Kleve. Kosten schrecken ab: Die Klever Stadtverwaltung erklärt, welches Potenzial es bei „Kleve am Wasser“ auch ohne neue Schleuse geben würde.

  • Eine neue Schleuse in Brienen wird mit 31 Millionen Euro kalkuliert.
  • Die Verwaltung erklärt, welches Potenzial „Kleve am Wasser“ auch ohne eine Schleuse bietet.
  • Die Politik muss am Ende entscheiden.

Welche Zukunft hat die Schleuse in Brienen? Kann ein Konzept „Kleve am Wasser“ auch ohne einen Zugang zum Rhein funktionieren? Rechnet die Stadt Kleve die Schleuse kaputt, wie die ehemalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks im NRZ-Interview meinte? Das älteste Wasserbauwerk in der Stadt wirft immer noch viele Fragen auf. Die NRZ bat Bürgermeister Wolfgang Gebing, Tiefbau-Chef Bernhard Klockhaus und Rebekka Liebeton von der Stabstelle des technischen Beigeordneten zum Gespräch.

NRZ: Herr Bürgermeister, rechnen Sie die Schleuse gerade kaputt?

Wolfgang Gebing: Wir haben vom Rat der Stadt den Auftrag erhalten, zu analysieren, ob und unter welchen Bedingungen die Schleuse aufrechterhalten werden kann. In diese Überlegungen fließen finanzielle Aspekte ein, aber auch das Konzept „Stadt am Wasser“. Die Frage ist, ob wir für eine Stadt am Wasser eine Schleuse benötigen. Wir haben sicherlich die Zusage des Bundes, dass wir eine gewisse Förderung erhalten, aber es bleibt am Ende eine Deckungslücke. Und da ist die Frage, wie wir diese Deckungslücke schließen können. Daher haben wir das Büro Jahnen beauftragt, eine Konzeptstudie zu erstellen, die betrachtet, welche Maßnahmen wir mit und ohne eine Schleuse umsetzen können.

Da wurden sehr gute Ideen vorgestellt. Wir benötigen zum Beispiel beim Bau einer Schleuse Anlegestellen für Schiffe, die wir im Augenblick nicht haben. Wir haben keine Marina. Der Vorwurf, dieses Gutachten hätte die Schleuse in ein negatives Licht getaucht, ist nicht richtig. Wir haben ein ganzheitliches Bild entworfen: Was geht ohne und was geht mit Schleuse – und was ist sinnvoll?

Bürgermeister Wolfgang Gebing am Schreibtisch in seinem Büro im Klever Rathaus.
Bürgermeister Wolfgang Gebing am Schreibtisch in seinem Büro im Klever Rathaus. © NRZ | Andreas Gebbink

NRZ: Ein Wort zur Studie: Wer hat es auf welcher Grundlage in Auftrag gegeben?

Bernhard Klockhaus: Wir haben im Rat und im Ausschuss für Verkehrsinfrastruktur und -mobilität genau die Aufgabenstellung der Konzeptstudie – auch als Reaktion auf den Fragenkatalog der SPD – vorgestellt und vor dem Hintergrund der Themen Wassertourismus, Denkmalschutz und städtebauliche Integration dieses Gutachten in Auftrag gegeben. In der Studie werden sowohl die Möglichkeiten mit und ohne Schleuse untersucht. Die möglichen Maßnahmen sind detailliert vorgestellt und auch in eine Bewertungsmatrix aufgenommen worden.

Eines darf man nicht vergessen: Wir haben die ganze Zeit darüber gesprochen, dass die Schleuse Geld kostet. Man hat immer den Eindruck gehabt, dass wir eine 100-Prozent-Finanzierung hinbekommen. Der Bundeshaushaltsvermerk sieht eine maximale 50-Prozent-Förderung zu. Maximal. Das kann man jetzt interpretieren: Sind das jetzt 30, 40 oder 50 Prozent? Die Frage hat uns noch keiner schlüssig beantworten können. Auf der anderen Seite: Wenn ich die ganzen Maßnahmen aus der Konzeptstudie umsetze, um weitere Fördermittel zu bekommen, dann setzt das voraus, dass wir diese Dinge auch umsetzen. Dann haben wir aber einen weiteren Aufwandskatalog, etwa für eine Marina, für Wohnen am Wasser, für eine Beach-Area oder für abgesenkte Spundwände, um die Wasserrahmenrichtlinie zu erfüllen.

