Essen. . Nanu, so leise heute? Um 14.15 Uhr könnte es an diesem Mittwoch ruhiger werden. Für 15 Sekunden. Falls jemand aktiv am „Tag gegen den Lärm“ mitmacht. Doch was Lärm genau ist, ist nicht eindeutig definiert. Vor allem offenbart sich ein sehr menschliches Dilemma: zu laut sind immer die anderen.
Es sind Ketten, die vor Container schlagen, und Metallschrott, der auf Kopfsteinpflaster kracht. Direkt oberhalb von einem Schrotthändler leben die Anwohner an der Salmuthstraße im Hagener Ortsteil Rummenohl. Der Lärm nervt Anwohner dort seit Jahren. Längst ist der Fall auch vor Gericht. 1,4 Millionen Menschen in NRW sind von gesundheitsschädlichen Lärmpegeln geplagt, schätzt man im NRW-Umweltministerium. An diesem Mittwoch steht das Thema Lärm dort dick unterstrichen im Kalender. Weil internationaler „Tag gegen den Lärm“ ist.
Für viele Menschen in NRW, wie die Anwohner in Hagen Rummenohl, ist jedoch täglich „Tag gegen den Lärm“: Am Niederrhein, zum Beispiel, kämpfen Anwohner gegen den wachsenden Lärm von Güterzügen auf der Betuwe-Linie. Alleine 40 Bürgerinitiativen lärmgeplagter Bahnanwohner zählt man bundesweit. Hinzu kommen Fluglärmgegner, wie etwa in Düsseldorf und Köln. Autobahnen und Industrieanlagen sind umkämpft, und Windkraftanlagen – weil auch sie Lärm machen. Gegen Sportanlagen, Spielplätze und Kindertageseinrichtungen ziehen Menschen zu Felde. Weil sie sie als zu laut empfinden. Und: Wer hat sich noch nie über Lärm von Nachbarn aufgeregt? Wer lässt im Sommer die Fenster geschlossen, weil die Straße davor so laut ist?
"Lärm ist unerwünschtes Geräusch"
Dabei ist eine konkrete Definition von Lärm schwierig. Messwerte drücken es nur schwer aus. Im Landesumweltamt NRW hat man eine einfacherer Definition: "Lärm ist unerwünschtes Geräusch". Aber das ist nur schwer in Verordnungen zu fassen. Die aber sind Grundlage, um gegen Lärm vorzugehen. Eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen in Deutschland versucht Lärm und Lärmschutz zu regeln.
Es gibt zum Beispiel die 16. BImSchV, die 24. und die 32. BImSchV. Es gibt das „Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm“. Ergänzt wird es durch die Erste, Zweite und Dritte Verordnung zur Durchführung dieses Gesetzes. Es gibt die EU-Umgebungslärmrichtlinie, die Sportanlagenlärmschutzverordnung und die TA Lärm. Es gibt sogar eine Magnetschwebebahnlärmverordnung, obwohl es in Deutschland längst keine Magnetschwebebahn mehr gibt. Vielfach gehen die Regelungen an der Praxis vorbei. Denn eines fehlt: eine „Gesamtlärm-Bewertung", die Betroffenen besser helfen würde. Weil Lärm oft nicht einer Quelle zuuordnen ist, da er sich überlagert.
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„Lärm ist bei uns Quellenbezogen geregelt“, erklärt dazu Elke Stöcker-Meier, Expertin im NRW-Umweltministerium. Das heißt: es gibt die verschiedensten Grenzwerte, je nachdem woher die Geräusche stammen: So wird zwischen Sport-, Freizeit, Gewerbe- und Verkehrslärm unterschieden. Und auch, wo Lärm wahrgenommen wird: An „Krankenhäusern, Schulen, Kurheimen und Altenheimen“ muss es etwas leiser sein als „in reinen und allgemeinen Wohngebieten und Kleinsiedlungsgebieten“; etwas lauter zugehen darf es wiederum in „Kerngebieten, Dorfgebieten, Mischgebieten und im Außenbereich“ von Siedlungen, und noch lauter sein darf man in Gewerbegebieten. Das Ergebnis: Zu laut ist nicht überall gleich laut. Und manchmal ist „zu laut“ überhaupt nicht definiert: „An bestehenden Straßen gibt es keine Lärm-Grenzwerte“, sagt Elke Stöcker-Meier. Das bedeutet auch: Solange eine bestehende Autobahn nicht erweitert wird, muss dort auch kein Lärmschutz hin.
Bahnstrecken wirken nachts besonders laut
Es gibt noch mehr Ungereimtheiten. „Anwohner an einer Bahnstrecke müssen mehr Lärm hinnehmen, als Anwohner eines Flughafens“, sagt etwa Uwe Ritterstaedt, Vorsitzender der Bundesvereinigung gegen Schienenlärm in Neuss. „Schon die Bemessung von Lärm ist ein Problem“, sagt Ritterstaedt. Die Messgröße Dezibel werde der tatsächlichen Belastung kaum gerecht, „weil damit so getan wird, als wäre die Menge an Schall-Energie gleichmäßig auf die Messzeit verteilt“.
