Mülheim. Kaum einer erwartet Frauen bei der Müllabfuhr – Nicola Baltzer und Annika Stelter sind dort happy. Sie hoffen, dass weitere Kolleginnen anfangen.
Wie ist das so, als Frau in einem Job zu arbeiten, der nach wie vor von Männern dominiert wird? Nicola Baltzer und Annika Stelter wissen es: Die Berufskraftfahrerinnen sind zwei von bislang erst fünf Frauen im Gewerbebereich der Mülheimer Entsorgungsgesellschaft (MEG). Genau wie ihre 175 männlichen Kollegen manövrieren sie Müllwagen durch Mülheims enge Straßen, packen auf dem Wertstoffhof mit an. Das Erstaunen in der Bevölkerung ist oft groß – doch das Duo ist happy. „Wir haben den Job ins Herz geschlossen, fühlen uns wohl“, so Baltzer. Stelter hofft, dass immer mehr Frauen „einfach das machen, was ihnen Spaß macht“. Und sich zum Beispiel bei der MEG ausbilden lassen. Bewerbungsstart? Ab sofort!
„Ich habe vier Jahre lang im Büro gesessen“, erzählt Nicola Baltzer. Die Sache wurde ihr zu eintönig, „ich musste raus an die frische Luft“. Die Chemisch-Technische Assistentin wechselte zur MEG, machte einige Fortbildungen, ist seither „Fachkraft für Anlagen“ und vor allem auf dem Wertstoffhof im Einsatz.
„Frauen“, so findet die 26-jährige Mülheimerin, „sollten sich allgemein mehr zutrauen“
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Nie zuvor hat dort eine Frau gearbeitet. Baltzer aber klärt nun ganz selbstverständlich über Schadstoffe auf, nimmt Farben, Lacke, Pestizide, Batterien an, sortiert die oft giftigen, ätzenden Stoffe, sitzt an der Kasse oder auf dem Gabelstapler und vertritt ihre Kollegen als Fahrerin des Schadstoffmobils. Warum auch nicht? „Man sieht’s mir vielleicht nicht an – aber auch ich kann einen Röhrenfernseher schleppen oder volle Farbeimer.“ Frauen, so findet die 26-Jährige, sollten sich allgemein mehr zutrauen.
Von den Kollegen sei sie von Anfang an akzeptiert worden. „Manche waren aber etwas unsicher, wie sie sich verhalten sollen. Ob typische Männergespräche noch möglich sind. . .“ Für sie sei das selten ein Problem, zumal sich die Kerle eigentlich „immer anständig“ verhielten. Und falls doch mal etwas blöd rüberkomme, kassiere der entsprechende Kollege eine passende Antwort. „Ich kann mich schon wehren.“
Lehrer sprach Auszubildende drei Jahre lang als „Herr Stelter“ an: „Gelassenheit half“
Selbstbewusstsein ist gut, das macht auch Annika Stelter (24) deutlich. Und ab und an eine Portion Gelassenheit. Die habe zum Beispiel geholfen, als sie ein Lehrer in der Ausbildung zur Kfz-Mechatronikerin für Nutzfahrzeuge über die gesamten drei Jahre einfach immer weiter „Herr Stelter“ gerufen habe. Nicht lustig, „aber da muss man drüber stehen“. Es gab ja auch andere Ausbilder, so wie der, der sie ermutigt habe, am Ball zu bleiben: „Wenn du Lkw reparieren kannst, kannst du alles reparieren“, war dessen Credo. „Ein dickes Fell hilft im Notfall“, sagt Stelter, „und dass man nicht alles auf die Goldwaage legt.“ Zum Glück gebe es wenig unangenehme Vorfälle. „Im Gegenteil: Als Frau erfahre ich oft mehr Unterstützung als die Männer. Ich traue mich allerdings auch zu fragen, wenn ich Hilfe brauche. . .“
Bei der MEG seien noch nie Sprüche unter der Gürtellinie gefallen. „Ab und an amüsieren sich die Männer über andere Frauen, das schon.“ Aber darüber könne sie zum Teil selbst grinsen.
Im Alltag sind ganz andere Dinge herausfordernd: Anfangs stand Stelter beim Müllwagen oft hinten auf dem Trittbrett, mittlerweile sitzt sie fest hinterm Steuer. Und weiß: „Das kann anstrengend sein, weil die Straßen oft so voll sind.“ Der Verkehr nehme stetig zu, sie beobachte zunehmend rücksichtslose Menschen, „und Kinder laufen einfach über die Straße“. All das müsse man im Blick haben, zumal viele Müllfahrzeuge eigentlich zu groß seien für die meisten Straßen. „Niemanden zu übersehen – das ist die eigentliche Kunst.“
Etlichen Menschen sei „nicht bewusst, wie gefährlich Lithium-Ionen-Akkus sind“
Nicola Baltzer schüttelt manchmal den Kopf über die Naivität einiger MEG-Kunden. Etlichen Menschen sei zum Beispiel „nicht bewusst, wie gefährlich Lithium-Ionen-Akkus sind“: „Die können sich schnell entzünden und wenn sie brennen, brennen sie.“ Trotzdem sei es weit verbreitet, mit dem Handy neben dem Bett einzuschlafen. Und die kleinen Stromspeicher einfach über den Hausmüll zu entsorgen. Dass das fatale Folgen haben kann, hat jüngst erst wieder ein Feuer in einer Lagerhalle der MEG gezeigt: Ein Fahrrad-Akku hatte wohl Funken gefangen, einen Großbrand ausgelöst.
Baltzer spricht viel mit den Kunden über die Gefahren, und auf dem Wertstoffhof klebt sie die Kontakte der Akkus immer sorgfältig mit Isolierband ab. Unwissenheit herrscht auch bei anderen Produkten: „Manche Kunden sind überkorrekt, geben sogar leere Duschgel-Flaschen oder Handcreme-Tuben ab, weil da doch noch ein Rest Chemie drin sei. Andere schmeißen alles in den Abfall.“ Manchmal müsse sie sogar die Polizei rufen: „So wie damals, als jemand eine Tüte voll Pistolenmunition abgegeben hat.“
Von vielen Seiten erfahren die MEG-Mitarbeiterinnen Wertschätzung und Anerkennung
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Die beiden Frauen sind versiert. Das ist es, was zählt. Von vielen Seiten erfahren sie Wertschätzung und Anerkennung. Sie wollen Vorbild sein, und würden sich freuen, wenn künftig mehr Frauen den noch ungewöhnlichen Weg einschlagen und bei der MEG anfangen. Beim Girl’s Day wirbt das Unternehmen um Mädchen, auch Praktika sind möglich. „Aufs Geschlecht kommt’s nicht an, man kann alles lernen“, so Personalleiterin Julia Tamkus-Wolf. Niemand solle sich von Stereotypen abschrecken lassen.
Erst kürzlich hat eine Berufskraftfahrerin die Ausbildung bei der MEG begonnen. Sie lernt nun die Vielfalt des Fuhrparks kennen: Absetz- und Abrollkipper, Sattelzüge, Radlader, Bagger und Stapler. Und erlebt unter anderem spannende Azubitage auf dem Nürburgring. Wer es ihr 2024 nachtun möchte und mindestens über einen Hauptschulabschluss und einen Pkw-Führerschein verfügt, kann sich laut Pressesprecherin Jennifer Ebbers ab sofort bewerben. Weitere Informationen gibt es auf mheg.de.
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