Bernhard Klockhaus, Tiefbau-Chef der Stadt Kleve.
Bernhard Klockhaus, Tiefbau-Chef der Stadt Kleve. © NRZ | Andreas Gebbink

NRZ: Sprechen wir über die Kosten. Sie haben im Ausschuss eine Summe von 31 Millionen genannt. Das war neu und hat viele erschreckt.

Klockhaus: Wir haben 2018 die Machbarkeitsstudie vom Büro Spiekermann vorgestellt. Auf dieser Grundlage haben wir eine ergänzende Studie erstellt. Die erste Studie führte zur Vorzugsvariante 5, nach der eine Sportbootschleuse im neuen Deichverlauf errichtet wird. Das war mit dem Deichverband, dem Ministerium und dem Bund abgestimmt. Wir haben damals die Gesamtkosten mit 23 Millionen Euro beziffert. Diese Summe beinhaltet auch die Abbruchkosten in Höhe von fünf Millionen Euro. Wir haben jetzt lediglich die Kosten für die Schleuse, die damals bei 19,5 Millionen Euro netto lagen, an die derzeitigen Baupreise angepasst. Allein die Preise im Stahl- und Wasserbau sind um 30 bis 35 Prozent gestiegen. Die 31 Millionen Euro ergeben sich auf Grundlage der aktuellen Baupreise und umfassen auch den Abriss der alten Schleuse.

NRZ: Was müsste letztendlich die Stadt Kleve bezahlen?

Klockhaus: Wenn wir annehmen, dass der Deichverband für die Abrisskosten der alten Schleuse aufkommt und der Bund eine neue Schleuse zu 50 Prozent fördert, dann läge der Eigenanteil der Stadt Kleve bei 11,5 Millionen Euro.

NRZ: Welche EU-Fördermittel wären möglich?

Klockhaus: Es gibt da noch die Möglichkeit, EU-Mittel aus dem EFRE-Topf zu bekommen. Aber da besteht die Gefahr, dass die 11,5 Millionen des Bundes von den Gesamtkosten abgezogen werden müssen und dann die verbleibende Summe gefördert wird. Es wird auch nur das gefördert, was funktional wichtig ist. Wir bekommen also nicht eine 90-Prozent-Förderung, sondern weniger.

Gebing: Die Krux ist allerdings, dass wir die EFRE-Mittel nur dann erzielen können, wenn wir über die Schleuse hinaus weitere Maßnahmen ergreifen. Das heißt, wir müssten zum Beispiel eine Marina anlegen, die weitere Kosten verursacht. Der Eigenanteil wird eher größer als kleiner.

Was ich an der Aussage von Frau Dr. Hendricks unfair fand, war, dass sie in Frage gestellt hat, dass die Kostenermittlung seriös ist. Die Kostenermittlung stammt vom Planungsbüro Spiekermann, ein renommiertes Büro. Dieses Schleusenbauwerk hat komplexe und überdurchschnittliche Planungsanforderungen. Wir haben diese Kosten daher lediglich mit den aktuellen Baupreisen fortgeschrieben.

Rebekka Liebeton: Zudem gibt es in Deutschland vergleichbare Schleusen, deren Neubau auch 30 Millionen Euro gekostet haben.

Wolfgang Gebing ist der Bürgermeister der Stadt Kleve.
Wolfgang Gebing ist der Bürgermeister der Stadt Kleve. © Wolfgang Gebing

NRZ: Was geschieht, wenn die Bezirksregierung in ihrer Abwägung zum Schluss kommt, dass die Schleuse erhalten bleiben muss?

Gebing: Dann müsste der Bund die Schleuse instand setzen, damit wir den Spoykanal nutzen können. Aber ob der Bund vor dem Hintergrund der wenigen Schleusungen, die in den vergangenen Jahren stattgefunden haben, Investitionen in Millionenhöhe tätigt, ist die große Frage. Zumal das Schifffahrtsamt in Duisburg sagt, dass die Schleuse in dieser Form nicht zu renovieren ist, weil sie unter anderem auf Torf steht und daher der Untergrund nicht in Ordnung ist.

NRZ: Frau Hendricks hat im NRZ-Interview kritisiert, dass die Stadt Kleve nicht in Sachen Altrhein aktiv geworden ist. Die Wasserqualität ist schlecht, und auch der Bund muss die Europäische Wasserrahmenrichtlinie beachten, derzufolge Gewässer in einem qualitativ guten Zustand zu setzen sind.

