Kleve. Die SPD beantragt eine Sondersitzung wegen der Schließung der Seehundanlage im Klever Tiergarten. CDU ist gegen „unangemessene Politisierung“.

  • Schließung der Seehundanlage im Klever Tiergarten
  • SPD beantragt Sondersitzung des Ausschusses
  • CDU mahnt, dass die Entscheidung nicht zu politisieren sei

Jetzt wird das Thema immer größer. Die SPD beantragt eine Sondersitzung des Ausschusses für Klima-, Umwelt- und Naturschutz, um über die Tiergarten und seine wertsteigernden Projekte zu reden. Eigentlich hatte die SPD die Schließung der Seehundanlage im Umweltausschuss am 19. Oktober ansprechen wollen. Doch Bürgermeister Wolfgang Gebing hatte es dem Ausschussvorsitzenden (Michael Bay, Grüne) untersagt, weitere Tagesordnungspunkte aufzunehmen, weil es sich um die Fortsetzung eines Ausschusses vom 11. August handele. Erst am 1. Dezember sei eine weitere Umweltausschusssitzung möglich. SPD-Fraktionschef Christian Nitsch entschuldigt sich nun für den Aufwand einer Sondersitzung, aber es bleibe „zur Sicherung unserer kommunalpolischen Teilhabe keine andere Möglichkeit“. Es sei denn, die Verwaltungsspitze ändere ihre formale Haltung.

„Ich hätte nicht mit so einer großen Resonanz gerechnet“

Dass der Klever Tiergarten eine seiner Hauptattraktionen, die Seehunde, vorerst abschafft, macht viele Bürger im Kreis Kleve traurig und bringt politische Kritik. „Es ist großartig, welchen Zuspruch wir erfahren. Ich hätte nicht mit so einer großen Resonanz gerechnet,“ sagt Tiergartenleiter Martin Polotzek nach vielen Anrufen und Anschreiben in den sozialen Netzwerken. Er hatte mit Tränen die Entscheidung im Vorstand des Tiergartenvereins mitgetragen, dass im Moment das mit zehn bis 15 Millionen Euro kalkulierte Projekt nicht zu realisieren sei. Zum dreiköpfigen Vorstand gehört Klaus Keysers. Er erklärt noch einmal in dieser Funktion (und nicht als Kämmerer der Stadt): „Wir haben es einvernehmlich beschlossen, erst gar keinen Antrag an den Rat zu stellen. Deshalb sehe ich auch keinen Grund für eine politische Beratung.“

OK: Kämmerer wäre dem Rat gegenüber rechenschaftspflichtig

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Das sieht die Opposition der Stadt etwas anders. Die SPD hatte moniert: „Die Verwaltung darf keine Fakten schaffen, ohne dass die Ratsmitglieder überhaupt einbezogen und informiert werden.“ Die Offenen Klever bemängeln, dass die Entscheidung im Vereinsvorstand fiel, „bevor die Diskussion über Einsparmaßnahmen im Haushalt überhaupt begonnen hat.“ Der Kämmerer sei ein vom Rat entsandtes Vorstandsmitglied des Vereins Tiergarten und deshalb rechenschaftspflichtig. Die OK respektieren: Die Entscheidung des Tiergartenleiters zum Wohle der Seehunde diese zu verlegen, „zeugt von Konsequenz, Entschlossenheit und Verantwortungsgefühl. Damit ist man in Kleve offenbar sehr allein.“

Stadt will aus dem Masterplan des Tiergartens „sehr, sehr viel umsetzen“ – nur nicht jetzt

Als Kämmerer sagt Klaus Keysers: „Diese Entscheidung hat nichts mit dem Masterplan Tiergarten zu tun, der für 20 Jahre gilt. Wir werden sehr, sehr viel davon umsetzen, aber das müssen wir nicht in diesen ersten zwei Jahren tun.“ Wegen der Haushaltskonsolidierung sehe er auch keine Möglichkeit, Zuschüsse zum Drei-Millionen-Projekt Südamerikahaus zu zahlen.

„Wir fordern den Bürgern in diesem Jahr einiges ab, wollen möglicherweise auf Straßenbeleuchtung verzichten und ich weiß nicht, ob wir uns eine Weihnachtsbeleuchtung leisten. Aber sicher – jeder Vergleich hinkt.“ Auch der des Zoo-Direktors, der auf genehmigte 1,5 Mio Euro fürs Museum Kurhaus verweist. „Wir haben sechs Mal so viele Besucher. Der Tiergarten ist auch ein kultureller Betrieb“, so Polotzek.

