Emmerich-Elten. Matthias Gastel, bahnpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, sieht die Gleisbettvariante kritisch. Das sind seine Argumente.

Diese Nicht-Entscheidung sorgte Mitte November für ordentlichen Wirbel in der Emmericher Politik. Eigentlich hätte der Haushaltsausschuss des Bundestages über einen Zuschuss des Bundes für die optimierte Gleisbettvariante am Eltenberg debattieren sollen. Doch dazu kam es erst gar nicht. Nach Bedenken der Grünen wurde ein entsprechender Vorschlag gar nicht auf die Tagesordnung gesetzt.

Die Bürgerinitiative „Rettet den Eltenberg“ und auch die Grünen vor Ort waren verärgert. Sohni Wernicke sagte, dass diese Entscheidung „bedauerlich“ und „verwunderlich“ sei, auch weil die Grünen zu den Aktivisten der ersten Stunde gehörten. Und Ute Sickelmann (Grüne) war „empört“ über ihre Parteifreunde in Berlin.

Zu den Adressaten gehörte auch Matthias Gastel, der bahnpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Gastel, der auch Mitglied im Aufsichtsrat der DB Netz AG ist, stand jetzt der NRZ Rede und Antwort und erläutert, warum das Vorhaben der Bergretter aus seiner Sicht klar gesetzeswidrig ist.

Matthias Gastel: „Ich kann mich nicht erinnern, dass mich vor August 2022 jemand aus der Region angesprochen hat.“
Matthias Gastel: „Ich kann mich nicht erinnern, dass mich vor August 2022 jemand aus der Region angesprochen hat.“ © Stefan Kaminski | Stefan Kaminski

NRZ: Und, haben sie schon viele wütende Anrufe und E-Mails vom Niederrhein erhalten?

Matthias Gastel: Überhaupt nicht. Ich habe nur ein paar wenige E-Mails von Bürgern bekommen. Das ist schon erstaunlich: Ich war phasenweise fast täglich vor Ort in der Zeitung, aber ich habe nur von vier Bürgern E-Mails oder Anfragen über soziale Netzwerke erhalten. Bei anderen strittigen Schienenprojekten im Land bekomme ich deutlich mehr Rückmeldungen.

NRZ: Seit wann beschäftigen Sie sich denn mit dem Betuwe-Projekt in Elten?

Gastel: Ich bin jetzt seit neun Jahren im Deutschen Bundestag und bin seitdem auch zuständig für die Bahnpolitik meiner Fraktion. Ich kann mich nicht erinnern, dass mich vor August 2022 jemand aus der Region angesprochen hat. Und das ist wirklich extrem erstaunlich. Ich kann auch nach vielen Gesprächen nicht nachvollziehen, wie so etwas passieren konnte. Ich habe mit unzähligen strittigen Projekten in Deutschland zu tun. Immer war es der Fall, dass mein Büro rechtzeitig, wenn Änderungen noch gut möglich sind, informiert wird. Mir war es dann wichtig, dass ich mich mit den Anliegen intensiv auseinandersetze.

NRZ: Gab es von den Emmericher Grünen denn nie einen Hinweis an Sie? Frau Sickelmann war im November ziemlich sauer.

Gastel: Die entscheidende Bundesebene wurde meiner Wahrnehmung nach erst sehr spät kontaktiert. Das ist genau das Ungewöhnliche: Es handelt sich um ein Bundesprojekt und dann muss man auch mit der Bundesebene Kontakt aufnehmen. Wenn man mit Landtagsabgeordneten spricht, ist das gut, aber nicht unbedingt ausreichend. Und wenn man örtliche Bundestagsabgeordnete kontaktiert, sollten diese die Mitglieder des Verkehrsausschusses einbinden – am besten parteiübergreifend. Bei jüngeren Bahnplanungen ist die engere Einbindung des Bundestages durch einen veränderten Verfahrensablauf übrigens sichergestellt. Wir befassen uns dann automatisch mit Konfliktpunkten und die Projekte erfahren eine noch höhere demokratische Legitimation.

NRZ: Ist das Kind jetzt in den Brunnen gefallen?

Gastel: Das Verfahren ist schon extrem weit fortgeschritten. Wir haben im Koalitionsvertrag beschlossen, dass Bahnprojekte beschleunigt werden sollen und nicht verlangsamt werden. Wenn wir jetzt eine neue Planung beauftragen würden, dann würde das viel Zeit kosten und auch Planungskapazität an anderen Stellen binden. Mit dem Betuwe-Projekt sind 100 Beschäftigte der Deutschen Bahn befasst. Wenn wir diese Kräfte jetzt noch einmal planen lassen würden, dann heißt das, dass sie für Jahre bei anderen dringenden Projekten fehlen.

