Essen. Wer die Anti-Baby-Pille nimmt, will verhüten - unkompliziert, sicher, sorglos. Doch was, wenn die Präparate der neuesten Generation krank machen? Studien sehen ein deutlich erhöhtes Thrombose-Risiko durchs Gestagen Drospirenon, betroffene Patientinnen fordern ein Verkaufsverbot der Pillen. Hersteller und Frauenärzte dagegen beschwichtigen: Das Nutzen der Pille sei nach wie vor größer als ihr Risiko.

Vor etwas mehr als 50 Jahren revolutionierte eine Tablette die Sexualität, heute gehört sie für viele Mädchen und junge Frauen ganz selbstverständlich zum Erwachsenwerden dazu: Die Anti-Baby-Pille ist das am meisten verwendete Verhütungsmittel in Deutschland; jede zweite Frau, die verhütet, tut das mithilfe der Pille.

Was für die Patientinnen einen möglichst sicheren Schutz vor Schwangerschaften, mitunter auch positive Nebeneffekte wie weniger Regelschmerzen oder einen planbaren Zyklus, bedeutet, ist für Pharmafirmen ein großes Geschäft: Millionenfach wandern die Packungen von Pillen mit so zart klingenden Namen wie Valette, Lamuna, Petibelle oder Yasmin über die Ladentische deutscher Apotheken, und allein Bayer Schering setzte mit seinen erfolgreichsten Präparaten Yasmin, Yasminelle und Yaz im vergangenen Jahr knapp 1,1 Milliarden Euro um.

Doch da ist auch die Schattenseite sorgloser Verhütung - Nebenwirkungen und Gesundheitsgefahren, die die Hormonpillen mit sich bringen. Die Pillen der neuesten Generation stehen im Verdacht, ein deutlich erhöhtes Risiko für Blutgerinnsel, also Thrombosen und daraus resultierende Lungenembolien, zu verursachen. Was aber bedeutet das? Wie gefährlich sind die neuen Pillen? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:

Worum geht es?

Die meisten Anti-Baby-Pillen wirken durch eine Kombination der weiblichen Hormone Östrogen und Gestagen - deshalb werden sie von Medizinern "Kombinierte Orale Kontrazeptiva" (KOK) genannt. Die anfänglich hohe Östrogen-Dosis wurde über die Jahre immer weiter reduziert. Außerdem wurden die Gestagene weiterentwickelt.

Streitobjekt sind jetzt die Pillen der neuesten Generation mit dem Gestagen Drospirenon, zum Beispiel das im Jahr 2000 auf den Markt gebrachte Präparat Yasmin von Bayer Schering. Drospirenon werden im Gegensatz zu anderen Gestagenen (z.B. Levornogestrel) positive Nebeneffekte zugeschrieben - es soll Wassereinlagerungen vorbeugen und etwa gegen leichte Akne helfen.

Wie hoch ist das Thrombose-Risiko bei Einnahme der Pille? 

Fest steht: Jede Anti-Baby-Pille erhöht das Risiko für venöse Blutgerinnsel. Und generell gilt: Je höher die Östrogen-Dosis, desto größer die Gefahr einer Thrombose. Mit sinkendem Östrogen-Anteil wurde dieses Risiko über die Jahre also verringert. Doch auch die verschiedenen Gestagene bergen verschieden große Risiken. So verteilt sich die Thrombose-Gefahr laut Bundesinsitut für Arzneimittel und Medizinprodukte:

Von 100.000 Frauen zwischen 15 und 44 Jahren, die nicht hormonell verhüten und nicht vorbelastet sind, erkranken statistisch fünf bis zehn pro Jahr an einer Thrombose.

Bei Pillen der 2. Generation mit dem Gestagen Levornogestrel sind es 20 von 100.000 Frauen pro Jahr.

Bei Pillen der 3. Generation mit den Gestagenen Desogestrel und Gestogen sind es 30 bis 40 von 100.000 Frauen pro Jahr.

