Essen. Mit Listenplatz 2 war Jens Geier der Einzug ins Europaparlament sicher. Das miese Abschneiden seiner Partei erschüttert den Kandidaten aus Essen.

Bis zur Prognose um 18 Uhr am Wahlabend ist die Stimmung bei der Essener SPD verhalten optimistisch: Rund 70 Genossen sitzen im Hof der Parteizentrale auf Bierzeltgarnituren, es gibt Flips, Getränke, Abendsonne und die Aussicht auf Pizza und auf ein besseres Abschneiden als bei der Europawahl 2019. Damals landeten die Sozialdemokraten bundesweit bei 15,8 Prozent, in Essen errangen sie 20,9 Prozent.

Es ist erschütternd, dass mit der AfD eine im Kern rechtsextreme Partei mit einem korrupten Kandidaten solche Erfolge erzielt.“
Julia Klewin, Oberbürgermeisterkandidatin der Essener SPD

Essener SPD verstört über das gute Ergebnis der AfD

Man lerne, sich die Laune von schlechten Wahlergebnissen nicht verderben zu lassen, gibt Essens SPD-Vorsitzender Frank Müller zu Protokoll. Was ihm allerdings die Laune verdorben hat, ist ein „höchst polarisierter Wahlkampf“, bei dem es vielen nicht im Ansatz darum gegangen sei, die Argumente der anderen Seite zu hören, sondern nur sie mit Pfiffen und Buhrufen zu übertönen. Veranstaltungen seien gestört, Wahlkämpfer angegriffen worden. Dass aus dieser schwierigen Ausgangslage nun gerade die AfD Erfolg schlagen könne, die mit autoritären Regimen flirte, sich bestechen lasse und inhaltlich keinerlei Substanz habe, sei bitter.

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Für die SPD hofft Müller zu diesem Zeitpunkt noch, dass das Ergebnis doch noch besser ausfällt als 2019. Um kurz nach 18 Uhr wissen er und die Genossen es besser: 14 Prozent sagt die Prognose, schlechter als je. Ein kollektives Stöhnen ist da zu hören, gefolgt von einem erschütterten Kehllaut bei den 16,5 Prozent für die AfD: „Uhohhh!“ Und da ahnen sie noch nicht mal, dass die „Alternative für Deutschland“ in vielen Stadtteilen im Essener Norden klar über 20 Prozent erringen wird.

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„Schmerzvoll“ nennt die Niederlage Jens Geier, der für die SPD im Europaparlament sitzt und dank Listenplatz 2 auch wieder einziehen wird. Schmerzvoll, so empfindet auch Oliver Kern die Wahlresultate, der zuletzt als Oberbürgermeisterkandidat der SPD antrat. „Es ist beängstigend, dass die Brandmauer gegen die AfD nicht steht, dass der Rechtsruck in der Gesellschaft angekommen ist.“ Angst mache ihm das, auch für die nächsten Generationen, für Kinder und Enkelkinder.

Auch die CDU dürfte nicht glücklich mit diesem Ausgang sein, es gibt auch Stadtteile, in denen sie an dritter Stelle liegt. Dieses Ergebnis ist ein Alarmsignal für beide Volksparteien. Klar, wir knallen jetzt nicht gerade mit den Sektkorken, aber das sei ein Auftrag an alle Parteien.“
Frank Müller, Vorsitzender der Essener SPD, über die hohen Stimmanteile, die die AfD in einigen nördlichen Stadtteilen errungen hat.

Auch die aktuelle OB-Kandidatin Julia Klewin blickt bang nach Rechtsaußen: „Es ist erschütternd, dass mit der AfD eine im Kern rechtsextreme Partei mit einem korrupten Kandidaten solche Erfolge erzielt.“ Auch in der Stadt, in der sie für das höchste kommunale Amt antreten will.

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SPD-Chef Frank Müller mag die teils hohen Stimmanteile der AfD nicht allein als Problem für die SPD ansehen: „Auch die CDU dürfte nicht glücklich mit diesem Ausgang sein, es gibt auch Stadtteile, in denen sie an dritter Stelle liegt. Dieses Ergebnis ist ein Alarmsignal für beide Volksparteien. Klar, wir knallen jetzt nicht gerade mit den Sektkorken, aber das sei ein Auftrag an alle Parteien.“

Die Sektkorken knallen heute nicht

Die SPD selbst wird in Essen unter 20 Prozent rutschen, auch das ist hart. Man müsse nun von Tür zu Tür gehen, mit den Menschen sprechen, verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen – was man halt so sagt an einem solchen Wahlabend. Doch Müller will das nicht als Floskeln verstanden wissen: „Die Stimmung hier bewegt sich zwischen enttäuscht – und kampfeslustig. Dieses Ergebnis ist auch ein Ansporn für uns!“ Und dass die Biertische schon vor 21 Uhr abgebaut werden, liege nicht am Frust, sondern am Frösteln. Es wird kalt an diesem Juni-Abend, in Europa und in Essen.

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