Essen. . Holger Stromberg ist der Küchenchef der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Im Interview lüftet er manches Berufs-Geheimnis. Und das hat nicht nur mit der Kochkunst für Hochleistungssportler zu tun.

„Ich kriege eine Gänsehaut, wenn ich erlebe, wie viel die Spieler über Essen wissen wollen“, sagt Holger Stromberg, Küchenchef der Deutschen Fußballnationalmannschaft. Der im Ruhrgebiet geborene und aufgewachsene Sternekoch trägt seinen Teil dazu bei,dass das DFB-Team derzeit einen Fußball spielt, der Feinschmecker mit der Zunge schnalzen lässt.

Herr Stromberg, erzählen Sie doch mal, was organisatorisch alles ansteht, wenn Sie als Koch der Nationalmannschaft im Einsatz sind?

Holger Stromberg: In der Regel reise ich einen Tag vorher an, um alles vorzubereiten und zu sehen, wie die örtlichen Gegebenheiten sind. Es kommt in der Vorbereitung immer auf die Voraussetzungen in den Hotels und Städten vor Ort an. Wenn das verfügbare Angebot an Grundprodukten, zum Beispiel bei Auswärtsspielen, eingeschränkt und der Weg von der Küche zu den abgeschirmten Gemeinschaftsräumen des Teams lang ist, dann wirkt sich das schon auf die Möglichkeiten aus, die ich beim Kochen habe. Und die Spieler sind sensibel genug, das auch wahrzunehmen. Aber ich kann ja nicht einfach in der Küche des jeweiligen Hotels, das ja noch zahlreiche andere Gäste zu versorgen hat, aufkreuzen und sagen ‚Ab jetzt hört hier alles auf mein Kommando’.

In langen Trainingslagern bei einer Turniervorbereitung ist das aber doch anders, oder?

Stromberg: Ja, bei längeren Trainingslagern und bei großen Turnieren sind die Rahmenbedingungen natürlich schon anders. Am besten ist es, wenn ich die Küche direkt neben dem Speiseraum habe, wie bei der WM in Südafrika, da kann ich richtig zaubern.

Morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein König, abends wie ein Bettelmann. Ist das Frühstück auch für einen Fußballprofi die wichtigste Mahlzeit?

Stromberg: Frühstück ist ganz wichtig, und wir sehen schon zu, dass jeder Spieler dann auch Nahrung aufnimmt. Denen, die nicht zum Frühstück kommen, legen wir noch mal nahe, wie wichtig die Energieaufnahme am Morgen ist. Aber schlussendlich müssen die Spieler selbst entscheiden, ob und was sie essen. Das ist wichtig. Als Betreuer sind wir allerdings darauf bedacht, die bestmöglichen Dinge bereitzustellen. Ich kann nicht für 23 Spieler individuell kochen, deshalb stelle ich immer ein Buffet zusammen, das möglichst vielseitig ist und sowohl die unterschiedlichen ernährungsphysiologischen Optionen berücksichtigt als auch kulinarische Vorlieben.

Wichtig bei der Zusammenstellung ist das ausgewogene Verhältnis zwischen Kohlenhydraten, Eiweiß und gesunden Fetten. Allerdings wird ein Manuel Neuer seinen Schwerpunkt eher auf eiweißreiche Kost legen, Feldspieler wie Bastian Schweinsteiger oder Mesut Özil, die viel laufen müssen, benötigen dagegen sehr viel mehr Kohlenhydrate. An Trainingstagen wird mittags leicht und vergleichsweise wenig gegessen. Hauptsächlich Salat, kombiniert mit Geflügel oder Fisch, nur wenig Pasta. Da nachmittags in der Regel noch eine Übungseinheit ansteht.

Holger Stromberg - Gezielte Ernährung ist entscheidend 

Es wird in Sachen Ernährung also schon eingewirkt.

Stromberg: Auch unsere Fitnesstrainer unterstreichen, dass eine gezielte Ernährung entscheidend ist. Natürlich kannst du nicht allein mit gutem Essen eine erfolgreiche Mannschaft formen. In Amerika oder Australien zum Beispiel wird dem Zusammenhang zwischen Ernährung und Leistungsfähigkeit im Sport ein viel höherer Stellenwert beigemessen als in Deutschland. Die Fußballnationalmannschaft bildet da allerdings schon eine Ausnahme. Hier ist jedem klar, dass in allen Bereichen gut gearbeitet werden muss, um langfristig Erfolg haben zu können. Wir suchen immer gemeinsam die beste Lösung.

