Kleve. Die Robbenanlage im Tiergarten Kleve aus dem Jahr 1971 entspricht nicht den heutigen Erfordernissen. Tiergartenleiter schreibt am Konzept.
Dieser Blick. Und dann die Seehundflosse patschend auf dem Schuh – Glücksgefühle. Die kennt auch Tiergartenleiter Martin Polotzek. Wenn er nach einer stressigen Woche Feierabend macht, geht er noch mal eben zum Seehundbecken. „Dann hole ich mir ein Küsschen von Lisa und das Wochenende ist gerettet“, lacht er. Die fast blinde Lisa ist mittlerweile 24 Jahre alt und hat gerade wieder ein niedliches Junges zur Welt gebracht. Zusammen mit zwei Jungtieren aus dem Vorjahr sind es nun acht Hundsrobben im Becken. Zu viele, zu eng. Eine Lösung für artgerechte Seehundhaltung in Kleve wüsste Tierarzt Polotzek schon. Aber die kostet. Der neue Tiergartenleiter: „Ich setze all meine Energie darein, das Projekt gestemmt zu bekommen“.
Die Beckenanlage ist mehr als überholt. 1971 fingen Ehrenamtliche im Tiergarten Kleve an, die Anlage zu bauen. 10.000 D-Mark kostete sie damals. „Dafür kriegen Sie heute keine Sichtglasscheibe mehr“, zitiert Polotzek einen erfahrenen Zoo-Architekten. Die Tiere werden in Kleve – wie früher in Zoos üblich – in Süßwasser gehalten. Salzwasser wäre die natürliche Umgebung. Vor einigen Jahren erhielt die Klever Seehund-Anlage eine neue Filtertechnik, aber die ist auf Koi-Teiche ausgerichtet, nicht auf 230.000 Liter Wasser, schon gar nicht Salzwasser.
Seehunde erblinden, Lisa auch
Die Wände im Klever Bassin sind klassisch mit babyblauen Kacheln gestaltet – das reflektiert das Sonnenlicht aber noch einmal mehr, denn die Nahrung Fisch kommt von oben, da geht der Blick ins Licht. Erblindung ist keine seltene Krankheit bei Seehunden, vor allem in menschlicher Obhut. Dass Lisa nahezu blind oder vielleicht auch schon ganz blind ist, könnte Ursachen in all diesen Faktoren haben. „Trotzdem ist sie eine sehr gute Mutter“, betont Polotzek. Mit den Tasthaaren können sich Seehunde gut orientieren und belegt ist, dass sie mit gutem Hören schlechtes Sehen kompensieren. Zurzeit bietet ein Sonnensegel überm Wasser den Tieren einen Schattenplatz.
Die zwei Klever Robbenbabys sind für Studentin Diandra Düngen der Glücksfall. Für ihre Doktorarbeit am Max-Planck-Institut Nimwegen erforscht sie den „Mother attraction call“, den Ruf der Mütter, wie sich im Laufe von fünf, sechs Wochen, Frequenz und Laut-Dauer verändern. Und sie trainiert mit den Meeressäugern: Hand ausgestreckt mit gespreizten Fingern, die Robbe ruft, dann gibt es Fisch. Diandra Dünger schult sie um auf akustische Signale. Nach dem Winken folgt ein Pfiff aus einer Pfeife, erst dann gibt’s Futter. Für Lisa übrigens immer direkt vor die Nase. Der Doktorarbeit verdanken es die Kreis Klever, dass sie über eine Web-Cam, installiert vom Kommilitonen Yannick Jadoul, auf der Homepage des Tiergartens https://www.tiergarten-kleve.de die Babyrobben live sehen können.
Eine der größten Seehundgruppen in Deutschland
Die Seehundgruppe in Kleve ist eine der größten in Deutschland. Gespräche laufen derzeit – auch außer-europäisch –, junge Seehunde an andere Zoos unentgeltlich abzugeben. Doch das gestaltet sich schwierig. Denn viele Tierparks satteln um auf Seelöwen. Die seien angeblich gelehriger für zuschauerträchtige Shows. „Ich bin der Meinung, unsere sind sehr gelehrig“, findet Tierarzt Polotzek. Im Sommer transportiert man allerdings Seehunde auch nur ungern, weil sie mit ihrer Fettschicht einen dicken Pullover tragen. „Es muss ‘was passieren“, appelliert der 26-jährige Chef, der aus dem großen Zoo in Wien nach Kleve kam.
