Berlin. Doping am Arbeitsplatz und im Freizeitsport nimmt zu, Hunderttausende sind von Schlafmitteln abhängig. Gefahren von Medikamenten indes blenden viele Menschen oft aus. Apothekerverbände, Sportbund und ADAC warnen auf Symposium vor Arzneimittelmissbrauch.
Über 1,5 Millionen Bundesbürger sind nach offiziellen Angaben von Medikamenten abhängig. Hinzu kommt millionenfacher Missbrauch von Arzneimitteln: Pillen gegen Angst, Schmerz, Übergewicht oder Stress, zur Steigerung der Leistungsfähigkeit oder der guten Laune werden unbedenklich eingenommen. Die Gefahren werden oft ausgeblendet oder sind schlichtweg gar nicht bekannt. Zur Aufklärung über Gefahren des Medikamentenmissbrauchs haben sich Experten am Donnerstag in Berlin zu einem Symposium getroffen.
Es ist eine Initiative der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und des ADAC. Anlass ist nach deren Angaben eine alarmierende Dunkelziffer beim Medikamentenmissbrauch.
Themenschwerpunkte der Tagung sind der Straßenverkehr, Breitensport sowie die Bildungs- und Arbeitswelt. Im Verkehr können schon harmlose Medikamente gegen Erkältung gefährliche Folgen haben: Die Reaktionsfähigkeit nimmt ab, und das Unfallrisiko steigt. Geschätzt wird, dass jeder vierte Verkehrsunfall im Zusammenhang mit einer Medikamenteneinnahme steht.
Einer der Referenten der Tagung, Professor Frank Mußhoff von der Bonner Universität (Institut für Rechtsmedizin), nannte das Beispiel eines Patienten, der vom Arzt eine geringe Dosis Methadon gegen Rückenschmerzen bekam und später in einer Klinik Mittel zur Beruhigung und Muskelentspannung. Nach der Behandlung verursachte er als Autofahrer einen Unfall. Mußhoff betont, unvorhersehbare Wechselwirkungen von Medikamenten stellten ein großes Problem dar. Ärzte müssten Patienten eingehend informieren und warnen.
1,1 Millionen von Schlafmitteln abhängig
Apotheker sind gesetzlich verpflichtet, dem Arzneimittelmissbrauch entgegenzutreten. Beim Verkauf rezeptfreier Medikamente sollen sie die Kunden über bedenkliche Wirkungen aufklären und warnen. "Bei begründetem Verdacht" auf Missbrauch können sie die Herausgabe des Medikaments verweigern - aber nur dann, wenn es nicht rezeptpflichtig ist. Im Fall einer Verschreibung sollen sie Rücksprache zum behandelnden Arzt nehmen, wie Ursula Sellerberg, eine Sprecherin des ABDA, der dapd sagte.
Auf dem Symposium wurde die Verbreitung von Süchten mit aktuellen Zahlen vor Augen geführt: 16 Millionen Menschen in Deutschland rauchen, 2,5 Millionen konsumieren Cannabis (Haschisch und Marihuana) oder illegale Drogen. Von Schlafmitteln abhängig sind laut dem "Jahrbuch Sucht 2011" rund 1,1 Millionen. Hinzu kommen bis zu 400.000 Abhängige von anderen Arzneimitteln - vor allem Schmerz-, Beruhigungs-, Schlaf- und Aufputschmedikamente.
Krankenkassen befürchten, dass neue Wirkstoffe zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit und des psychischen Wohlbefindens immer mehr zum "Doping am Arbeitsplatz" verführen. Bisher tut dies nach Schätzungen jeder 20. Arbeitnehmer - insgesamt rund 800.000.
Doping am Arbeitsplatz und im Freizeitsport
Die Schattenseiten der "happy pills" genannten Antidepressiva und der leistungssteigernden Mittel ("smart pills") zeigen Zahlen des Rheinischen Gemeindeunfallversicherungsverbands, die Katrin Janhsen von der Ruhr-Universität Bochum in ihrem Vortrag auf dem Symposium nannte: Sieben Prozent der tödlichen Arbeitsunfälle werden durch Arzneimittel und 13 Prozent durch Alkohol verursacht. "Von 400 Verkehrsteilnehmern, die ohne Alkohol einen alkoholtypischen Fahrstil zeigten, standen 360 unter Arzneimitteleinfluss."
Auch im Freizeitsport wird gedopt. Weit über eine Million nehmen nach Schätzungen in Deutschland gelegentlich oder regelmäßig Dopingsubstanzen oder Medikamente zur Leistungssteigerung. DOSB-Vizepräsident Breitensport/Sportentwicklung, Walter Schneeloch, sagte vor dem Symposium der dapd, Medikamentenmissbrauch sei nicht allein ein Problem des Sports, sondern tangiere verschiedene Zielgruppen der Gesellschaft. Mit dem Symposium sollten möglichst viele Menschen angesprochen und für dieses Thema sensibilisiert werden.