Kreis Wesel. Nach acht Jahren haben Syrer im Kreis Wesel ihr Leben auf vielfältige Weise verändert. Wie sie es geschafft haben, ein neues Leben aufzubauen.
Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 haben viele Syrerinnen und Syrer ihr Land verlassen und in Deutschland, unter anderem im Kreis Wesel, Asyl beantragt. Allein hier leben derzeit etwas mehr als 4700 Syrerinnen und Syrer. Sie haben im Kreis nach acht Jahren ihr neues Zuhause gefunden. Einer von ihnen ist Wissam Al Basch. Der aus Damaskus geflohene Syrer lebt seit 2015 mit seiner Familie in Hamminkeln. Von Anfang an nahmen seine Frau und er an Deutschkursen teil: „Die Sprache öffnet alle Türen und bietet später die Möglichkeit, einen richtigen Job zu finden, mit dem man auf seinen eigenen Beinen stehen kann“, sagt der 45-Jährige.
Um bei der Integration zu unterstützen, hätten Verbände im Kreis den Geflüchteten vielfältige Angebote gemacht: Schulberatung, Förderungsangebote für Ausbildung und Arbeit, mehrsprachige Sprach- und Elternbildungsprogrammen an Kindertageseinrichtungen sowie Sprachmittlung in Beratungsgesprächen, so Anja Schulte, Pressesprecherin des Kreises Wesel.
Aber wie werden die Menschen aus Syrien auf diese Angebote aufmerksam, wenn sie doch die Sprache nicht verstehen? Um diese Herausforderung zu bewältigen, bietet der Kreis Wesel unter anderem mehrsprachige Beratungsgespräche an. „Das Kommunale Integrationszentrum (KI) des Kreises Wesel stellt für Beratungsgespräche in Behörden, Ämtern sowie gemeinnützigen Bildungs- und Sozialeinrichtungen im Kreisgebiet Wesel qualifizierte, ehrenamtliche Sprachmittlerinnen und Sprachmittler zur Verfügung“, sagt Schulte.
Agentur für Arbeit im Kreis Wesel: 77 Syrerinnen und Syrer haben sich selbstständig gemacht
Nach dem Erlernen ausreichender Sprachkenntnisse machen sich syrische Flüchtlinge auf den Berufsweg. Sie haben sich in verschiedenen Branchen wie Gastronomie, Logistik, Pflege und Handwerk weitergebildet. Nach Angaben der Agentur für Arbeit im Kreis Wesel sind 16.497 ausländische sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Kreis angemeldet, darunter sind 936 mit syrischem Hintergrund registriert. „Wenn man mit einer Arbeit anfängt, fühlt man sich als produktiver Teil der Gesellschaft“, so Al Basch. Er hat das auch erlebt: Der 45-Jährige arbeitet als Video-Producer bei einem Unternehmen im Kreis Kleve.
Wer keinen Job gefunden hat, versucht einen anderen Weg zu gehen: ein eigenes Unternehmen zu gründen. „Unsere Berufsabschlüsse als Architekt und Buchhalterin wurden hier nicht anerkannt. Außerdem war es schwierig, in unserem Alter einen Job zu finden. Deshalb haben wir uns entscheiden, selbstständig zu werden“, so Jamal Imech und Ghenwa Kayali, Inhaber des Geschäfts „Rose trifft Nüsse“ in Wesel. Laut Arbeitsagentur haben zwischen 2016 und 2022 insgesamt 77 Syrerinnen und Syrer eine Selbstständigkeit angemeldet – und tragen damit zur lokalen Wirtschaft bei. Zwischen Januar und März dieses Jahres kamen noch drei weitere hinzu.