Faktoren, die das Thromboserisiko zusätzlich erhöhen, sind unter anderem Rauchen, Übergewicht und die familiäre Vorgeschichte.

Warum gelten die Pillen mit Drospirenon als gefährlicher?

Die Studien zum Thrombose-Risiko stammen größtenteils aus den 1990er-Jahren - lange war deshalb nicht geklärt, welches Thrombose-Risiko das erst später verwendete Drospirenon mit sich bringt. Erste, vom Hersteller finanzierte Studien gingen von einem Risiko aus, das vergleichbar mit jenem der zweiten Pillen-Generation war.

Zwei neuere, im Mai 2011 veröffentlichte Untersuchungen sprechen dagegen von einem zwei- oder gar dreimal so hohen Risiko. Deshalb mussten die Hersteller in Europa im Mai 2011 ihre Informationen zu den Präparaten entsprechend ändern. Auf Anordnung der US-Gesundheitsbehörde FDA musste Bayer seine Warnhinweise für die Yasmin-Produktgruppe (Yasmin, Yasminelle, Yaz) auch in den USA im April 2012 verschärfen.

Was sagen die Drospirenon-Kritiker? 

Kritiker finden: Weil die Anti-Baby-Pille nicht zur Heilung von Krankheiten, sondern bei gesunden Frauen eingesetzt wird, müsste das Risiko-Nutzen-Verhältnis strenger gewertet werden. Für die Pharmakonzerne sind die Pillen der neuesten Generation echte Verkaufsschlager. Die Hälfte der 20 meistverkauften hormonellen Verhütungsmittel enthalte neuartige Gestagene, heißt es im Barmer GEK Arzneimittelreport 2011. Das sei aber nicht die Folge eines "rationalen Verordnungsverhalten" der Ärzte, sondern vielmehr Ergebnis des "Marketinggeklingels" der Pharmakonzerne, kritisiert Apothekerin Stanislava Dicheva in der Studie.

Die neueren Pillen seien nicht sicherer als die älteren Präparate - es gebe deshalb keinen Grund, ein möglicherweise höheres Risiko einzugehen, argumentiert Dicheva. "Von der Anwendung der Präparate mit diesen Gestagenkomponenten ist auf Grund der vorliegenden Daten unseres Erachtens abzuraten", empfehlen die Autoren des Arzneimittelreports.

Selbsthilfegruppe fordert Verkaufsverbot

Genau so argumentiert auch Susan Tabbach aus Aachen. "Es geht hier nicht um todkranke Patienten, deren letzte Hoffnung ein Medikament ist, sondern um ein Verhütungsmittel für gesunde Frauen!" Die 32-Jährige erlitt vor drei Jahren nach Einnahme der Pille Yasminelle eine Lungenembolie, gründete mit drei anderen betroffenen Frauen im vergangenen Jahr die "Selbsthilfegruppe Drospirenon Geschädigter" (SDG).

Tabbach erfüllte auf den ersten Blick keinen der Risikofaktoren: Sie ist jung, schlank, sportlich, Nichtraucherin. Die Yasminelle sei ihr von ihrer Frauenärztin regelrecht angepriesen worden - als besonders leicht dosiert und gut verträglich. Erst nach der Embolie stellte sich heraus: Tabbach hätte wegen einer genetisch bedingten Blutgerinnungsstörung nie die Pille nehmen dürfen. Geklärt hat das vor der Verordnung aber niemand.

Deshalb fordert die Selbsthilfegruppe unter anderem die Kostenübernahme für Gentests vor der Pillenverordnung durch die Krankenkasse und generell eine bessere Aufklärung. Die Betroffenen macht sich aber auch für ein Verkaufsverbot der drospirenonhaltigen Anti-Baby-Pillen stark. "Wir wollen keine Panik machen oder die Pille verteufeln", sagt Susan Tabbach. "Aber jeder hat das Recht, seine Risiken zu kennen." Es gebe keinen Grund für möglicherweise gefährlichere Pille, wenn doch die älteren Präparate genauso sicher wirkten.

