Essen. Ein Abkommen macht es möglich: Behörden können in der gesamten Europäischen Union Bußgelder vollstrecken lassen – wenn sie dabei die Spielregeln einhalten. Das „Knöllchen“ einfach wegschmeißen hilft dann nicht mehr. Die wichtigsten Tipps.
Früher war alles besser, als Bußgelder aus dem Ausland (Ausnahme: Österreich) noch nicht in Deutschland eingetrieben werden konnten. Falschparken in Holland? Kein Problem: Knöllchen wegschmeißen. Radarfalle in Belgien? Winkend dran vorbeirasen.
Aber seit Ende Oktober 2010 können Behörden in der gesamten EU Bußgelder vollstrecken lassen – wenn sie dabei die Spielregeln einhalten. Das Verfahren ist für die Länder, in denen die Vergehen begangen wurden, jedoch nicht besonders attraktiv. Weil eingetriebene Bußgelder nicht an sie gehen, sondern an das Heimatland des Sünders, das die Strafzahlung eintreibt.
Niederländer halten sich streng an die Regeln
So wundert es nicht, dass dieses bürokratische Verfahren nur schleppend in Gang kommt. Große Ausnahme im grenzüberschreitenden Knöllchen-Verkehr: die Niederlande. 95 Prozent aller bislang 3217 bis Juli beim zuständigen Bundesamt für Justiz (BfJ) eingegangenen Vollstreckungsanträge kommen von unseren westlichen Nachbarn, der Adressat war meist ein Autobesitzer in Nordrhein-Westfalen.
Die Niederländer halten sich auch streng an die Regeln: Der Ertappte muss zuerst in seiner Heimatsprache angeschrieben werden. Spanien und Frankreich tun dies oft nicht. Außerdem besteht die Gefahr einer Vollstreckung durch die heimischen Ämter nur ab einem Bußgeld von 70 Euro (einschließlich Verfahrenskosten).
Wer nicht zahlt, kann Ärger bei der Wiedereinreise bekommen
Das deutsche Bundesamt für Justiz tritt auch nur dann in Aktion, wenn hier gültige Rechtsgrundsätze nicht verletzt werden. So gibt es in Deutschland keine Haftung des Kfz-Halters außerhalb von Parkverstößen, in vielen anderen Staaten wie den Niederlanden jedoch schon. Gegen einen Vollstreckungsbescheid des BfJ kann natürlich auch Widerspruch eingelegt werden.
Falsche Sprache, zu geringe Buße, „illegale“ Halterhaftung? Wer deshalb nicht unter die Vollstreckung in Deutschland fällt, ist noch lange nicht „raus“. Wer nicht zahlt, kann bei der Wiedereinreise Ärger bekommen, denn beim Grenzübertritt gilt natürlich wieder einzig und allein das „Recht des Auslands“.
Bußgeldbescheid nicht wegwerfen
Auch hier wieder das beste Beispiel: die Niederlande. Zwei Jahre und acht Monate ist hier laut ADAC-Experte Michael Nissen die Verjährungsfrist für Verkehrsverstöße. Die Nachbarn pflegen dafür das zentrale „Opsporing Register“. Bei der Passkontrolle am Amsterdamer Flughafen fallen oft Einträge auf, und dann heißt es: zahlen. Zufallstreffer gibt es auch bei der Einreise. Obwohl die Niederlande den Grenzverkehr per Auto inzwischen elektronisch scannen, gibt es für den ADAC keine Hinweise auf eine Rasterfahndung nach Nummernschildern aus dem „Opsporing Register“. Aber wenn es so wäre, könnte man sich nicht dagegen wehren.
Wer also einer nachträglichen „Verhaftung“ entgehen will, sollte einen Bußgeldbescheid aus den Niederlanden nicht einfach wegwerfen, sondern antworten und etwa auf „fehlendes persönliches Verschulden“ hinweisen, so Nissen, Leiter der ADAC-Abteilung für internationales Recht. Sprich sagen: „Ich war es nicht“. Damit kann man unter Umständen der Halterhaftung entgehen. Auf jeden Fall verhindert der Einspruch die Vollstreckung. Wichtig: Dafür muss der Einspruch im Ausland gegenüber dem Bundesamt für Justiz nachgewiesen werden.
Keine Hinweise auf Rasterfahndung
Ähnlich sieht es in puncto Halterhaftung im Sonderfall Österreich aus. Bereits seit 22 Jahren gibt es ein Vollstreckungsabkommen mit dem beliebtesten Auto-Urlaubsland der Deutschen. Der Österreicher blitzt meist von hinten das Nummernschild, somit aber nicht die Gesichter von Schnellfahrern, und beruft sich dann auf (die in Deutschland nicht geltende) Halterhaftung. Das kann man ignorieren. Aber: Bei der Wiedereinreise droht dem Kfz-Halter ein teures Zusatzbußgeld wegen „Nichtmitwirkung bei der Lenkerbekanntgabe“. Denn ein Aussageverweigerungsrecht des Halters kennt Österreich nicht.
Ein teurer Sonderfall unter den Nachbarstaaten Deutschlands ist die Schweiz, bekanntlich in vielen Beziehungen kein Teil der europäischen Gemeinschaft. Ansatzweise gibt es laut ADAC in den eidgenössischen Kantonen eine Rasterfahndung nach wiedereingereisten Verkehrssündern aus dem Ausland. Polizisten und Politessen gleichen ausländische Kennzeichen mit einer Zentralkartei ab. Das „enorme Vollstreckungsrisiko“ geht bis zur Beschlagnahme des Fahrzeugs.
Ein Einspruch gegen einen (natürlich in Deutschland nicht vollstreckbaren) Bußgeldbescheid aus der Schweiz macht nur Sinn, wenn man „wirklich glaubhaft machen kann, dass man nicht gefahren ist“ (ADAC). In der Schweiz verteuert jeder Einspruch das Verfahren erheblich. „Nur mit Rechtsschutzversicherung“, lautet die Empfehlung des Autoclubs.