Kreis Kleve. Der Bürgermeister von Doetinchem im Interview zur Wahl-Überraschung in den Niederlanden: Seine Bürger sind nicht islamophob.

Die Parlamentswahl in den Niederlanden hat nicht nur die Bürger im Nachbarland stark überrascht. Auch im Kreis Kleve schaut man verwundert über die Grenze. Was bedeutet dieser erdrutschartige Sieg der rechtspopulistischen und islamophoben PVV von Geert Wilders für das Zusammenleben in der Grenzregion? Bekommen wir bald wieder mehr Grenzkontrollen, um illegale Einwanderung in die Niederlande zu begrenzen? Wird die regionale Zusammenarbeit entlang der Grenze unter den europafeindlichen Tönen von Geert Wilders leiden? Ein Gespräch mit Doetinchems Bürgermeister Mark Boumans (VVD).

Herr Boumans, in der deutschen Grenzregion schauen wir mit Erstaunen auf das, was am Mittwoch in den Niederlanden passiert ist. Können Sie uns das erklären?

Mark Boumans: Auch für uns war es ein überraschendes Wahlergebnis. Geert Wilders und seine PVV sind in den zwei Wochen vor der Wahl in den Umfragen wie ein Komet nach oben geschossen. Und am Ende hat er - für uns alle überraschend - mit großem Abstand gewonnen. Ich denke, dass ein Teil der Niederländer in einer Art Schockstarre aufgewacht ist.

Mark Boumans, Bürgermeister in der Stadt Doetinchem.
Mark Boumans, Bürgermeister in der Stadt Doetinchem. © Stadt Doetinchem | Stadt Doetinchem

Haben Sie diese Stimmung in Ihrer Stadt spüren können? Die PVV hat immerhin 24,6 Prozent in Doetinchem erzielt.

Wir haben es jetzt schon mehrfach erlebt, dass Parteien quasi aus dem Stand die größte Partei werden. Die Bauern-Bürger-Bewegung zum Beispiel oder das Forum für Demokratie. Jetzt ist es die PVV. Alles Parteien aus dem rechten Spektrum, die es schaffen, einen großen Teil der niederländischen Bevölkerung für sich zu gewinnen. Bürger, die sich nicht richtig vertreten fühlen. Diese Tendenz sehe ich auch in Doetichem.

Wenn man nicht in den Zentren wohnt, dann fühlt man sich schnell abgehängt. Für mich ist dieses Wahlergebnis auch ein Ausdruck dieser Stand-Land-Entwicklung. Aber ich hätte eigentlich erwartet, dass die Partei von Pieter Omzigt NSC oder die bäuerlich-bürgerliche Bewegung die meisten Stimmen gewinnen.

Wie groß war die Bauern-Bürger-Bewegung bei den letzten Provinzwahlen in Doetinchem?

Damals gewannen sie rund 30 Prozent. Jetzt hat die BBB 6,9 Prozent in Doetinchem gewonnen. Und das ist erst acht Monate her. Die Veränderungen in den Niederlanden gehen schnell.

Das Rathaus in Doetinchem. Die PVV hat hier 24,6 Prozent der Wählerstimmen gewonnen.
Das Rathaus in Doetinchem. Die PVV hat hier 24,6 Prozent der Wählerstimmen gewonnen. © FUNKE Foto Services | Thorsten Lindekamp

Die niederländischen Wähler sind an der Wahlurne ein bisschen nervös.

Na ja, offensichtlich ist ein großer Teil der Bevölkerung mit der politischen Situation unzufrieden. Der Wähler ist schnell bereit, seine Stimme einer anderen Partei zu geben. Das ist der Stabilität des politischen Systems nicht zuträglich.

In den vergangenen Jahren gab es große Diskussion über die Stickstoffpolitik und die enormen Folgen: Tempo 100, Landwirte, die aufhören mussten, Bauprojekte, die gestoppt wurden. Das war diesmal kein Thema?

Im Frühjahr waren dies wichtige Themen bei den Provinzwahlen. Jetzt dominierten die Migrations- und Wirtschaftspolitik. Offenbar fühlen sich viele Niederländer nicht richtig verstanden.

In Deutschland haben die Kommunen große Probleme, Die Flüchtlinge unterzubringen und die Schul- und Kindergartenbetreuung zu gewährleisten. Wie sieht das in den Niederlanden aus?

Wir haben ein etwas anderes System als in Deutschland. In Deutschland werden die Flüchtlinge nach der Einwohnerzahl verteilt. In den Niederlanden geschieht dies auf freiwilliger Basis. Wir versuchen natürlich auch, einen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen. Aber wir sehen auch bei uns, dass der Mangel an Wohnraum größer wird. Der Druck auf den Wohnungsmarkt nimmt zu: Wir haben gut 300 Ukrainer aufgenommen, und wir haben weitere 250 Flüchtlinge aufgenommen.

Wilders will den Flüchtlingszustrom so schnell wie möglich begrenzen. Er will mehr Grenzkontrollen einführen. Was denken Sie: Haben wir bald wieder deutlich mehr Grenzkontrollen in der Region?