Auch wenn Sie nicht vollständig individuell orientiert kochen können – bei Nahrungsmittelintoleranzen sind Sie aber schon besonders gefordert, oder?

Stromberg: Intoleranzen werden von mir aktiv am Buffet beraten. Ich gehe dann mit den betroffenen Spielern das Angebot durch und sage ihnen, was sie essen können und auf welche Speisen sie verzichten müssen. Zum Glück betrifft das derzeit kaum Spieler. Die aktive Beratung am Buffet ist – unabhängig von der Frage nach möglichen Intoleranzen – für mich eine vorteilhafte Situation, weil ich immer sofort ein Feedback bekomme. Derjenige, der eine Empfehlung aufnehmen soll, wird das mit Blick auf das einzelne Gericht viel leichter und unbeschwerter tun können.

Gibt es kulinarische Rituale am Spieltag?

Stromberg: Am Spieltag selber gibt es klare Rituale. Da brauche ich nicht mit einem Octopussalat kommen, den wird dann keiner nehmen. Gerichte mit komplexen Kohlenhydraten sind da wichtig. Beim so genannten ‚Pre Match Snack’, der bei uns ‚erweiterte Kaffeetafel’ heißt und etwa dreieinhalb Stunden vor dem Spiel eingenommen wird, greifen die Spieler gerne zu Pasta. Oft ist um diese Uhrzeit überhaupt noch kein Hunger vorhanden, aber die Spieler wissen, dass sie vor dem Spiel noch mal ihre Energiespeicher auffüllen müssen und zwingen sich auch schon einmal an den Esstisch.

Wird vor dem Spiel auch anders gewürzt?

Stromberg: Ja, das gehört zu den vermeintlichen Kleinigkeiten, die am Spieltag anders gemacht werden. Ich setze keine starken und scharfen Würzmittel ein, dafür eher beruhigende Gewürze und Kräuter wie Fenchel, Koriander und Anis. Fleisch wird in der Regel durchgebraten serviert und zumeist gibt es dann auch keine Rohkost. Natürlich soll die Verdauung am Spieltag nicht belastet werden. Die nötigen Kohlenhydrate liefern dann Zubereitungen wie Kartoffelpüree oder Griesbrei und Milchreis zum Dessert. Basische Gerichte aus Kartoffelprodukten als Kohlenhydratlieferant sind da oft erste Wahl, dazu durchgebratenes Fleisch und etwas Gemüse.

Das gilt dann auch für Vollkornprodukte vor dem Spiel, oder?

Auch interessant

Stromberg: Ja, damit wäre das Verdauungssystem dann auch unnötig stark beschäftigt. Ganz grundsätzlich sage ich den Spielern aber immer, dass sie sich im Umgang mit Nahrungsmitteln selbst spüren lernen müssen. Und auch im täglichen Trainingsablauf in den Vereinen herausfinden, was ihnen wann am besten bekommt und ihre Leistung und ihr Wohlbefinden am effektivsten unterstützt.

Es kursiert die Geschichte über einen Kochkurs, den Sie mal während eines Trainingslagers angeboten haben sollen. Wie ist das gelaufen?

Stromberg: Den ersten habe ich 2009 gemacht. Ich legte im Speiseraum eine Liste aus, wo sich die Interessenten eintragen konnten. Viele Leute aus dem Betreuerstab kamen zu mir und sagten ‚Holger, sei nicht enttäuscht, wenn keiner kommt’. Aber bis auf zwei Spieler kamen alle, und sie waren sehr interessiert und blieben sehr lange. Ich musste sie am Ende sogar aus der Küche scheuchen. Und ich kriege auch heute immer wieder eine Gänsehaut wenn ich erlebe, wie viel die Spieler über Essen wissen wollen. Dann weiß ich, dass ich ziemlich vieles richtig gemacht habe. Ein gutes Gefühl.

Holen sich Spieler von Ihnen auch mal Kochtipps für das Essen zuhause?

Stromberg: Viele Spieler haben mein aktuelles Kochbuch. Eine zeitlang bekam ich tatsächlich dann mal ab und zu eine SMS, wo mir Spieler schrieben, dass sie gerade eine Suppe oder irgendwas anderes aus meinem Kochbuch ausprobiert hätten.