Gebing: Der Altrheinarm musste auch in der Vergangenheit immer ausgebaggert werden, um überhaupt schiffbar zu sein. Heute gibt es andere Anforderungen, da der Umweltschutz eine größere Rolle spielt. Die Frage ist, ob für Sportboote eine regelmäßige Ausbaggerung überhaupt erfolgen darf.

Die Stadt Kleve hat faktisch kein Druckmittel, da der Kreis Kleve als Untere Wasserbehörde zuständig ist. Auch der Gesundheitsschutz liegt in der Zuständigkeit des Kreises. Wir können nur appellieren. Für einen Wasseraustausch zwischen Spoykanal und Altrhein ist die Schleuse allerdings nicht notwendig. Auch im Hinblick auf die Algenproblematik hat uns ein Gutachterbüro bestätigt, dass das Pumpwerk an der Schleuse für den erforderlichen Wasseraustausch sorgt.

NRZ: Wie realistisch ist es noch, an der Schleuse festzuhalten?

Gebing: Ich sehe eine Sportbootschleuse dann, wenn wir eine nahezu vollständige Kostendeckung bekommen. Die Schleuse ist Eigentum des Bundes und wir tun uns schwer damit, angesichts der vielen städtischen Aufgaben, größere oder höhere Summen Geldes in eine Schleuse zu investieren, ohne Hilfe von Außen zu bekommen. Wenn wir die Schleuse sanieren würden, hätten wir jedes Jahr Folgekosten in Höhe von einer Millionen Euro.

NRZ: Auch diese hohe Summe hat Irritationen ausgelöst. Warum soll der Unterhalt so teuer sein?

Liebeton: Wir haben eine betriebliche Unterhaltung und eine bauliche Unterhaltung, dann muss die Hydraulik und der Korrosionsschutz regelmäßig erneuert werden. Auch diese Zahlen stammen vom Büro Spiekermann. Man muss auch die Abschreibungen berücksichtigen und die sind natürlich vom Eigenanteil stark abhängig. Die Zinsaufwendungen sind zu berechnen, wir liegen jetzt bei drei Prozent.

NRZ: Da sind also noch viele Fragezeichen zu setzen.

Gebing: Die betriebliche Unterhaltung wird irgendwo 150.000 Euro kosten, die bauliche Unterhaltung hat Spiekermann mit 450.000 Euro angegeben, die Hydraulik mit 18.750 Euro. Die Abschreibungen liegen bei einer 50 Prozent-Förderung bei 28.000 Euro und die Zinsen lägen bei 346.000 Euro. Wir sind dann schon in einer Millionenhöhe unterwegs. Wenn wir die Schleuse zu 100-Prozent finanziert bekommen, wäre wir nur bei 500.000 Euro Kosten. Aber auch die Schiffbarmachung von Altrhein und Spoykanal würden jährlich erhebliche Kosten nach sich ziehen.

Für den Betrieb einer Schleuse in Brienen stehen die Karten zurzeit schlecht. 
Für den Betrieb einer Schleuse in Brienen stehen die Karten zurzeit schlecht.  © NRZ | Andreas Gebbink

Diesen Kosten stehen leider kaum Einnahmen gegenüber. Wenn wir mal großzügig mit 2000 Schleusungen im Jahr rechnen und zehn Euro verlangen würden, dann hätten wir gerade mal 20.000 Euro Einnahmen.

Wichtig ist uns aber das Konzept „Kleve am Wasser“. Und hier können wir auch unabhängig von einer Schleuse viele Maßnahmen umsetzen. Es bleibt auch unbenommen, in fünf, zehn oder 15 Jahren eine neue Sportbootschleuse zu errichten. Den einzigen Vorteil, den wir jetzt hätten, wäre eine finanzielle Synergie von 1,7 Millionen Euro zu erzielen, wenn wir parallel mit dem Deichverband bauen würden.

NRZ: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann sind Sie selbst bei einer 100-Prozent-Finanzierung der Schleuse skeptisch. Sie scheuen die laufenden Kosten.

Gebing: In der Tat holen wir uns zusätzliche Kosten ins Haus. Wir müssten abwägen, ob diese laufenden Kosten für die Schleuse in einem angemessenen Verhältnis stehen.

NRZ: Die Antwort haben Sie ja gerade schon gegeben: 20.000 Euro Einnahmen und 500.000 Euro Ausgaben – das ist ein schlechtes Invest.