Um den Tierpark zukunftsfähig zu machen, geht es um Millionen
Martin Polotzek ist zwar erst seit einem halben Jahr der Klever Leiter, aber mit vollem Herzen da. Seine Freizeit verbringt er derzeit damit, am Konzept für ein artgerechteres Zuhause für die Seehunde zu schreiben. Der führende Architekt Peter Rasbach (Masterplan für den Zoo Leipzig) ist sein Gesprächspartner. In Leipzig wurden dreistellige Millionenbeträge in den Publikumsmagneten Zoo investiert, in Dortmund allein zwölf Millionen in die Robbenanlage.
So viel wird der Tiergarten Kleve nicht benötigen, aber von Millionen muss man schon sprechen. Salzwasserbassins sind in der Anschaffung teurer, im Unterhalt aber billiger. Der Becken-Aushub ist wegen des hohen Grundwasserspiegels in Kleve nicht ohne. Eine neue Seehundanlage würde auf Bassinhöhe eine Schau-Glasscheibe für Zuschauer bekommen, Schattenplätze und Rückzugsorte für die Tiere, einen neuen Versorgungshof zum Lagern des Futterfischs. Bei Landes- und EU-Politikern will Martin Polotzek im August das Herz dafür erwärmen. Eine Illustratorin zeichnet jetzt die optimale Nutzung der sechs Hektar und in welchem Stil der Tiergarten-Geschäftsführer sich das vorstellt.
Masterplan: weniger Zäune, mehr Trenngräben und große Sichtscheiben
Zu Martin Polotzeks von Herzblut und Leidenschaft geprägtem Masterplan für Kleve gehört auch, mehr Zäune fallen zu lassen. „Doppelstabgitter sind nicht mehr zeitgemäß. Bei vielen Arten reicht ein Wassergraben, der ohnehin vorhanden ist, nur jetzt eben funktionslos“, zeigt der Tiergartenleiter. Etwa die Trampeltiere haben ein kleine Schrittlänge. Besucher könnten bald Fuzzy, Safira und dem (jetzt vier Wochen alten) Fohlen Aug’ in Auge näher kommen, sogar auf Tuchfühlung gehen mit den neuen Maras und Wellensittichen.
Durch eine riesige Glasscheibe sollen Besucher bereits in den nächsten Wochen die Adler in ihrer neuen, großen Voliere beobachten können, die die Mitarbeiter komplett in Eigenregie gebaut haben, mit Bachlauf und breitem Platz für den Horst-Bau – beim Nestbau auch mit einer Web-Cam.
„Rendezvous mit dem Lieblingstier“
Polotzeks neues Besucher-Programm „Rendezvous mit dem Lieblingstier“ ist der Renner: Bambus verfüttern an den roten Panda, Mehlwürmer an Erdmännchen – die jetzt statt des Sandes Lehmboden ins Gehege bekamen, damit sie artgerecht Gänge graben können. Der Tiergartenleiter bewirbt auch Gürteltier Pedro, der mit den lustigen Weißbüscheläffchen das Gehege hinter Glas teilt. Der nachtaktive Pedro wird regelmäßig tagsüber einmal zum Füttern geweckt – demnächst zur öffentlichen Fütterung. Und Kleve sucht zurzeit in anderen Zoos nach einem Gürteltierweibchen.
Denn das ist Aufgabe von Tiergärten, erinnert Martin Polotzek: bilden und forschen, vor allem aber, bedrohte Arten zu erhalten. „Was der Mensch kennt und liebt, wird er schützen“. Martin Polotzek entwickelt mit Sachverstand Ideen, um den Tiergarten Kleve zukunftsfähig zu machen. Die Änderungen erfordern Zeit und Geld.