Tatsächlich sei dafür auch die psychologische Wirkung von Lärm entscheidend. „Autobahnen wirken nachts leiser als tagsüber, weil der Schallpegel dort eher gleichförmig ist“, erklärt Ritterstaedt, der beruflich als Lärmgutachter arbeitet. Schienenlärm dagegen „wirkt nachts lauter“. Das Problem dort sind die heftigen„Pegeländerungen“ – der plötzliche Wechsel von leise zu laut: „Das erzeugt Wachheit“, sagt Ritterstaedt. Und es sorgt dafür, dass viele Menschen – wie auch an Flughäfen mit Nachtflug-Öffnung – nachts kaum in den Schlaf finden.
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"Jede Lärmpegel über 55 Dezibel in der Nacht kann langfristig die Gesundheit gefährden“, sagt Elke Stöcker-Meier – ein Schallpegel, der laut Landesumweltamt NRW dem eines fahrenden Autos aus zehn Metern Abstand entspricht oder Bürogeräuschen und als „mäßig laut“ empfunden wird. Die Schmerzgrenze liegt bei 130 Dezibel - Presslufthammerlärm aus einem Meter Abstand.
Bürger können online sehen, wie laut es an ihrem Wohnort ist
Doch auch deutlich geringere Schallpegel können krank machen, selbst solche, die man nicht als störend wahrnimmt. Denn Krach macht dem Körper Stress. Das lässt den Blutdruck steigen, das Herz schlägt schneller und die Blutgerinnung wird aktiviert. Schätzungen nach sollen in Deutschland etwa 4000 Herzinfarkte jährlich durch Straßenverkehrslärm entstanden sein.
Grund genug, dass die Umgebung leiser werden soll. Auch dazu gibt es zig Verordnungen. Seit 2007 etwa muss Lärm EU-weit kartiert werden. Bürger mittlerweile online sehen, wie laut es an ihrem Wohnort ist. Die jüngsten Lärmkarten stammen von 2012. Die Folge: Belastete Kommunen in NRW sind gehalten, „Lärmaktionspläne“ aufzustellen. Mehr als 100 gibt es bereits in NRW. Noch aber fehlen wichtige Daten in den Lärmkartierungen. Das Eisenbahnbundesamt etwa kommt nicht hinterher aufzulisten, wie viele Menschen vom Lärm an Bahnanlagen geplagt sind. Bis 2015 soll jeder sehen können, was er vor Ort aushält. Und wo die Bahn, die bis 2020 den Zuglärm halbieren will, was gegen Lärm tun muss. Was die Kommunen tun, sieht man am Beispiel von Essen: Insgesamt 18 Punkte hat etwa der Lärmaktionsplan der Stadt Essen, damit es in der Stadt leiser wird. Helfen dabei sollen unter anderem Flüsterasphalt, Geschwindigkeitsbegrenzungen, bessere Radwege, ein Lkw-Lenkungskonzept und Arbeitshilfen für Hausbesitzer.
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"Was sind wir bereit, für Lärmschutz zu akzeptieren?"
Doch Forscher wie der Stuttgarter Akustik-Professor Philip Leistner weisen auf ein anderes Problem in punkto Lärm hin: „Wir müssen uns auch fragen, was sind wir bereit, für weniger Lärm zu tun und was wollen wir dafür akzeptieren“. Welche Autofahrer befürworten Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen? Wohl nur solche, die dort wohnen und vom Tempo-50-Lärm genervt sind. Wer denkt beim sommerlichen Heimkino-gucken daran, dass die Nachbarn mithören (müssen), weil das Fenster offen steht? „Wir verhalten uns vielfach schizophren“, beobachtet Leistner: "Oft beklagen wir uns über Lärm, den wir selbst andernorts mitproduzieren" - zum Ärger anderer. Und: oft waren wir den Tag über bereits soviel Lärm ausgesetzt, dass am Abend, wenn die Ruhephase beginnt, eine vergleichbare Kleinigkeit "das Fass zum überlaufen bringt", sagt Leistner.
Elke Stöcker-Meier im NRW-Umweltministerium weist ebenfalls darauf hin, dass es eine Art Betroffenen- und Verursacher-Schere beim Thema Lärm gibt, die immer weiter auseinander geht: 44 Prozent aller Beschwerden bei Behörden drehten sich ums Thema Lärm. Weit mehr als etwa bei Gestank oder Luft. Gleichzeit aber „werden die Forderungen gegen Lärmschutz immer größer“, etwa bei Freiluftveranstaltungen. „Wir in Behörden kommen deshalb immer erstmal als Spaßverderber rüber“, sagt Stöcker-Meier.
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„Leise Kommunen“ heißt das Thema einer Tagung, die an diesem Mittwoch in Bochum zum „Tag gegen den Lärm“ Vertretern von Städten und Gemeinden ins Bewusstsein rufen will, wie Lärm vermieden werden kann. Stöcker-Meier geht es dabei weniger um Lärmschutzwände und Flüsterasphalt: „Wir müssen auch wieder ein Bewusstsein für Ruhezeiten schaffen“ - zum Beispiel bei städtischen Betrieben wie Gartenamt oder Müllabfuhr. Jeder sollte sich diese Regeln in Erinnerung rufen, meint sie. Um 14.15 Uhr kann man deshalb ausprobieren, was das heißt: Um „15 Sekunden Ruhe“ bitten dann die Initiatoren des Tages gegen den Lärm. Ob wer mitmacht?