Das wäre wirklich nostalgisch: Ich habe da sofort Bilder im Kopf, wie ich als Kind mit meinen Eltern über die Grenze gefahren bin, um in Deutschland einzukaufen, und die Zollwaren dann auf dem Rücksitz versteckt haben. Ich möchte mir nicht ausmalen, dass wir wieder solche Zustände wieder bekommen. Die Menschen sind in der Grenzregion so eng miteinander verwoben, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube auch nicht, dass Herr Wilders das schafft. Er kann auch keinen Asylstopp erzwingen, das ist durch europäischen Vereinbarungen geregelt.

Haben wir bald wieder mehr Grenzschützer auf der A3 / A12 zwischen Elten und Beek?
Haben wir bald wieder mehr Grenzschützer auf der A3 / A12 zwischen Elten und Beek? © FUNKE Foto Services | Thorsten Lindekamp

Aber diese Partei ist sehr wohl antieuropäisch. Und das ist eine beunruhigende Entwicklung. Ich glaube stark an die europäische Zusammenarbeit, sicherlich in unserer Grenzregion mit unseren deutschen Nachbargemeinden wie zum Beispiel Emmerich. Wir stehen in engem Kontakt mit dem Kreis Kleve oder dem Kreis Borken.

Gleichwohl haben Grenzkontrollen einen Effekt. In Bayern wurden innerhalb von zwei Wochen intensiver Kontrollen 3500 illegale Flüchtlinge entdeckt. Das wird auch Herrn Wilders zu Ohren gekommen sein.

Das mag sein. Aber Grenzkontrollen zwischen Deutschland und den Niederlanden halte ich für wenig sinnvoll. Aber Wilders sagt, wir müssen die Außengrenzen besser schützen. Bevor Flüchtlinge in die Niederlande kommen, haben sie bereits sieben oder acht andere europäische Länder durchquert. Diese Diskussion wird aber wieder zu Streit mit den ost- und südeuropäischen Ländern führen. Denn wer trägt die Kosten in diesen Ländern?

Sie erwarten also keine großen Grenzkontrollen an der A3 oder zwischen Emmerich und ´s-Heerenberg?

Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Außerdem: Wilders muss ja erst einmal eine Regierung bilden. Und das wird schon eine gewaltige Aufgabe für ihn.

Die Euregio Rhein-Waal.
Die Euregio Rhein-Waal. © Funke | Miriam Fischer (Grafiken)

Was bedeutet dieser Rechtsruck für die Zusammenarbeit in der Euregio Rhein-Waal? Kommt es da zu Spannungen?

Nein, sicher nicht. Ich arbeite seit sieben Jahren in Doetinchem und sehe, wie gut wir zusammenarbeiten. Während der Corona-Zeit haben wir gesehen, wie gut wir uns verstehen. Da mache ich mir keine Sorgen. Und wenn in Den Haag idiotische Pläne geschmiedet werden, dann werden wir uns sicher dagegen wehren.

Geert Wilders ist islamophob, so darf man ihn wohl bezeichnen. In ihrer Gemeinde haben 24,6 Prozent auf seine Partei gestimmt. Haben so viele Menschen in Doetinchem ein Problem mit dem Islam?

Ich denke, dass von den 25 Prozent, die Wilders gewählt haben, nur sehr wenige das Wahlprogramm gelesen haben. Es war eher eine Protestwahl nach dem Motto: Was in Den Haag geschieht, ist nicht in Ordnung.

Echter Protest.

Ja.

Sie gehören selbst der rechtsliberalen VVD an. Wie würden Sie es finden, wenn Ihre Partei eine Koalition mit Wilders bildet?

Das würde ich nicht begrüßen. Aber das ist nicht meine Entscheidung, das wird die Landespartei entscheiden müssen. Mein Herz erwärmt sich nicht dafür.

Sprechen Sie jetzt mehr mit Ihren Bürgern, die ja offenbar sehr unzufrieden sind?

Wir sind ständig im Gespräch mit den Bürgern. Und wenn man sich die Zufriedenheitsstatistiken anschaut, dann leben in der Region Achterhoek die zufriedensten Menschen. Hier ist es eher so, dass sich die Bürger nicht richtig in Den Haag vertreten fühlen. Im Alltag habe ich keine Probleme und ich muss den Bürgern jetzt auch keine Therapiesitzungen anbieten.

Im Wahlkampf war der Wohnungsmarkt immer wieder Thema. Viele junge Menschen bekommen einfach keine Wohnung. Wie ist die Situation in Doetinchem?

Ja, das ist auch hier eine Herausforderung. Die Stadt wächst rasant und die Zusammensetzung der Haushalte verändert sich: von früher drei bis vier Personen auf ein bis zwei Personen pro Haushalt. Wir haben also eine große Bauwelle vor uns - und das mit den bekannten Problemen wie Baupreise, Zinsniveau und knappen Wohnbaugrundstücken. Das ist nicht einfach.

Vielen Dank für das Gespräch.

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