Die SDG-Frauen kritisieren die Vermarktung der neuen Pillen: Schließlich würden vor allem junge Mädchen durch die vermeintlichen positiven Nebeneffekte wie reinere Haut geködert. Ein Beispiel? Die Bayer-Tochter Jenapharm etwa wirbt unter dem Motto "Schöner verhüten" in Pastelltönen für die antiandrogene Wirkung Drospirenons: "Haut und Haare werden schöner und du kannst im Spiegelbild wieder deinem strahlenden Ebenbild begegnen." Und weiter heißt es: "Antiandrogene Pillen sind das Plus in jeder Empfängnisverhütung. Mit ihnen kannst du nicht nur zuverlässig verhüten, du kannst auch etwas für Haut und Haare und damit fürs Aussehen tun." Um auf derselben Website etwas über mögliche Thrombosen zu erfahren, muss man dagegen schon sehr lange suchen.

Was sagt Bayer zur Thrombose-Gefahr durch Drospirenon? 

Der Pharmakonzern bekräftigt das "positive Nutzen-Risikoprofil" der neuesten Pillen und pocht auf die Ergebnisse der ersten Studien. Die neuen Untersuchungen änderten nichts an der Gesamteinschätzung zur Sicherheit der Pillen, heißt es auf Nachfrage. Bayer habe mittlerweile eine sehr breite Datenbasis - und es gebe dabei "keinerlei Hinweise darauf", dass das Thromboserisiko durch Drospirenon höher sei als bei anderen niedrigdosierten Pillen, sagt Friederike Lorenzen, Sprecherin von Bayer Healthcare Pharmaceuticals.

Selbstverständlich sei die Pille ein "hochwirksames Medikament", das auch Nebenwirkungen haben könne. "Das sind keine Smarties!" Yasmin sei aber sehr gut verträglich, "wenn es indikationsgemäß eingesetzt wird", sprich: wenn der Frauenarzt vor der Verordnung die anderen Risikofaktoren wie Übergewicht, Rauchen und familiäre Vorbelastung ausgeschlossen hat.

Millionenzahlungen nach Klagen in den USA

Bayer-Aktionäre sind indes beunruhigt durch den Wirbel, die die Pillen der Yasmin-Reihe vor allem in den USA ausgelöst haben. Dort hat der Konzern unlängst Vergleiche mit 651 Klägerinnen geschlossen, die Gesundheitsschäden durch die Pillenneinnahme geltend machten - Kosten: umgerechnet rund 107 Millionen Euro. Konzernchef Marijn Dekkers betonte auf der Aktionärsversammlung, dass die Einigungen ausdrücklich ohne Anerkennung einer Haftung erfolgt seien. Tausende Klagen sind in den USA allerdings noch offen.

In Deutschland ist bislang eine Zivilklage gegen den Konzern anhängig: Felicitas Rohrer, eine der Mitbegründerinnen der "Selbsthilfegruppe Drospirenon Geschädigter", verlangt nach ihrer Lungenembolie Schadenersatz und Schmerzensgeld „wegen schädlicher Wirkungen des Präparates“. Ihr Anwalt Martin Jensch erhofft sich von den Vergleichen in den USA Rückenwind für das Verfahren in Deutschland. "Die Vergleiche haben zwar keine direkte Rechtswirkung", sagt er. Aber dass Bayer in den USA offenbar teilweise einlenke, werde auch vor Gericht in Deutschland eine Rolle spielen, glaubt der Jurist.

Was sagen Frauenärzte zur Thrombose-Gefahr? 

Pillen mit Drospirenon "bergen möglicherweise ein höheres Risiko als solche, die Levornogestrel oder Norethisteron enthalten", haben die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Berufsverband der Frauenärzte im Februar 2012 in einer gemeinsamen Stellungnahme festgehalten. Drospirenon führe zu einer "geringfügig verstärkten Wasserausscheidung" - unter anderem deshalb würden die neueren Pillen "vermehrt von übergewichtigen Frauen angewandt". Darin liege aber möglicherweise das Problem: Denn Übergewicht und mangelnde Bewegung selbst seien Risikofaktoren für Thrombose.

