Mehrhoog/Afrin. Vor einem Monat hat die Erde in Nordwesten Syriens gebebt. Wie ein Syrer in Mehrhoog es geschafft hat, Spenden von dort nach Syrien zu senden.

Die Bilder aus dem Erdbebengebieten waren für viele Menschen belastend. Ganz besonders für Menschen aus Syrien und der Türkei, die in Deutschland leben und Angehörige in den betroffenen Regionen haben. So wie Ali (Name von der Redaktion geändert), der 2015 wegen des Bürgerkrieges in Syrien nach Deutschland geflüchtet ist und seitdem in Mehrhoog lebt.

Am Abend des 1. März trifft er sich mit Silke Visscher und Michael Möllenbeck von der Organisation „Mehrhoog hilft“ in der Begegnungsstätte des Hamminkelner Ortsteils, um über die Probleme mit Hilfslieferung ins Erdbebengebiet in Nordsyrien zu sprechen. Sie rufen Tarek, der sich noch im Erdbebengebiet aufhält, über Whatsapp per Video-Call an. Tarek ist ein syrischer Junge und ein Bekannter von Ali. Seine Familie und er wurden vor ein paar Jahren aus ihrem Haus in der syrischen Hauptstadt Damaskus vertrieben. Die Familie lebte seitdem in Dschindires – die kleine Gemeinde zählt zum Distrikt Afrin im Gouvernement Aleppo.

„Fast meine ganze Familie ist gestorben“, berichtet Tarek. In der Nacht des Erdbebens war der 19-Jährige bei einem Freund zu Besuch. „Als die Erde gebebt hat, eilte ich sofort nach Hause. Was ich dort gesehen habe, war schockierend. Alle Häuser auf der Straße sind zerstört – meine Familie liegt unter den Trümmern“. Tarek konnte nur seine Tante retten, er hat es nicht geschafft, seine Eltern und Geschwister aus dem Schutt zu ziehen. Keiner habe ihm geholfen, weil jeder mit seinem eigenen Schicksal beschäftigt war. „Ich wollte nur eine Schaufel“, erzählt er.

Nach dem Erdbeben: Hilfe in Syrien kommt an, aber nicht für alle

Die Lage in dem von den Rebellen kontrollierten Gebiet ist seit Jahren angespannt. Hierher sind in den vergangenen Jahren mehr als zwei Millionen Menschen wegen des Krieges geflüchtet. Mittlerweile leiden viele von ihnen unter Hunger, Armut, Vertreibung und Tod. Die humanitäre Lage hat sich wegen der Wirtschaftskrise und der Corona-Pandemie verschärft. Kein Strom, kein Wasser – und Krankenhäuser sind am Limit. Das verheerende Erdbeben hat die Situation zusätzlich verschärft. „Al Hamdu li Allah“, sagt Tarek auf Arabisch, „Gott sei Dank“ auf Deutsch. „Alles wird eines Tages besser sein“.

Im syrischen Teil des Erdbebengebietes sind viele Gebäude zerstört, so wie hier in Idlib.
Im syrischen Teil des Erdbebengebietes sind viele Gebäude zerstört, so wie hier in Idlib. © Getty Images | ABDULMONAM EASSA

Die Hilfe der Vereinten Nationen kommt in Syrien kaum an – und wenn, dann zu spät. Erst vier Tage nach dem Erdbeben erreichten die ersten Hilfsgüter die Region. Doch es fehlte an medizinischer und technischer Hilfe. „Selbst habe ich keine Hilfe bekommen, weil ich alleine und ein Mann bin“ erzählt Tarek. Die Hilfe musste erstmal an Familien, Frauen und Kinder verteilt werden.

Die Suche nach Informationen über die Familie

Auch Alis Angehörige waren von diesem Schicksal betroffen. Nach dem Erdbeben versuchte der 33-Jährige zwei Stunden lang mit seiner Familie zu telefonieren. Die ersten Informationen bekam er schließlich über Facebook von einem Freund, seine Eltern und Geschwister seien in Sicherheit. „Ich habe die Bilder aus meiner Heimatstadt gesehen: Die zerstörten Häuser, Menschen, die nur in Schlafanzüge fliehen – das war erschreckend“, erzählt er.

Ali ist in Mehrhoog mittlerweile fast heimisch geworden. Dank seiner guten Englischkenntnisse konnte er von Anfang an die Helferinnen und Helfer in Hamminkeln unterstützen. Er spricht sehr gut Deutsch und hat vor ein paar Monaten die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen, er arbeitet in der Region. „Ali ist ein Muster für einen gut integrierten Flüchtling“, sagt Michael Möllenbeck, vom Vorstand des Vereins „Mehrhoog hilft“.

Schwer getroffen haben den 33-Jährigen die Nachrichten aus der Heimat. Mindestens 50.000 Menschen in Syrien und der Türkei haben infolge des Erdbebens ihr Leben verloren. Darunter mehr als 13 Verwandte von Ali, die in Dschindires lebten. „Mehr als 280 Gebäude sind in der Stadt zerstört. Doch die Menschen haben weder Bagger noch große Baufahrzeuge, um die Rettungsaktionen zu führen, daher blieben viele für mehrere Tage unter den Trümmern“, erzählt er.

Syrer aus Mehrhoog liefert Spenden nach Syrien

Ali, Tarek und „Mehrhoog hilft“ kritisieren die verzögerten Lieferungen in das vom Bürgerkrieg gebeutelte Land. „Wir haben wahrgenommen, dass es bisher nicht gelungen ist, den Opfern in Syrien die notwendige Hilfe zukommen zu lassen“, so die Mehrhooger Organisation. Aufgrund dieser Verzögerung versuchen viele Menschen in Deutschland andere Wege zu gehen, um ihre Spende schnellstmöglich an die Betroffenen zu liefern. Ali erzählt, dass „viele Freundinnen und Freunde für die Opfer spenden wollten, sie aber nicht wussten, wie diese Hilfe bei den Opfern ankommen kann.“

Viele Syrerinnen und Syrer haben deshalb über private Wege ihre Spende an die Angehörigen gesendet. „Es geht dabei um Geldspenden, weil wir dahin keine Hilfsgüter liefern können“, sagt der Syrer. Er habe dabei geholfen und die großen Spenden von „Mehrhoog hilft“ nach Nordsyrien gesendet. „Damit werde ich dafür sorgen, dass jeder Cent in die betroffene Region geht“, so Ali.

Mehrere Spendenaktionen in Mehrhoog geplant

Die Hilfsorganisation „Mehrhoog hilft“ organisiert mehrere Spendenaktionen für die Erdbebenopfer in Syrien. Unter dem Motto „Kochen für Syrien“ wird das Team der Hilfsorganisation am Samstag, 4. März, ab 11 Uhr vor Edeka Komp ein mehrgängiges Menü zusammenstellen. Das Essen wird gegen eine Spende verkauft. Die Einnahmen daraus gehen an die Erdbebenopfer in Syrien.