Awo im Kreis Wesel sieht auch Stolpersteine beim Integrationsprozess
Es komme häufig vor, dass viele Flüchtlinge ihren Beruf nicht ausüben können, sagt auch Bernd Riekemann aus dem Vorstand des Awo-Kreisverbands Wesel. Gleichwertigkeitsprüfungen sowie Anerkennungsverfahren für vorhandene Qualifikationsnachweise dauern sehr lange und kosten viel Geld, sagt Riekemann. „Nicht jede Person hat die Ausdauer und die finanziellen Möglichkeiten, sie durchzuziehen. So bleiben für manche Geflüchteten nur Aushilfstätigkeiten, die unbeständig sind und Unsicherheiten bezüglich der Zukunft nicht mindern.“
Er nennt eine weitere Hürde für den Integrationsprozess, insbesondere für den von Frauen und Kindern. „Kitaplätze sind heiß begehrt und nicht ausreichend, viele Familien warten sehr lange darauf, bis ihr Kind eine Kita besuchen kann. Das führt zu Verzögerungen in sprachlicher Entwicklung, als Folge kommen solche Kinder schlechter vorbereitet in die Grundschule“, so das Awo-Vorstandsmitglied. Für die Mütter bedeute das, dass sie sich eine lange Zeit nicht um ihre beruflichen Perspektiven kümmern können.
Syrer im Kreis Wesel: Wir wollen Brücken zwischen den Kulturen bauen
Die Syrerinnen und Syrer haben die deutsche Sprache gelernt und Kontakte zu Deutschen geknüpft; ihre Kinder besuchen Schule und Kindergarten, aber dennoch wollen sie ihre Kultur und Traditionen auch hier bewahren. „Wir wollen uns integrieren, aber nicht vergessen, woher wir gekommen sind“, sagt Al Basch. Sie möchten im Kreis Wesel mit dazu beitragen, die Vielfalt der deutschen Gesellschaft zu bereichern. Es gebe hier viele Veranstaltungen und Feste, die von Syrerinnen und Syrern organisiert würden, um ihre Kultur und Traditionen zu teilen. Vor kurzem haben syrische Musliminnen und Muslime zum Beispiel den Monat Ramadan und dessen Zuckerfest gefeiert. „Wir feiern unsere Feste, damit wir den Deutschen unsere Kultur zeigen.“ Ziel sei es, Brücken zwischen den beiden Kulturen zu bauen, so Al Basch. Auch im Kreis Wesel.
Stadt Moers betont „die eindrucksvollen Einbürgerungszahlen“
Den einen fällt es leichter, sich zurechtzufinden und sich zu integrieren, bei anderen dauert es länger – wegen Sprachbarrieren, bürokratischen Hürden bei der Arbeitssuche oder wegen psychischen Belastungen aufgrund der Erfahrungen im Krieg und auf der Flucht. „In vielen Fällen haben Kriegserlebnisse Spuren im Leben der Menschen hinterlassen. Der Anfang war gerade für diese Menschen sicherlich besonders schwer“, teilt Klaus Janczyk, Pressesprecher der Stadt Moers, mit.
Deshalb versuchen sie in Kontakt mit anderen Syrerinnen und Syrer zu bleiben und sich untereinander zu vernetzen, um auch diese Schwierigkeiten zu bewältigen. Wie lernen sie sich kennen? Unter anderem erstellen sie in fast allen Städten Facebook-Gruppen, in denen sie sich untereinander austauschen, gegenseitig bei der Wohnungssuche helfen, sich von anderen beraten lassen. „Wir haben eine Facebook-Gruppe erstellt, damit wir nicht nur den Syrern, sondern auch anderen Arabern dabei helfen, gut in der Stadt anzukommen“, so Khaled Daragmeh aus Dinslaken. Der deutsche Staatsbürger lebt in Dinslaken seit 2015 und hat viele Geflüchtete dabei unterstützt, eine Wohnung zu finden sowie Anträge bei den Behörden zu stellen.
Insgesamt hat sich das Leben der Syrerinnen und Syrer im Kreis Wesel in den vergangenen acht Jahren in vielen Bereichen verändert. „Ihre Integrationswege sind unterschiedlich erfolgreich. Manche der Menschen sind mittlerweile sehr gut integriert. Dies zeigen auch die eindrucksvollen Einbürgerungszahlen der Ausländerbehörde“, so Klaus Janczyk.
Am Ende des erfolgreichen Integrationsprozesses steht der deutsche Pass. Mindestens 800 Menschen aus Syrien haben diesen im Kreis Weseö in den vergangenen Jahren erhalten.