Voerde. Die Bundesregierung will kurzfristig Anreize für den Bau wasserstofffähiger Gaskraftwerke schaffen. Was das für Voerde heißt, lässt RWE offen.

Noch hat RWE für seine Wasserstoffpläne auf dem Gelände des früheren Voerder Steinkohlekraftwerks in Möllen keine Investitionsentscheidung getroffen. Der Essener Energiekonzern will die rund 60 Hektar große und seit dem Frühjahr 2017 brach liegende Industriefläche in einen Standort umbauen, an dem „künftig in industriellem Umfang grüner Wasserstoff erzeugt und zunächst Erdgas und später grünes Gas (Wasserstoff) verstromt werden“. Seit Bekanntwerden des Vorhabens im Juni 2022 bringt RWE immer wieder die Bedingungen für eine Umsetzung an. Die Realisierung hänge davon ab, dass es die „politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zulassen“. Unlängst nun hat die Ampelkoalition in Berlin die wesentlichen Elemente einer Kraftwerksstrategie vereinbart, auf die – wie andere Unternehmen in der Energiebranche – auch RWE gewartet hat.

Ein zentraler Punkt für den Essener Energiekonzern beim Bau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken ist, dass ein gesetzlicher Rahmen vorliegt, der deren wirtschaftlichen Betrieb möglich macht. Denn: „Als Backup-Kraftwerk sollen sie nur dann laufen, wenn nicht ausreichend Strom aus Erneuerbaren Energien zur Verfügung steht. Das bedeutet, dass es eine Vergütung für das Bereithalten der Kapazität braucht, nicht für die produzierte Kilowattstunde“, hatte RWE-Pressesprecher Olaf Winter Anfang Januar auf NRZ-Anfrage erklärt. Die Bundesregierung kündigt nun an, dass dazu Konzepte erabeitet und darüber bis Sommer 2024 eine Einigung erzielt werden soll. Geplant ist, dass die Betreiber über einen sogenannten Kapazitätsmechanismus dafür honoriert werden, dass sie Kraftwerkskapazitäten vorhalten. Die Bundesregierung ist nach eigener Aussage in Gesprächen mit der EU-Kommission, um einen Kapazitätsmarkt für die Zukunft zu schaffen. Dieser soll ab 2028 starten.

Kraftwerkskapazität von zehn Gigawatt soll kurzfristig ausgeschrieben werden

Die nach zähem Ringen getroffene Verständigung auf eine Strategie zum Bau neuer wasserstofffähiger Gaskraftwerke stellt gegenüber dem ursprünglichen Plan des Bundeswirtschaftsministers eine deutlich abgespeckte Version dar: Robert Habeck hatte ein Konzept vorgelegt, wonach eine Kapazität von insgesamt knapp 25 Gigawatt ausgeschrieben werden sollte. Nun sind es lediglich zehn Gigawatt. Beabsichtigt ist, vier wasserstofffähige Gaskraftwerke mit je 2,5 Gigawatt „kurzfristig“ auszuschreiben. In dem in Voerde geplanten wasserstofffähigen Gaskraftwerk sollen 900 Megawatt (MW) Strom erzeugt werden, mit Ausbaumöglichkeit auf 1800 MW. Die Kraftwerksinvestitionen will die Ampelkoalition „aus dem Klima- und Transformationsfonds“ (KTF) fördern. Dessen Umfang ist allerdings seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von November 2023 deutlich – um 60 Milliarden Euro – geschrumpft.

Auch kündigt die Bundesregierung an, dass die Planungs- und Genehmigungsverfahren „für die in der Kraftwerksstrateigie enthaltenen Kraftwerke“ substanziell beschleunigt würden. Was all diese Aussagen nun konkret für den geplanten Umbau des Industriegeländes an der Frankfurter Straße in Möllen bedeuten, ist nach wie vor offen. Auf detaillierte Fragen dazu weicht RWE aus. Der Essener Energiekonzern belässt es stattdessen bei einer allgemeinen Stellungnahme, die bereits kurz nach Bekanntwerden der Kraftwerksstrategie abgegeben wurde. „Die von der Bundesregierung vorgelegten Eckpunkte gehen in die richtige Richtung: Der Einstieg in einen Kapazitätsmechanismus, der bis 2028 operativ sein soll, ist ein effizienter Weg, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Die kurzfristig vorgesehenen Ausschreibungen von 10 Gigawatt wasserstofffähigen Gaskraftwerken sind die richtige Überbrückung.“

