Berlin. . In Deutschland arbeiten laut „Caritas“ bis zu 200 .000 Haushaltshilfen aus Osteuropa. Die sozialen Folgen in den Herkunftsländern sollen fatal sein: Es gebe dort Millionen „Sozialwaisen“, weil Mütter und Väter Arbeit im Ausland suchen. Die Bundesregierung tue nichts, um die Pflege in geordnete Bahnen zu lenken.

Die Haushaltshilfen, die aus Osteuropa stammen und in Deutschland arbeiten, sind selten sozialversicherungspflichtig beschäftigt. In seinem Jahresbericht, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde, beklagt das katholische Hilfswerk Caritas sowohl die prekären Jobs als auch die sozialen Folgen für die Herkunftsländer. Auch dort fehlen Kräfte, auch dort nehme der Pflegenotstand zu. Außerdem wachsen immer mehr Kinder ohne ihre Eltern auf, weil ihre Mütter oder Väter ins Ausland gehen. In der Ukraine leben schätzungsweise fünf bis sieben Millionen solcher „Sozialwaisen“.

Caritas-Präsident Peter Neher mahnte eine Regelung für die Beschäftigung osteuropäischer Pflegekräfte an. Die jetzige Lage sei „nicht tragbar für die Betroffenen auf allen Seiten“. Von der Bundesregierung sei er „enttäuscht“: Sie habe keine durchgreifende Pflegereform zustande gebracht.

Zum Gesundheitsministerium hat es Prälat Peter Neher in Berlin nicht weit. Er muss einmal über die Straße gehen und links abbiegen, 200 Meter vom Haus der Caritas. Aus der Nähe darf man keine eiligen Schlüsse ziehen. Was der Verbandspräsident der Caritas dort zu hören bekommt, ärgert ihn. Es sind zumeist Antworten der Preisklasse „politisch nicht umsetzbar“, „Geld nicht da“, „die Einigung ist nicht erreichbar“.

"Pflegemigration" aus Osteuropa

Die Regierung ist seit Jahren politisch säumig, ganz gleich, welche Partei gerade regiert. Neher vermisst eine Pflegereform, mehr Geld und vor allem Sensibilität für die Pflegemigration aus Osteuropa: „Wir sind Zeuge eines Dominoeffekts“. Osteuropäische Kräfte schließen die Lücken in Deutschland und helfen alten Menschen, länger in ihrer häuslichen Umgebung zu leben. „Dadurch werden aber neue Lücken in der Pflege in Osteuropa gerissen“. Inzwischen macht auch dort das Wort vom „Pflegenotstand“ die Runde.

Die Caritas ist nahe dran. Sie unterhält 450 Sozialstationen, gerade mobile Alten- und Krankenpflege-Projekte, in Staaten wie Russland, Armenien, Bosnien, Georgien, Kosovo, Ukraine oder Serbien-Montenegro. Es wird von Jahr zu Jahr schwerer, den Stand zu halten, weil auch dort mehr Menschen älter werden und weil es die Pflegekräfte ins Ausland zieht. Es ist kein Zufall, dass gleichzeitig die Zahl der „Sozialwaisen“ wächst, der Kinder also, deren Vater oder Mutter im Ausland leben.

Pflegenotstand auch in Osteuropa

Die Caritas spürt es in ihren Straßenkinder-Projekten. Angeblich gibt es in der Ukraine bis zu sieben Millionen solcher Kinder. Nur in Deutschland und allein bei den Haushaltshilfen wird die Zahl der osteuropäischen Kräfte auf 100.000 bis 200.000 geschätzt. Davon werden lediglich 2000 bis 3000 regulär und sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Wenn sie aus der Ukraine oder Serbien kommen, die nicht EU-Mitglieder sind, reisen sie meist illegal ein. Wohingegen Rumänen und Bulgaren inzwischen legal in Deutschland sind, häufig aber „schwarz“ beschäftigt werden. Das System, so Neher, schaffe „Verlierer auf beiden Seiten.“ Die Menschen leben isoliert und ohne ausreichende Sprachkenntnisse und soziale Absicherung in Deutschland. Und ihre Arbeitgeber bewegten sich im Graubereich von Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung, nur weil sie ihren Angehörigen menschenwürdiges Altern ermöglichen wollen, so Neher.

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Von Marc-Andre Podgornik

Nach seiner Beobachtung werden die illegalen, halblegalen und irregulären Zustände geduldet. Es gebe zu wenige Ansätze des Gesetzgebers, „gestaltend zu wirken“. Der Verbandspräsident fordert von der Politik ein „Ende des Wegschauens“ und eine Regelung für die Beschäftigung osteuropäischer Pflegekräfte. Neher mahnt, es sei wichtig zu erkennen, „dass die Frage, wie wir in Deutschland die Pflege organisieren, gravierende Folgen für die Herkunftsländer haben kann“. Die Zahlen, die er nennt, sind geschätzt, was in der Natur der Schwarzarbeit liegt. Die Probleme aber sind real und dürften sich sogar noch verschärfen.

Deswegen schlägt Neher nicht nur den Weg zum Gesundheitsminister um die Ecke ein, sondern wendet sich direkt an die Öffentlichkeit. Er will nicht länger die „große Enttäuschung“ über die Bundesregierung verhehlen. 2013 steht die nächste Wahl an, ob es bis dahin noch was wird mit der großen Pflegereform? Neher hat da Zweifel.