Matthias Gastel: „Diese Umgehungsstraße kann man nur mit einer gesetzlichen Grundlage realisieren.“
Matthias Gastel: „Diese Umgehungsstraße kann man nur mit einer gesetzlichen Grundlage realisieren.“ © Stefan Kaminski | Stefan Kaminski

NRZ: Das ist ein zeitliches Argument. Sie sehen aber auch juristische Probleme.

Gastel: Ja. Wir haben uns die Pläne, die uns von der Bürgerinitiative zur Verfügung gestellt wurden, genau angesehen und festgestellt, dass der Straßenteil, der damit verbunden ist, nicht durch das Bundesfernstraßenausbaugesetz gedeckt ist. Diese Umgehungsstraße kann man nur mit einer gesetzlichen Grundlage realisieren. Diese gesetzliche Grundlage ist jedoch nicht vorhanden. Wir haben das prüfen lassen - sowohl durch das Land NRW als auch durch das Bundesverkehrsministerium. Beide sind der Ansicht, dass dieser Vorschlag rechtswidrig ist. Und das war auch schon die Rechtsauffassung der Deutschen Bahn.

NRZ: Warum wäre diese Straße rechtswidrig?

Gastel: Nicht jeder Neubau muss gesetzlich abgesichert sein. Aber wenn es mehr ist als die Verlegung einer Straße, wenn das Vorhaben einen darüber hinaus gehenden Charakter erhält und dieser nicht im Bundesfernstraßenausbaugesetz dargelegt ist, dann fehlt der Planung eine Rechtsgrundlage.

NRZ: Warum kommen die Verkehrsexperten von SPD (Udo Schiefner, Vorsitzender Bundesverkehrsausschusses), FDP (Bernd Reuther, Verkehrspolitischer Sprecher) und der Kreis Klever CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Rouenhoff zu einer anderen Einschätzung? Denn diese Herren hätten einem Zuschuss für die Gleisbettvariante zugestimmt. Hätten sie für ein rechtswidriges Projekt gestimmt?

Gastel: Na ja, ich weiß nicht wie tief andere in die Materie eingestiegen sind. Ich kann ihnen sagen, mein Büro - und ich habe ausschließlich Verkehrsingenieure beschäftigt – haben sich diese Pläne sehr genau angesehen. Wir haben unzählige Gespräche mit verschiedenen Stellen geführt, uns Unterlagen kommen lassen und diese geprüft. Ich weiß nicht, ob die Kollegen – den letztgenannten kenne ich gar nicht – dies auch rechtlich haben prüfen lassen. Als Fachabgeordneter gehe ich den Dingen gründlich nach, bevor ich mich dazu öffentlich äußere. Daher habe ich mich zunächst nicht geäußert, sondern mich erstmal in die konkrete Materie eingearbeitet.

Weder im Bundestagshaushaltsausschuss noch im Bundestagsverkehrsausschuss hat es von irgendeiner Fraktion einen Antrag gegeben, der sich auf dieses Projekt bezieht. Da sind Dinge vor Ort gesagt oder angedeutet worden, die so nicht stimmen. Ich bin nicht Mitglied im Haushaltsausschuss. Wie mir auf Anfrage bestätigt wurde, gab es auch dort keine Abstimmung, weil kein Antrag vorlag.

Die Betuwe von Emmerich nach Oberhausen ist Teil eines europäischen Eisenbahnnetzes.
Die Betuwe von Emmerich nach Oberhausen ist Teil eines europäischen Eisenbahnnetzes. © NRZ-Grafik

NRZ: Warum ist der Antrag denn nicht gestellt worden? Was wurde da im Vorfeld besprochen?

Gastel: Vielleicht, weil allen klar war, dass es sehr spät dafür war? Das müsste man diejenigen fragen, die vor Ort Erwartungen geweckt hatten. Was ich sagen kann: Die „optimierte Gleisbettvariante“ ist nicht daran gescheitert, dass der Bundestag nicht für eventuelle Mehrkosten aufkommen wollte. Es hatte sich schlichtweg niemand rechtzeitig und wahrnehmbar im Bundestag dafür eingesetzt.

NRZ: Für Sie ist das Geld nicht der ausschlaggebende Punkt, sondern die zeitliche Verzögerung?