Ideen für Postkarte und Parkgebühren wurden abgelehnt

„Ich hätte mir eine gewisse Zusammenarbeit gewünscht“, sagt der Zoodirektor. Das fängt schon bei Kleinigkeiten an. So sei seine Idee abgelehnt worden, eine gemeinsame Postkarte erstellen zu lassen mit gemeinsamen Motiven Hochschule, Museum und Tiergarten. Abgelehnt wurde ebenfalls sein Vorschlag für kleine Geldeinnahmen durch Parkgebühren vor dem Tiergarten. Das sei wegen der Spaziergänger im Forstgarten nicht gewollt.

Tiergartenverein finanziert vieles selbst, Zoodirektor wirbt Spenden selbst ein

Polotzek erinnert, dass die neuen Vorzeigeprojekte wie der erste integrative Spielplatz in Kleve mit rollstuhl-befahrbarem Karussell und das neue Panda-Gehege mit einer halben Million Euro vom Verein selbst finanziert wurden und die zehn Prozent Stiftungs-Spenden warb Polotzek selber ein.

>>> So reagiert die CDU-Fraktion im Rat der Stadt Kleve

Der Tiergarten in Kleve hat nach den Worten der CDU-Fraktion im Rat der Stadt Kleve auch bei den Christdemokraten einen hohen Stellenwert: „Insofern begrüßen wir grundsätzlich das Eintreten der SPD und der OK für die Belange des Tiergartens“, doch die CDU schätzt die Lage und die Rahmenbedingungen des Klever Tiergartens anders ein. „Eine unangemessene Politisierung des Tiergartens nicht die Zustimmung der CDU-Fraktion“.

Der Verein Tiergarten sei eben ein Verein und nicht als Beteiligungsgesellschaft der Stadt Kleve organisiert, erinnert die CDU. Darum sei er rechtlich unabhängig von der Stadt. Er bekomme zwar eine existenzsichernde finanzielle Förderung als Betriebskostenzuschuss mit Zustimmung aller Parteien. Doch der Vorstand hafte eben für „die wesentlichen Entscheidungen und notfalls für gravierende Fehlentscheidungen“, so die CDU. „Das laufende Tiergartengeschäft wird von einem angestellten Geschäftsführer oder Leiter, Tierarzt Polotzek, besorgt.“ Der habe einen Masterplan zur Schaffung eines modernen Natur- und Artenschutzzentrums federführend angefertigt. Die Entscheidung des Vorstandes, das Seehundbecken als „derzeit unrealisierbare Neubauprojekt vorerst nicht weiter zu verfolgen, ist schade, aber nach Auffassung der CDU als verantwortungsvoll zu respektieren und nicht zu politisieren, so populär dieses Projekt auch sein mag.“

Weil kein entsprechender Antrag auf finanzielle Förderung bei der Stadt einging, hätten sich „politische Gremien damit auch nicht auseinanderzusetzen“. In der Tat zeuge aber die „aus veterinärmedizinischer Sicht getroffene Entscheidung des Tierarztes Polotzek, die nicht mehr artgerechte Seehundhaltung in Kleve zu beenden, von Konsequenz, Entschlossenheit und Verantwortungsgefühl“.

+++ Das haben wir bisher berichtet +++

Der Schock ist groß. Der Tiergarten Kleve beendet die Seehund-Haltung schon innerhalb der nächsten sechs Monate. Einige Politiker und viele Bürger reagieren entsetzt. Die Robben sind die Lieblinge des Publikums, die Hauptattraktion des Tiergartens Kleve und der Tiergarten ist ein Aushängeschild für die Stadt. Doch nun sollen Lisa und Elektra, Robbie, Jannik und der kleine Robert schon im nächsten halben Jahr Kleve verlassen.

