Wesel. Zwei Bundesminister wollen Containern nicht länger unter Strafe stellen. Warum ausgerechnet die Weseler „Foodsharing“-Gruppe das kritisch sieht.

Dass noch essbare Lebensmittel lieber auf dem Teller anstatt in der Tonne landen sollen, darüber herrscht im weitgehend Einigkeit. Immer wieder diskutiert wird in diesem Zusammenhang das sogenannte „Containern“ – also das Retten von Lebensmitteln aus fremden Mülltonnen, vorzugsweise denen von Supermärkten. Das ist streng genommen Diebstahl, allerdings befürworten aktuell gleich zwei Bundesminister, dieses spezielle Vorgehen straffrei zu stellen, sofern damit nicht zugleich Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch begangen werden.

Lebensmittelretter: „Andere Stellen, an denen die Politik handeln sollte“

Nun könnte man meinen, dass dieses Ansinnen gerade in der Lebensmittelretter-Szene für Jubel sorgt, jedoch kommt aus diesem Lager durchaus berechtigte Kritik: „Ich halte das für ein Vorpreschen“, sagt Markus Hülser-Kusch von der Organisation „Foodsharing Wesel und Hamminkeln“, in der rund 70 regelmäßige Foodsaver tagtäglich übrig gebliebene Lebensmittel vor der Tonne retten. „Von der Grundidee her gut, jedoch gibt es andere Stellen, an denen die Politik handeln sollte.“

Nämlich dort, wo die Nahrung überhaupt erst im Müll landet: „Das Mindesthaltbarkeitsdatum zum Beispiel kann man in vielen Bereichen abschaffen, verlängern oder Aufklärungskampagnen dazu starten“, so der Lebensmittelretter weiter. Außerdem würde er sich rechtliche Rahmenbedingungen wünschen, die Händler und Agrarindustrie nicht dazu zwingt, intakte Nahrung wegzuwerfen.

Markus Hülser-Kusch und seine Frau Monika setzen sich in der Gruppe „Foodsharing Wesel und Hamminkeln“ gegen Lebensmittelverschwendung ein.
Markus Hülser-Kusch und seine Frau Monika setzen sich in der Gruppe „Foodsharing Wesel und Hamminkeln“ gegen Lebensmittelverschwendung ein. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser

Containern grundsätzlich straffrei zu stellen, birgt seiner Ansicht nach hingegen ein gewisses Gefahrenpotenzial: Denn dann könnte es passieren, dass auch Menschen damit anfangen, die weniger lebensmittelkundig sind und Dinge aus dem Müll fischen und essen, die tatsächlich nicht mehr genießbar sind. Auch über Rückrufaktionen sind vielleicht nicht alle Menschen informiert: Wenn dann mal packungsweise zurückgerufenes Müsli im Müll landet, weil Glasscherben drin waren, begibt sich ein unwissender Containerer vielleicht sogar in Gefahr, so Hülser-Kusch.

Containern in Wesel: „Weniger scharf als in Großstädten“

Zur Wahrheit gehört allerdings: Das Thema Containern ist in Wesel kein großes. „Der letzte Betrieb, wo viel containert wurde, war Real“, weiß Markus Hülser-Kusch. Der hat bekanntlich mittlerweile zu. Und auch vorher war die Container-Szene überschaubar, sagt der Lebensmittelretter. Er selbst könne die Zahl der ihm bekannten Containerer „an zwei Händen abzählen.“ Beim Weseler Amtsgericht sind keine Fälle von Containerern bekannt – nicht von Anklagen, geschweige denn von Urteilen.

Das deckt sich mit dem Eindruck von Kathrin Raabe, die seit Wesel zur Foodsharing-Stadt wurde, deren offizielle Foodsharing-Beauftragte ist: „Hier ist das Problem weniger scharf als in den Großstädten“, sagt sie. Auch weil durch das Engagement der Foodsharing-Gruppe und der Weseler Tafel ohnehin schon wenig containerbares im Müll landet.

Warum Supermarkt-Betreiber ihre Mülltonnen sichern

Die Aussagen der Supermarkt-Betreiber gehen in dieselbe Richtung: „Alles was irgendwie noch verwertbar ist, bekommt die Tafel“, sagt beispielsweise Sven Komp, der den Edeka-Markt in Lackhausen betreibt. Ebenso beschreibt es Daniel Peeters, der die Rewe-Märkte in der Feldmark und Flüren betreibt. In seinen Tonnen gebe es nichts mehr zu containern: „Das, was im Müll landet, ist für niemanden mehr zu benutzen.“

Beide Supermarkt-Betreiber sichern ihre Mülltonnen. Bei Rewe geschieht das mit einem Verschlussbügel, Edeka stellt sie sogar ins Gebäude. Sie offen und öffentlich zugänglich aufzubewahren, kommt für beide nicht infrage, jedoch nicht um Containerer fernzuhalten: „Wenn ich die Tonnen offenlasse, habe ich eher ein Problem mit Leuten, die ihren Müll entsorgen wollen“, sagt Daniel Peeters. Diese Problematik sieht auch Sven Komp und ergänzt mit Blick auf Lebensmittelreste: „Es werden ja auch nicht nur zweibeinige Interessenten angelockt, sondern auch vierbeinige – und die will man im Wohngebiet nicht unbedingt haben.“

Wo die meisten Lebensmittel weggeworfen werden

Laut Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft fällt der größte Teil der Lebensmittelverschwendung bei Privathaushalten an (59 Prozent). Jeder Verbraucher wirft im Schnitt 78 Kilogramm pro Jahr weg. Dagegen entstehen im Handel entstehen nur sieben Prozent (0,8 Mio. Tonnen) der Lebensmittelabfälle.

Sowohl der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, als auch der Bundesjustizminister Marco Buschmann, plädieren dafür, das Containern nicht länger unter Strafe zu stellen, wenn damit nicht eine Sachbeschädigung oder ein Hausfriedensbruch einhergeht. Ohnehin kommt bei Diebstahl-Fällen wegen Containerns, die tatsächlich vor Gericht landen, regelmäßig eine Einstellung wegen Geringfügigkeit in Betracht.