursbuch“ ja ohnehin den „Tod der Literatur“ verkündet, womit die „bürgerliche“ gemeint war, die auch in der DDR als „formalistisch“ verachtet wurde. Die Werkkreis-Literatur sollte sozialistischer Realismus sein, dokumentarisch statt dichterisch, kämpferisch und parteilich statt künstlerisch.

Immerhin: Bis 1988 erschienen 60 Werkkreis-Titel mit einer Gesamtauflage von über einer Million Büchern als S.Fischer-Taschenbücher; dann aber kündigte der Verlag, mangels Absatz. In Hoch-Zeiten hatte der Werkkreis fast 500 Mitglieder; aber selbst aus Sicht des zeitweiligen Ersten Sprechers Horst Hensel waren zu viele „menschheitsbeglückende Germanistik-StudentInnen und VHS-Muttis“ darunter, als dass die ursprünglichen Ziele hätten verwirklicht werden können. Werkkreis-Mitglied Erika Runge, die 1968 die dokumentarischen „Bottroper Protokolle“ mit Stimmen von wirklichen Werktätigen veröffentlicht hatte, erkannte im Rückblick: „Wer den ganzen Tag schwer schuftet, der liest abends nicht noch Bücher oder schaut politische Filme. Menschen sind auch viel individueller als wir früher dachten. Die lassen sich nicht in Raster stecken.“

Vereinsmeiereien, Richtungskämpfe und Ausschlüsse aus dem Werkkreis

Nicht wenig Energie steckten manche Werkkreis-Mitglieder darein, sich untereinander zu zerfleischen, es gab Vereinsmeiereien, links-irrlichternde Richtungskämpfe und sogar stalinistisch anmutende Ausschlüsse wegen „werkkreisschädigenden Verhaltens“. Aus der Gelsenkirchener Werkstatt aber gingen immerhin Autoren wie Michael Klaus, Volker W. Degener oder Klaus-Peter Wolf hervor.