Tiergartenleiter Martin Polotzek war im Sommer noch glücklich über seine Pläne für eine moderne Seehundanlage für die halbblinde Lisa (li.), ihr Junges Robert und rechts Elektra. 
Tiergartenleiter Martin Polotzek war im Sommer noch glücklich über seine Pläne für eine moderne Seehundanlage für die halbblinde Lisa (li.), ihr Junges Robert und rechts Elektra.  © Astrid Hoyer-Holderberg

Eine moderne, artgerechte Seehundanlage sollte das Highlight im Masterplan werden, den der junge Tiergartenleiter Martin Polotzek seit eineinhalb Jahr mit weiten Umstrukturierungen begonnen hat. Wie berichtet, ein Millionenprojekt. Doch der Kämmerer der Stadt, der gleichzeitig auch Vorstandsmitglied des Tiergartens ist, Klaus Keysers, hatte in der jüngsten Vorstandssitzung klar gemacht, dass es „kurz und mittelfristig keine Zuschüsse für Investitionen in den Tiergarten geben wird“, zitiert Polotzek.

Auch Robert wird aus Kleve wegziehen.
Auch Robert wird aus Kleve wegziehen. © Tiergarten Kleve

Für den Zooleiter ist das „ein Schlag ins Gesicht“, sagt er der NRZ. „Ich bin eigentlich ein rationaler Mensch, aber ich musste da emotional die Sitzung unterbrechen“, beschreibt Polotzek tieftraurig. Nach dem Tod des im Sommer geborenen Seehundbabys vorige Woche nun diese Nachricht.

Der Vorschlag, dann lieber ganz auf die Robbenbecken zu verzichten, kam von ihm selbst. Er ist Tierarzt. „Wer mich kennt, weiß, wie sehr ich für den Tiergarten brenne, wie ich für die Seehunde brenne. Es sind Tränen geflossen,“ gesteht er.

Die bisherige, 51 Jahre alte Seehundanlage wird mit Süßwasser gefüllt – sehr ungesund für Augen, Haut und Fell der Seehunde, stellte Tierarzt Martin Polotzek gleich fest, als er im Januar 2021 die Tiergartenleitung übernahm. Mittlerweile werden die Köpfe der Seehunde mehrfach täglich in Salzwasser gebadet, „um ihnen Erleichterung zu verschaffen“.

Neubau einer artgerechten Seehundanlage war das Herzensprojekt des Tiergartenleiters

Der Neubau einer artgerechten Seehundanlage „war immer mein Herzensprojekt“, sagt Polotzek. Fördergelder sollten in 2023 beantragt werden aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) – wie beim Zoo Osnabrück für dessen Seehundanlage. Doch eine Mit-Finanzierung des Prestigeobjekts durch die Stadt müsste auf Dauer gesichert sein. Mit Crowdfunding allein lässt sich das nicht stemmen.

„Aufgrund der Salzwassertechnik und der besonderen Bodenbeschaffenheiten bei uns in Kleve war dieses Projekt das mit Abstand teuerste Projekt im Zuge des Masterplans Tiergarten Kleve 20+“, weiß Polotzek. Die Architektenplanung wurde nun abgesagt, die Machbarkeitsstudie abgebrochen. Die waren nötig, weil das neue Becken, bei dem Besucher durch eine Glasscheibe auch unter Wasser dem Robbenleben hätten zusehen sollen, auf der Pferdewiese vor dem heutigen Tiergarten liegen sollte.

In die Wiese (bisher für Przewalskipferde) vor dem Tiergarten sollte das neue Seehundbecken gegraben werden – als eine der modernsten Anlagen Deutschlands. 
In die Wiese (bisher für Przewalskipferde) vor dem Tiergarten sollte das neue Seehundbecken gegraben werden – als eine der modernsten Anlagen Deutschlands.  © NRZ | Astrid Hoyer-Holderberg

Als Bauzeit für eine der modernsten Seehundanlagen Deutschlands waren fünf Jahre vorgesehen. So lange hätte der Zoo Direktor den Tieren die alte Anlage noch zugemutet. Die Aussicht ist nun aber, dass die Stadt Kleve erst nach Beendigung aller Schulbauten vermutlich in 2026 dann ein Jahr später einen Kassensturz machen wollte, so hatte Kämmerer Keysers angekündigt. Das würde bedeuten, dass die Tiere weitere zwölf Jahre in der alten Anlage leben müssten. Das will der Zoodirektor nicht verantworten.

Er hat die schockierten Mitarbeiter informiert. Geklärt werden muss noch, ob ein Forschungsprojekt mit dem Max-Planck-Institut in Nimwegen weiterlaufen kann. In den nächsten Tagen werden die Tierpaten ins Bild gesetzt, das sie sich von ihren schwimmenden Patenkindern verabschieden können.

