Parsberg. . Es klingt zunächst nach einem Horrorfilm: Patienten aus ganze Europa werden in einer Klinik eingesperrt, die vergitterten Fenster erschweren die Flucht. Zum Schutz der Allgemeinheit sind hier Tuberkulose-Kranke eingewiesen, die sich nicht an die Quarantäne-Vorschriften gehalten haben.
"Wir sind kein Gefängnis hier. Wir sind ein Krankenhaus!" Ralf Mütterlein ist ärztlicher Direktor der "Fachklinik für Lungen- und Bronchialheilkunde" am Bezirkskrankenhaus Parsberg in der Oberpfalz. Das mit dem Gefängnis muss der 60-jährige Mediziner extra dazu sagen. Denn in seinem Krankenhaus gibt es kein einziges Fenster ohne Gitter.
Eine mehrere Meter hohe Betonmauer mit Stacheldraht zieht sich um das Areal und ein Sicherheitsdienst ist Tag und Nacht in Bereitschaft. Die Klinik ist einzigartig in Deutschland. Mütterleins Patienten sind mit Tuberkulose infiziert. Und kein einziger von ihnen ist aus freien Stücken hier.
Patient auf richterliche Anordnung
In Parsberg werden Patienten aufgenommen, die Kraft richterlicher Anordnung von der Allgemeinheit ferngehalten werden – wegen Ansteckungsgefahr. 30 Plätze hält die Klinik vor, im Bedarfsfall kann aufgestockt werden. Bei den Patienten handelt es sich häufig um Suchtkranke, um Schizophrene oder um Demenzkranke, die mit ihrer TB-Infektion zu einer Gefahr für andere Menschen werden.
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Die Parsberger nennen das Krankenhaus scherzhaft den "oberpfälzer Zauberberg", in Anspielung auf Thomas Manns Roman über ein Lungensanatorium. Mütterlein ist seit gut zweieinhalb Jahrzehnten Chef der Einrichtung. Auf der Station dürfen sich seine Patienten frei bewegen.
Die Einrichtung ist schlicht – keine Spur vom mondänen Luxus eines schweizer Sanatoriums à la Thomas Mann. Es gibt Aufenthaltsräume mit Fernseher, eine Teeküche mit kleiner Kochgelegenheit. Im Kühlschrank hat jeder Bewohner ein eigenes Fach. Im Freizeitraum stehen Kickerautomaten und ein Billardtisch. Ein paar Einschränkungen werden dennoch gemacht: So dürfen die Balkone des Klinikbaus seit Jahren nicht mehr betreten werden. "Da haben dann ein paar Patienten die Bettlaken zusammengeknotet und versucht, sich abzuseilen", erinnert sich Mütterlein.
Für die richterlichen Zwangseinweisungen in das Parsberger Krankenhaus schafft Paragraph 30 des deutschen Infektionsschutzgesetzes die nötige Rechtsgrundlage. In solchen speziellen Fällen erlaubt der Gesetzgeber eine Einschränkung des Grundrechts der Freiheit der Person.
Ein Patient kostet 300.000 Euro
Kein anderes Land auf der Welt geht mit derartiger Konsequenz gegen die Tuberkulose vor, sagt Lungenspezialist Mütterlein. Dass andere Länder hier weniger Ambitionen zeigen, hat nach den Worten des Klinikchefs einen ganz einfachen Grund: Die Zwangsunterbringung ist extrem teuer. Der Aufenthalt eines einzigen Patienten in Parsberg kostet bis zu 300.000 Euro, rechnet Mütterlein vor. Mütterleins Publikum ist international. Derzeit leben Patienten aus 14 verschiedenen Nationen in dem geschlossenen Krankenhaus, gut die Hälfte von ihnen stammen aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion.
Vor allem in den Gefängnissen Osteuropas wütet der TB-Erreger. Mütterlein spricht von der "typisch russischen Knast-Tuberkulose". Im osteuropäischen Strafvollzug würde eine effektive Gesundheitskontrolle "fast vollständig" fehlen. Die Behandlung der Patienten erfolge dann oftmals mit unzureichender Medikamentation, klagt Mütterlein. Auf diese Weise könnten sich immer häufiger multiresistente Erreger herausbilden - mit gravierenden Folgen. Denn während eine einfache Tuberkulose in sechs bis neun Monaten auskuriert ist, kann der Heilungsprozess bei einer multiresistenten Variante bis zu drei Jahre dauern.
Ein hoffnungsloser Kampf
Warum aber landen so viele Patienten aus Osteuropa ausgerechnet in Parsberg? "Es gibt einen regelrechten Tuberkulose-Tourismus nach Deutschland", sagt Ralf Mütterlein. Die Patienten würden zunächst ärztliche Hilfe in offenen Einrichtungen suchen. Wer sich dort nicht an die Quarantäne-Bestimmungen hält, dem drohe eben die Einweisung in Deutschlands einzige Fachklinik mit Zwangsunterbringung.
Weltweit zehn Millionen Infizierte, drei Millionen Tote jedes Jahr: Der Kampf gegen die Tuberkulose ist nicht zu gewinnen, sagt Mütterlein. "Eine normale Tuberkulose: da lachen wir doch heute drüber", sagt Mütterlein. Aber die multiresistenten Erreger, die immer häufiger aus Osteuropa eingeschleppt werden, bereiten dem Klinikchef Sorgen. "Das Problem wird irgendwann explodieren." (dapd)