Paderborn/Berlin/Essen. . Mit einem Massen-Screening von 800 Personen versucht der Kreis Paderborn Licht in eine örtliche Ehec-Ausbreitungswelle zu bringen. Während bundesweit Bockshornklee als Verursacher gilt, zeigt sich in Ostwestfalen: Sprossen sind wohl nicht direkte Ausbreitungs-Ursache.

Es war eine Notbremsung: Seit einer Woche ist die Eggel-Grundschule in Altenbeken bei Paderborn geschlossen. Weil drei Kinder an einer schweren Ehec-Infektion erkrankt waren und die Elternschaft sich große Sorgen machte. Labortests haben ergeben: 15 weitere Kinder haben ebenfalls Ehec-Bakterien im Darm, aber ohne Gesundheitsprobleme. Als Verursacher wurde Schulessen ausgemacht, das von einem Caterer aus Bad Lippspringe kommt. In einer groß angelegten Untersuchung will der Kreis Paderborn jetzt Gewissheit über die Ehec-Quelle schaffen: Bei etwa 500 Schülern und Kita-Kindern und 300 Senioren, die von dem Fleischereibetrieb in Bad Lippspringe „Essen auf Rädern“ beziehen, werden jetzt Stuhlproben genommen.

Einiges deutet darauf hin, dass die Infektionswelle in Paderborn nichts mit Sprossen oder Bockshornkleesamen zu tun hat, die von den Gesundheitsbehörden mittlerweile ziemlich sicher als Überträger der schweren Durchfall-Erkrankungen ausgemacht worden sind. Aber es könnte einen indirekten Zusammenhang geben, sagt Kreis-Sprecherin Michaela Pitz.

Im Kreis Paderborn waren Ende Mai, als sich die Infektionen bundesweit häuften, auffallend viele Ehec-Erkrankungen gemeldet worden. 65 Ehec-Fälle zählten die Gesundheitsbehörden insgesamt, davon waren 21 besonders schwer und führten bei drei Personen zum Tode. Als Ursache geht man dabei mit ziemlicher Sicherheit von infizierten Sprossen aus.

Ehec-Welle in Paderborn hat wohl nichts mit Sprossen zu tun

Die jüngste Ansteckungswelle an der Grundschule in Altenbeken hatte ihren Anfang erst Mitte Juni, sagt Kreis-Sprecherin Michaela Pilz. Sie könnte durch Menschen verursacht worden sein, die sich in der ersten Ehec-Welle mit dem Durchfall-Erreger angesteckt haben. Gestützt wird diese Vermutung bisher dadurch, dass bei einem Koch des Caterers und drei Mitarbeitern der Essensausgabe in der geschlossenen Schule Ehec-Erreger im Darm gefunden worden sind. Insgesamt wurden Proben bei 175 Mitarbeitern der Essensausgaben und allen 43 Mitarbeitern der Cateringfirma veranlasst.

Zwei Monate nach dem Ausbruch der bundesweiten Ehec-Welle scheint die Zahl der Durchfall-Infektionen insgesamt mittlerweile zurückzugehen. Das teilte das Robert-Koch-Institut (RKI) am Montag mit: „Verschiedene epidemiologische Kennzahlen deuten darauf hin, dass sich der Ausbruch dem Ende zuneigt“. ‚Vom Tisch’ ist die Infektionswelle allerdings längst noch nicht. Zumal noch viele Fragen zum Erreger ungeklärt sind. Etwa diese:

  • trotz aller Erkenntnisse zu Sprossen bzw. Bockshornklee ist die Quelle der Infektionswelle noch nicht zuverlässig ausgemacht. Es gilt als fraglich, ob das überhaupt eindeutig festgestellt werden kann und ob es tatsächlich eine einzige Quelle gibt.
  • bisher nicht bekannt ist auch, wie lange Betroffene den Erreger im Körper tragen, also etwa über ihre Fäkalien weitere Infektionen auslösen können. Das wird aktuell in Versuchsreihen erforscht. Erkenntnisse gibt es derzeit nur zu dem bis dato meist aufgetauchten Erregertyp O157, aber auch die sind nach Auskunft des RKI vage und reichen von „mehreren Tagen bis zu einigen Wochen“.
  • ebenfalls unklar und wohl kaum zu beantworten ist die Fragen, wie viel von dem aktuell grassierenden Erreger man aufnehmen muss, um sich - und andere - zu infizieren. Es zeigt sich, dass der aktuell verbreitete Erreger-Typ O104:H4 im menschlichen Körper auffallend robust und aggressiv ist.

Bisher 48 Toten durch Ehec in Deutschland

Insgesamt wurden seit Ausbruch der Erkrankungswelle in Hamburg, den das RKI auf den 1. Mai datiert, 4047 Ehec-Erkrankungen bundesweit gemeldet (Stand 4.7.). Darunter sind 845 Menschen mit HUS-Syndrom, also akutem Nierenversagen und Blutarmut; bis dato – Stand Anfang Juli - sind 48 Menschen in Deutschland an HUS gestorben.

„Wir sind über den Berg, aber es ist noch offen ob wir schon im Tal sind“, interpretiert man beim RKI die Zahlen. Ein Ende der Erkrankungswelle sei trotz insgesamt abschwellender Verlaufskurve noch nicht absehbar. Die Infektionen in Paderborn sind aus Sicht des RKI eine „Sondersituation“, vergleichbare lokale Ehec-Wellen gebe es in Deutschland derzeit nicht.

Im Landesumweltamt NRW (Lanuv) sieht man derzeit keine neuen Ansatzpunkte bei der Suche nach der Ehec-Quelle. Mit fast kriminalistischer Akribie hat man in der Behörde in den vergangenen Wochen die Lieferketten von Sprossen ermittelt; insgesamt wurden in NRW 1128 Proben gezogen; nur in einer stieß man tatsächlich auf Ehec.

Jüngst hatte man, nach Meldungen einer Ehec-Belastung in einem Frankfurter Bach, in Ostwestfalen 22 Wasserproben aus verschiedenen Gewässern genommen, an die Kläranlagen angeschlossen sind. Die Vermutung, menschliche oder tierische Fäkalien könnten Gewässer mit Ehec verunreinigen, hat sich dort nicht bestätigt.

Sprossen dürfen in NRW unterdessen wieder ganz normal verkauft werden, heißt es beim Lanuv. Ein Erlass des Verbraucherministeriums, der Ehec-Tests beim Vertrieb von Sprossen verlangte, ist seit wenigen Tagen außer Kraft.