Gebing: Das wäre in der Tat ein schlechtes Verhältnis.

NRZ: Frau Hendricks hat relativ hart formuliert: „Sie rechnen die Schleuse kaputt“, aber unterm Strich ist die realistische Chance, dass eine Schleuse umgesetzt wird, doch sehr gering.

Gebing: Wir rechnen nichts kaputt. Unsere Aufgabe als Verwaltung ist es, dem Rat eine seriöse Entscheidungsgrundlage zu liefern. Wir haben ermittelt, wie hoch die realen Kosten sind und haben ein Gutachten für eine touristische Nutzung vorgestellt. Aus diesen Elementen sollte die Politik nun ihre Schlüsse ziehen.

Die Klever Schleuse ist in einem schlechten baulichen Zustand.
Die Klever Schleuse ist in einem schlechten baulichen Zustand. © NRZ | Andreas Gebbink

NRZ: Wie sehen jetzt die weiteren Verfahrensschritte aus?

Gebing: Wir werden jetzt aus den Vorschlägen des touristischen Gutachtens ein bis zwei auswählen und diese durchrechnen. Wir schauen, ob sie mit europäischen Fördermitteln umgesetzt werden können. Ganz unabhängig von der Realisierung einer Schleuse.

Klockhaus: Was von der Politik bislang gar nicht so gewürdigt wurde, ist der Aspekt Landesgartenschau. Das Konzept „Kleve – Stadt am Wasser“ hätte bei einer Bewerbung für eine Landesgartenschau eine sehr, sehr hohe Chance, realisiert zu werden. Weil wir hier auch den Aspekt des Klimaschutzes einbauen können. Bei einer Landesgartenschau geht es um Schaffung einer nachhaltigen Infrastruktur. So kann man zum Beispiel die Wärme des Spoykanals nutzen, um Energie zu gewinnen. Und solche Dinge werden im Rahmen einer Landesgartenschau gefördert.

NRZ: Hatte Kleve sich nicht schon einmal um eine Landesgartenschau beworben?

Gebing: Kleve hat sich noch nicht beworben, aber es hat mehrfach Initiativen im Rat gegeben, sich für eine Gartenschau einzusetzen. Dies war bislang nie zielführend, weil die Rahmenbedingen nicht gegeben waren. Aber der Aspekt „Stadt am Wasser“ liefert gute Möglichkeiten, die wir gerne weiter verfolgen wollen.

Klockhaus: Bei einer Bewerbung könnten wir auch unsere Konzepte zu Entwässerung und Starkregen einbringen. Wir müssen mehr Retentionsräume schaffen und auch das könnte man mit diesen Konzepten einbringen. Oder, dass man den Grundwasserspiegel wieder erhöht, der in den vergangenen 20 Jahren um fast 80 Zentimeter gesunken ist. Es gibt schon Möglichkeiten, diese Infrastrukturmaßnahmen zu fördern. Auch Radwege und Brücken wurden über die Landesgartenschau schon co-finanziert.

NRZ: Das Thema Schleuse ist für viele Klever noch nicht erledigt. Ich habe aber den Eindruck, dass Sie die Schleuse im Kopf bereits abgeschrieben haben.

Gebing: Nach den zurzeit vorliegenden Erkenntnissen haben wir eine gewisse Finanzierungslücke und solange die nicht geschlossen wird, habe ich keine Lösung für die Schleuse. Rechtlich haben wir auch keine Möglichkeit, den Bund zu irgendetwas zu zwingen. Wir können nur versuchen, die Deckungslücke möglichst klein zu halten. Die Fördermöglichkeiten wurden umfangreich geprüft.

Liebeton: Auch im Hinblick auf die aktuellen Fördermöglichkeiten, steht die Verwaltung weiterhin im Austausch mit potenziellen Fördermittelgebern.

NRZ: Zum Verfahren: Sie werden es wohl nicht mehr schaffen, innerhalb des aktuellen Planfeststellungsverfahrens des Deichverbandes eine Lösung zu finden.

Gebing: Das hängt davon ab, wie schnell der Deichverband mit seinem Planfeststellungsverfahren ist. Wenn es 2023 abgeschlossen wird, wäre das natürlich nicht möglich. Ich glaube nicht, dass das Planfeststellungsverfahren so schnell beendet sein wird. Außerdem müssen wir noch sehen, wie die Abwägung der Bezirksregierung ausfällt.