Der Klever Tiergarten ist ein Natur- und Artenschutzzentrum und Forschungsort

Seehunde im Tiergarten werden auf Handzeichen dressiert – hier mit Diandra Düngen, die ihre Doktorarbeit über die Rufe der Seehunde schreibt.
Seehunde im Tiergarten werden auf Handzeichen dressiert – hier mit Diandra Düngen, die ihre Doktorarbeit über die Rufe der Seehunde schreibt. © NRZ | Astrid Hoyer-Holderberg

Martin Polotzek erinnert, dass das Klever Natur- und Artenschutzzentrum an der Tiergartenstraße, in dem wissenschaftliche Arbeit geleistet wird, bescheidene 15 Prozent Betriebskostenzuschuss von der Stadt bekommt – Krefeld bekomme 30 %, Wuppertal 60 %. Die Zahl der Besucher in Kleve wächst stetig auf nun über 100.000 im Jahr. Laut einer Studie in Köln, so zitiert Polotzek, fließe von einem Euro Investitionen in den Zoo drei Euro zurück in die Stadt. „Auch für Kleve ist eine Investition in den Tiergarten eine Investition in die Lebensqualität der Stadt, gerade auch für junge Familien“, wirbt der Leiter.

Verein kann hohe Investition nicht schultern

Der Tiergarten Kleve wird von einem Verein getragen. Zu hohe Investitionen könnten dessen Aus bedeuten, erinnert Kämmerer Klaus Keysers im Gespräch mit der NRZ. Man rede hier schließlich über einen zweistelligen Millionenbetrag. Der Beschluss zum Verzicht auf den Robben-Neubau fiel einstimmig im Vorstand. „Darum wurden keine Anträge an die Politik gestellt, die es zu beraten gibt, sondern es war ein Beschluss des Vereins“, reagiert Keysers auf Kritik aus der SPD, dass weder Fraktionen noch Hauptausschuss oder Rat eingebunden worden seien.

Das Projekt Seehundanlage „passt im Moment nicht in die Zeit“, sagt der Kämmerer. Bei Ukrainekrieg und unklarer Zinsentwicklung sei eine seriöse Kostenkalkulation derzeit nicht möglich. „Ich führe außerdem gerade Konsolidierungsgespräche mit der Politik. Ich bin überzeugt, dass die Überlegungen für den Masterplan nicht umsonst waren. Es kommen wieder andere Zeiten“, bleibt er optimistisch. Auch die Umsetzung eines neuen Südamerikahauses im Tiergarten-Gelände für drei Millionen Euro sieht er im Moment noch aufgeschoben.

Schnappi ist ein Jungtier aus dem vorigen Jahr. Er ist planmäßig vor ein paar Wochen in die Niederlande umgezogen.
Schnappi ist ein Jungtier aus dem vorigen Jahr. Er ist planmäßig vor ein paar Wochen in die Niederlande umgezogen. © NRZ | Astrid Hoyer-Holderberg

Vorstand hofft: Das ist keine Entscheidung für die Ewigkeit

„Dass wir unsere Seehundhaltung nun beenden, ist keine Entscheidung für die Ewigkeit“, glaubt auch Vorstandsmitglied Josef Kanders (CDU Ratsherr). Vorerst liege der Fokus auf Projekten, „die wir auch selber mit Hilfe von Spenden stemmen können“ wie die neue Rote Panda-Anlage oder der neue Themenspielplatz, der Ende April eröffnet werden soll.

Benefizkonzert am 8. Oktober ist abgesagt

Es ist nicht leicht, die Klever Tiere aus dem Becken an andere Zoos abzugeben – immer weniger halten Robben, erzählt Martin Polotzek der NRZ. Doch innerhalb der nächsten sechs Monate werde wohl die Seehundhaltung in Kleve vorerst beendet.

Wegen der Schließung der Seehundhaltung wird das für den 8. Oktober geplante Benefizkonzert für einen Neubau abgesagt. Alle gekauften Tickets werden an den Vorverkaufsstellen erstattet. Bis für die Klever Seehunde ein neues Zuhause gefunden wurde, sind sie auch weiterhin für die Gäste des Tiergartens zu sehen.