Leipzig. Mehr als sechs Millionen Frauen in Deutschland schützen sich mit der Pille vor einer ungewollten Schwangerschaft. Doch die Pille gerät immer wieder in die Kritik. Während in Frankreich die Debatte um das Thromboserisiko neuen Auftrieb erhalten hat, sind die Reaktionen hierzulande verhalten.

Dass Antibaby-Pillen nicht ohne Nebenwirkungen sind und das Thromboserisiko erhöhen können, ist lange bekannt. In Frankreich hat die Debatte - ausgelöst durch eine Klage gegen den deutschen Pharma-Konzern Bayer - nun wieder neuen Auftrieb bekommen und beschäftigt sogar die europäischen Arzneimittel-Prüfer. In Deutschland sind die Reaktionen bislang eher verhalten. Gynäkologen warnen aber vor einer Verunsicherung der Patientinnen.

Mehr als sechs Millionen Frauen in Deutschland schützen sich mit der Pille vor einer ungewollten Schwangerschaft. In seltenen Fällen können sie durch die Hormonpräparate Blutgerinsel entwickeln, die Lungenembolien und Schlaganfälle auslösen oder im Gehirn auftreten. Vor allem die Pillen der dritten Generation stehen in der Kritik. Studien zufolge ist ihr Thromboserisiko mit bis zu 40 Fällen pro 100.000 Frauen im Jahr etwa doppelt so hoch wie bei Pillen der zweiten Generation.

Auch neuere Pillen mit dem Wirkstoff Drospirenon wie Yasmin, Yaz oder Petibelle, die sehr häufig verordnet werden, haben demnach ein ähnlich hohes Risiko. Kritiker fordern seit langem einen Verkaufsstopp für diese Pillen. Zum Vergleich: Das Thromboserisiko bei Frauen, die keine hormonellen Verhütungsmittel nehmen, liegt bei bis zu zehn Fällen pro 100.000 Frauen jährlich.

Klage gegen Bayer-Konzern

In Frankreich wurde die Debatte unter anderem durch die im Dezember eingereichte Klage einer jungen Frau gegen Bayer neu angeheizt. Die Französin, die die Pille Meliane einnahm, erlitt 2006 einen Schlaganfall und ist seitdem schwerbehindert. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) stellt die Pillen der dritten und vierten Generation deshalb nun auf den Prüfstand. Auch das häufig als Verhütungsmittel verschriebene Akne-Medikament Diane 35 will die EMA unter die Lupe nehmen, nachdem die französische Arzneimittelaufsicht angekündigt hat, das Mittel vom Markt zu nehmen.

In Frankreich werden vier Todesfälle als Folge von Thrombosen mit Diane 35 in Verbindung gebracht. In Deutschland hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn wiederholt auf die Risiken der modernen Antibaby-Pillen verwiesen. "Wir empfehlen, vor allem bei Erstanwenderinnen das Thromboserisiko zu berücksichtigen und Pillen der zweiten Generation zu bevorzugen", sagt ein Behördensprecher. Die Verschreibung von Diane 35 werde in Deutschland ohnehin "sehr restriktiv" gehandhabt.

Thromboserisiko nicht allein von der Zusammensetzung der Pille abhängig 

Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft rät, Frauen unter 30 Jahren bevorzugt Pillen der zweiten Generation zu verschreiben, auch wenn "aus kosmetischen Gründen" häufig Drospirenon-haltige Pillen zur Gewichtsreduzierung und Bekämpfung von Akne genommen würden. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) weist allerdings darauf hin, dass das Thromboserisiko nicht allein von der Zusammensetzung der Pille abhängig ist.

Es gebe viele weitere Risikofaktoren wie Übergewicht, mangelnde Bewegung, Rauchen, höheres Alter, Schilddrüsenprobleme oder eine familiär bedingte Neigung zur erhöhten Blutgerinnung. "Man kann nicht einfach sagen: Das Gestagen allein ist für die Thrombose verantwortlich, hier gibt es eine Vielzahl an Einflussfaktoren", sagt DGGG-Vorstandsmitglied Bettina Toth.

"Es geht hier nicht um Lifestyle"

Auch die Debatte um Diane 35 als vermeintliches Lifestyle-Mittel kann die Medizinerin von der Uniklinik Heidelberg nur schwer nachvollziehen. Es sei bei Frauen mit ausgeprägter Akne gut wirksam. "Es geht hier nicht um Lifestyle, sondern um handfeste medizinische Probleme bei extrem belasteten Frauen", betont sie.

Zugleich warnt Toth vor Verunsicherung der Frauen. "Wer die Pille absetzt und auf eine andere umsteigt, hat erneut in den ersten zwölf Monaten ein erhöhtes Thromboserisiko." Der Arzt Wolfgang Becker Brüser, Herausgeber des pharmakritischen "Arznei-Telegramms", begrüßt die neue Pillen-Debatte. Dadurch werde die Öffentlichkeit stärker sensibilisiert. "Man muss junge, gesunde Frauen nicht unnötig Risiken wie einer Lungenembolie aussetzen", ist Becker-Brüser überzeugt. (AFP)