Essen. . Eon-Chef Teyssen hat den Abbau von bis zu 11 000 Stellen angekündigt. Einzelheiten verrät er nicht – und liefert Nährboden für Spekulationen. Vor allem die etwa 1800 Beschäftigten des Gashändlers Ruhrgas sind jetzt nervös. Sie fürchten Kündigungen.
Im Eifer des Gefechts ist es Marcus Schenck, der zwischenzeitlich aus dem Blick verliert, worum es eigentlich geht. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Eon-Finanzchef routiniert sein Programm abgespult. In einer Telefonkonferenz mit Journalisten referiert er ebenso selbstsicher wie ausführlich über Quartalszahlen, Rückstellungen und Gewinnaussichten. Doch dann unterläuft dem Manager, der sein Handwerk bei der Unternehmensberatung McKinsey gelernt hat, ein folgenschwerer Versprecher. „Wir sagen“, holt er aus, „dass wir von den 82 000 – sind’s glaube ich – insgesamt einen Anpassungsbedarf in der Größenordnung 9000 bis 11 000 Euro sehen.“ Euro? Eon-Chef Johannes Teyssen greift ein – und Schenck muss korrigieren: „Nicht Euro. Menschen.“ Und dann noch einmal formvollendet: „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ Kurzum: Schenck kündigt den Abbau von 11 000 Arbeitsplätzen an.
Es war Tag eins nach einer Aufsichtsratssitzung, die für Deutschlands größtes Energie-Unternehmen eine Zäsur bringen sollte. Eon-Chef Teyssen will den Düsseldorfer Konzern radikal umbauen – und nimmt dabei auch einen Konflikt mit den Beschäftigten in Kauf. Insbesondere bei der Essener Tochterfirma Ruhrgas sind die Mitarbeiter beunruhigt. Schon seit Anfang des Monats steht die Spekulation im Raum, dem Traditionsunternehmen drohe das Aus. Die Verunsicherung ist groß.
Vor nicht einmal einem Jahr haben die 1800 Ruhrgas-Beschäftigten ihre neuen Büros in einem schicken 200-Millionen-Euro-Bau in der Nähe der Essener Messe bezogen. Zum Einzug verwies Ruhrgas-Chef Klaus Schäfer stolz auf die lange Tradition der Gashandelsfirma, die seit 1926 in Ruhrgebiet ansässig ist. „Wir bleiben dem Standort Essen treu“, beteuerte er. Und nun soll plötzlich alles auf dem Spiel stehen? Kaum vorstellbar, dass an der glanzvollen Immobilie bald ein Schild mit der Aufschrift „Zu verkaufen“ klebt.
Seit 1926 im Ruhrgebiet ansässig
Von den Beschäftigten, die am Mittwoch die Ruhrgas-Zentrale betreten, will sich niemand in der Zeitung zitieren lassen. Zu groß scheint die Sorge zu sein, einen Grund für die Kündigung zu liefern. „Das könnte Konsequenzen haben, wenn wir mit der Presse reden“, sagt eine Mitarbeiterin. „Keiner von uns will negativ auffallen, gerade jetzt nicht.“
Wie ihre Kollegen will auch sie sich anhören, was Teyssen zu sagen hat, wenn er heute vor den Beschäftigten spricht. Eine Kollegin macht sich keine Illusionen. „Es bleibt uns sowieso nichts anderes übrig, als abzuwarten.“ Die Entscheidungen, so die Vermutung der jungen Frau, würden ohnehin nicht vor November fallen.
Was seine Botschaft an die Ruhrgas-Beschäftigten sei, wird Teyssen während der Telefonkonferenz gefragt. „Die Wahrheit“, antwortet er. Zu Teyssens Verständnis von Wahrheit gehört allerdings auch, bestimmte Fragen unbeantwortet zu lassen. Wie viele Stellen fallen in Deutschland weg? Teyssen: „Wir können solche Aussagen heute noch nicht machen.“ Nachfrage: Werden Sie die Ruhrgas-Zentrale räumen lassen? Antwort: „Wir werden zu einzelnen Standorten und den Auswirkungen heute noch keine Stellung nehmen.“ Der Eon-Chef bleibt vage – und liefert Nährboden für Spekulationen.
Aus Aufsichtsratskreisen war bereits zu erfahren, dass der Eon-Standort München soll komplett aufgelöst werden soll. Hiervon wären rund 400 Mitarbeiter betroffen.
Vager Eon-Chef liefert Nährboden für Spekulationen
Auffällig oft verweisen Teyssen und Eon-Finanzchef Schenck auf den Atomausstieg, als sie über die Gründe für ihre Pläne sprechen. In aller Ausführlichkeit listen die Manager auf, welche Kosten das Aus für die deutschen Kernkraftwerke aus Sicht von Eon bedeuten. Angesichts der Zahlen gibt es Vermutungen, Eon habe seine Zwischenbilanz bewusst düster eingefärbt – schließlich steht am Jahresende voraussichtlich immer noch ein Milliardengewinn.
Teyssen weist den Vorwurf, die Bilanzzahlen seien gewissermaßen politisch motiviert, weit von sich. Wie viel von seinem Konzernumbau als Signal an Berlin zu verstehen sei? „Gar nichts“, sagt Teyssen lakonisch. Und wenn der Eon-Chef selbst die Dimensionen seines Sparpakets bewertet, schwingt fast schon Pathos mit. Nur ein erfolgreicher Konzern könne langfristig Arbeitsplätze sichern und schaffen, sagt Teyssen. „Unsere Geschäfte sind wichtiger als unsere Verwaltung. Und unsere Zukunft ist wichtiger als historische Standorte.“