"Es kann deshalb derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass das (...) erhöhte Thrombose-Risiko unter Drospirenon vor allem das erhöhte Thrombose-Risiko bei Übergewicht und Immobilität widerspiegelt", schlussfolgern die beiden Gynäkologen-Verbände und raten den Kollegen, vor der Verordnung der Pille alle Risikofaktoren zu überprüfen.

Frauenarzt versucht zu beruhigen

Man müsse bei jeder Medikamenteneinnahme Vorteile und Risiken gegeneinander abwägen, sagt Dr. Thomas Bärtling, NRW-Vorsitzender des Berufsverbandes der Frauenärzte. Er beruhigt: "Ich bin mir sicher, dass jede Kollegin und jeder Kollege über die Thromboseproblematik bei Pilleneinnahme aufklärt."

Drospirenonhaltige Pillen hätten einen "positiven Effekt auf unreine Haut, Regelschmerzen, Brustschmerzen und Zyklusstörungen". Diese "Vorteile werden möglicherweise mit einem geringfügig erhöhten Thrombose-Risiko erkauft", räumt der Gynäkologe ein - will das Risiko aber relativiert wissen: Das Thromboserisiko während einer Schwangerschaft sei 20- bis 30-mal so hoch wie bei der Pilleneinnahme, betont Bärtling. "Angesichts dieser Zahlen müsste man eigentlich auch vom Kinderkriegen abraten..." Er habe in seiner fast 40-jährigen Berufspraxis nur einmal eine Thrombose gesehen, die auf die Pille zurückzuführen war. "Das war bei einem Präparat der ersten Generation."

Was sollten Frauen jetzt tun? 

Was bedeutet der Streit um Risiken und Nebenwirkungen der Anti-Baby-Pille nun für Frauen? Panik und Angst sind sicher keine guten Ratgeber. Die Pille gilt zurecht als zuverlässiges Verhütungsmittel. Die Bedenken der Kritiker und die Fälle von schweren Nebenwirkungen zeigen aber: Es gibt Risiken, über die man sich als Patientin bewusst sein muss.

Wer über hormonelle Verhütung nachdenkt, sollte sich in jedem Fall ausführlich von seinem Gynäkologen beraten lassen und im Zweifelsfall einfordern, dass Risikofaktoren (Übergewicht, Rauchen, familiäre oder genetische Vorbelastungen) abgeklärt und ausgeschlossen werden. Fragen Sie Ihren Frauenarzt gezielt nach dem Thrombose-Risiko. Fragen Sie, warum er ein bestimmtes Präparat empfiehlt. Fragen Sie nach, wenn eine Pille für ihre positiven Nebeneffekte angepriesen wird und lassen Sie sich auch Alternativen zur hormonellen Verhütung aufzeigen.

Höchstes Thrombose-Risiko in den ersten Monaten

Generell gilt: In den ersten Monaten der Pilleneinnahme ist das Thrombose-Risiko besonders erhöht, anschließend sinkt es wieder. "Thrombosen, die auf die Pilleneinnahme zurückzuführen sind, treten fast ausschließlich im ersten Jahr der Einnahme auf", erklärt Frauenarzt Dr. Thomas Bärtling.

Wer die Pille nimmt, sollte dafür sorgen, das Risiko für Nebenwirkungen durch das eigene Verhalten nicht noch zu erhöhen. Heißt: am besten nicht rauchen. Bei Anzeichen für eine Thrombose (Schwellung des Beines, Schmerzen im Bein, unerklärliche Atemnot, plötzlich auftretender Husten, Brustschmerz, Schwindel, unregelmäßiger Herzschlag) sollte ein Notarzt verständigt und auf die Pilleneinnahme verwiesen werden.

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