Gastel: Ja, für mich als Bahnpolitiker ist das extrem wichtig. Wir haben uns der Beschleunigung und nicht der Verlangsamung von Schienenprojekten verschrieben. Für eine zuverlässigere Bahn, die pünktlicher fährt und erhebliche Anteile an Güter- und Personenverkehren von der Straße und dem Flugverkehr aufnehmen kann, brauchen wir dringend mehr Kapazität. Dafür setzen wir auf eine umfassende, frühe Bürgerbeteiligung – zu diesem Zeitpunkt auch gerne mit Anpassungen bei den Planungen - und dann aber auf eine zügige, entschlossene Umsetzung. Die Planung, um die es hier geht, wurde erst jüngst von einem Bahnfachverband zur wichtigsten Infrastrukturmaßnahme in Deutschland erklärt, die sich bis zum Jahr 2030 umsetzen lässt.

NRZ: Wir beurteilen sie die vorliegenden Planungen von Bahn und Straßen.NRW?

Gastel: Meinem Fachbüro und mir ist natürlich aufgefallen, dass es da Mängel und Schwächen im Planungsprozess gegeben hat, die nachwirken. Etwa die Tatsache, dass es um ein Straßen- und ein Schienenprojekt geht und wir nicht den Eindruck haben, dass es eine gemeinsame Planung von Anfang an gewesen ist. Die Bahn hatte nur die Bahn im Kopf und Straßen.NRW nur die Straße. Eine gebündelte Planung sieht anders aus. Straße und Schiene hätte besser aufeinander abgestimmt werden müssen.

Wir haben auch feststellen dürfen, dass die Kommunikation der Deutschen Bahn nicht immer gut gewesen ist. Da wurden teils widersprüchliche Aussagen gemacht und das nährt Gerüchte und Unmut. So etwas ärgert mich immer wieder. Diese Kritik habe ich gegenüber der DB sehr klar so zum Ausdruck gebracht.

NRZ: Sowohl der Naturschutzbund als auch eine Privatperson haben bereits angekündigt, zu klagen. Auch das würde die Umsetzung verzögern.

Ich habe auch mit dem Naturschutzbund Kontakt aufgenommen und mit dem Vertreter lange diskutiert. Natürlich ist es das gute Recht eines jeden Verbandes, zu klagen. Aber ich kann mit Blick auf das Planungsvorhaben der Deutschen Bahn nicht erkennen, dass es irgendwelche rechtlich zu beanstandenden Planungsfehler gegeben hätte.

Zudem: Niemand der klagt, sollte davon ausgehen, dass bei einer erfolgreichen Klage die optimierte Gleisbettvariante zum Gegenstand der Planung wird. Vielmehr würde die Deutsche Bahn dann gucken, warum die Planung nicht rechtskonform ist, und würde mit geringstmöglichen Änderungen eine rechtskonforme Planung auf den Weg bringen. Das müsste aber nicht ansatzweise die Gleisbettvariante sein. Man kann auf dem Rechtsweg nicht eine konkrete Planung erzwingen.

Auch bei der Gleisbettvariante werden Rechte Dritter tangiert. Das sind Betroffene, deren Grundstücke beansprucht oder die in puncto Lärm stärker beeinträchtigt würden. Auch gegen eine Gleisbettvariante könnte also am Ende geklagt werden, weil ganz neue Betroffenheiten ausgelöst würden. Das ist in der bisherigen Debatte noch kaum erwähnt worden. Die Androhung von Klagen ist also vermutlich keine Besonderheit einer bestimmten Planungsvariante. Für die Verkehrswende, pünktlichere Züge und den Klimaschutz im Verkehrssektor wäre es gut, es käme jetzt zu einer raschen Umsetzung dieser und der vielen Planungen andernorts, die für eine leistungsfähigere Infrastruktur dringend benötigt werden.

>> Der bisherige Zeitablauf

2014 erfolgte ein Vergleich zwischen der Gleisbettvariante und der DB-Variante. Das Gutachten von der Stadt Emmerich kam zum Schluss, dass die DB-Variante zu bevorzugen ist. Insbesondere aufgrund der geringeren Umweltbetroffenheit.

2015 hatten Bürger und Verbände die Möglichkeit, Einwendungen einzureichen.

2016 widersprach ein Gutachten der Bürgerinitiative dem Vergleich aus 2014.

2017 sprach sich der Rat der Stadt Emmerich für die optimierte Gleisbettvariante aus.

2022 unterstützte auch der Kreistag das Vorhaben der „Bergretter“.

Das Planfeststellungsverfahren soll 2023 abgeschlossen werden.