Die Reste des Anfang Dezember gesprengten Kühlturms liegen noch auf dem Kraftwerksgelände.
Die Reste des Anfang Dezember gesprengten Kühlturms liegen noch auf dem Kraftwerksgelände. © FUNKE Foto Services | Markus Joosten

RWE plane, sich an den Ausschreibungen zu beteiligen. Ob mit dem Gelände des früheren Steinkohlekraftwerks in Voerde, dazu äußert sich Pressesprecher Olaf Winter nicht: „Mit welchen Standorten wir uns beteiligen, dazu gibt es noch keine Festlegung.“ Auf erneute Nachfrage folgt die Bitte um Verständnis dafür, dass das Unternehmen seinem Statement zur Kraftwerksstrategie „nichts hinzuzufügen“ habe. „Das gilt insbesondere für Fragen zu einzelnen Standorten.“ Wichtig seien nun die Detailbedingungen und „dass die Ausschreibungen so schnell wie möglich erfolgen“. Positiv bewertet der Essener Energiekonzern „mit Blick auf den engen Zeitplan“ die von der Bundesregierung angekündigte Beschleunigung der entsprechenden Planungs- und Genehmigungsverfahren wie auch den „Verzicht“ auf „eine teure Vorfestlegung“ darauf, wann die „exakte Wasserstoffumstellung“ erfolgen soll.

Zeitplan und Sonderfonds

Zum Hintergrund der Kraftwerksstrategie erklärt die Bundesregierung: „Damit die deutsche Industrie bis 2045 Stahl, Zement oder andere energieintensive Produkte ohne CO2-Ausstoß herstellen kann, sollen neue wasserstofffähige Gaskraftwerke gebaut“ und diese nur noch übergangsweise mit Erdgas betrieben werden. Ab 2035 bis 2040 sollen sie von Erdgas auf grünen Wasserstoff umstellen. Geplant sei, die genauen Umstellungstermine 2032 festzulegen.

Die Bundesregierung hatte 60 Milliarden Euro, die ursprünglich dafür vorgesehen waren, die Folgen der Corona-Pandemie zu schultern, dafür aber nicht ausgegeben wurden, in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) umgeschichtet. Aus Sicht der Karlsruher Richter war dieses Vorgehen verfassungswidrig. Heißt: Dem Sonderfonds, mit dem die Bundesregierung über Förderprogramme auch Projekte der Energiewende voranbringen will, fehlen infolge des Urteils 60 Milliarden Euro.

Nach bisherigen Angaben plant RWE, insgesamt mindestens drei Gigawatt (GW) wasserstofffähige Gaskraftwerke zu bauen. Die Inbetriebnahme der Anlage am Standort Voerde ist ab spätestens 2030 geplant. Für die Zeit ab 2030 gibt der Energiekonzern als Brennstoffe Erdgas und Wasserstoff an – mit je einem Anteil von 50 Prozent. Fünf Jahre später soll das Gaskraftwerk nur noch mit Wasserstoff betrieben werden, womit sich dann der Ausstoß des klimaschädlichen CO₂ „komplett reduziert“. Eine Beteiligung an der kurzfristigen Ausschreibung mit dem Standort Voerde scheint nach dieser Zeitplanung also durchaus naheliegend zu sein. Dafür könnte im übrigen auch das Tempo beim Rückbau der alten Kraftwerksanlagen sprechen, der gut sichtbar im Sommer 2023 offiziell startete und Anfang Dezember in den ersten großen Knall mündete: Der Kühlturm wurde gesprengt.

Mittlerweile seien „das Parkdeck, Feuerwehr, Werkstatt und Betriebsgebäude“ komplett abgerissen. Mit Blick auf den gesprengten Kühlturm erklärt der RWE-Pressesprecher, dass die Aufarbeitung der Betonmassen noch eine Weile andauern werde. Diese würden analysiert. „Wir streben eine Wiederverwertung der Materialien an. Wie weit die Massen verwertet werden können, hängt von den Analyseergebnissen ab“, so Winter. Bis zum Sommer 2026 sollen die Bauten auf dem Gelände, die für die alte, klimaschädliche Produktion von Strom stehen, beseitigt und damit der Weg frei für das Wasserstoffvorhaben sein.