Essen. Regierung legt Kraftwerksstrategie vor. Warum sie für den Kohleausstieg nicht reicht. Und was Stadtwerken, Konzernen und Klimaschützern fehlt.

Es ist das größte bisher fehlende Puzzleteil für die deutsche Energiewende: Deutschland will Dutzende neue Gaskraftwerke bauen, um im Jahr 2030 seine besonders klimaschädlichen Kohlekraftwerke abschalten zu können. Diesen Plan hatte die Ampel-Koalition mit ihrem Antritt 2021 ausgegeben. Doch seitdem warten die Stromkonzerne darauf, dass es losgeht und vor allem auf Antworten auf ihre Fragen, wie das funktionieren und bezahlt werden soll. An diesem Montag nun meldet die Bundesregierung eine Einigung und die kurzfristige Ausschreibung für den Bau von rund 20 Gaskraftwerken. Doch alle Fragen beantworten kann sie immer noch nicht.

Um die Kraftwerksstrategie, insbesondere um die Finanzierung und die staatliche Förderung hatten Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) lange gerungen. Nun teilt das Wirtschaftsministerium mit, Habeck habe sich mit Lindner und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf einen Plan für den Bau wasserstofffähiger Gaskraftwerke in Deutschland geeinigt. Es sollen Gaskraftwerke mit Kapazitäten von vier mal 2,5 Gigawatt kurzfristig ausgeschrieben werden. Stromerzeuger wie RWE, Uniper und Stadtwerke sollen sich an den Ausschreibungen beteiligen und zügig mit dem Bau der Kraftwerke beginnen.

Bund will 16 Milliarden Euro zum Bau neuer Gaskraftwerken beisteuern

Laut Mitteilung sollen sie vom Bund gefördert werden, mit Geld aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF). Aus Koalitionskreisen heißt es, die Kosten lägen bei insgesamt bei rund 16 Milliarden Euro für die nächsten 20 Jahre. Zu den Vorgaben für die Konzerne gehört, dass sie ihre neuen Gaskraftwerke „zwischen 2035 und 2040“ vollständig mit Wasserstoff betreiben sollen. Da auch Erdgas ein fossiler Brennstoff ist, der das Treibhausgas CO₂ verursacht, bringt erst der Umstieg auf möglichst grünen Wasserstoff die Kraftwerke in die Nähe der Klimaneutralität.

Die Konzerne stehen seit Jahren in den Startlöchern und betonten in den vergangenen Monaten immer wieder, langsam werde es eng: Wenn ab 2030, dem Jahr, in dem die Ampel „idealerweise“ aus der Kohle aussteigen will, Gaskraftwerke die Stromversorgung in Deutschland sichern sollen, müsse man allmählich mit den Projekten beginnen. Genehmigung und Bau haben bisher durchschnittlich sieben Jahre gedauert. Die Regierung verspricht nun allerdings, die Planungs- und Genehmigungsverfahren für die Gaskraftwerke würden „substanziell beschleunigt“.

Doch Erzeugern wie dem Essener RWE-Konzern ging es vor allem auch darum, wie der Betrieb der Kraftwerke vergütet wird. Sie fordern, dass die Kapazitäten der Kraftwerke und nicht der tatsächlich erzeugte Strom bezahlt werden. Anders würden sich die Kraftwerke nicht rechnen. Denn sie sollen nur in „Dunkelflauten“ laufen, wenn zu wenig Ökostrom aus Wind und Sonne ins Netz fließt.

RWE, Steag und Uniper begrüßen Eckpunkte der Ampel-Regierung

Dieser sogenannte Kapazitätsmarkt soll nun tatsächlich kommen, allerdings ist noch unklar, wie genau er aussieht, sprich, mit wie viel Geld die Unternehmen für nicht erzeugten Strom rechnen können. Eine Einigung darüber wolle man „bis spätestens Sommer 2024“ erzielen, heißt es dazu aus der Hauptstadt. Eingeführt werden soll er bis spätestens 2028. Ob das RWE & Co. als Sicherheit reicht? Immerhin sollen sie sich jetzt für den Bau von Kraftwerken entscheiden, ohne zu wissen, wie genau die Vergütung aussehen wird.

RWE, Uniper und die Steag begrüßten die Einigung in Berlin ausdrücklich, die Eckpunkte samt Ankündigung eines Kapazitätsmarktes gingen „in die richtige Richtung“, erklärte ein RWE-Sprecher auf Anfrage. Aber er schränkte ein: „Wichtig sind jedoch die Detailbedingungen und dass die Ausschreibungen so schnell wie möglich erfolgen.“ RWE-Chef Markus Krebber hatte zuletzt klar gemacht: „Ohne einen solchen staatlichen Rahmen werden wir die Kraftwerke nicht bauen.“

Steag vermisst Details zum Kapazitätsmarkt und den Ausschreibungen

Der Essener Energiekonzern Steag begrüßte die Einigung ebenfalls, insbesondere den Kapazitätsmarkt. Allerdings stehe die beihilferechtliche Absprache mit der Europäischen Union ebenso noch aus wie eine die angekündigte Konsultation einer breiteren Öffentlichkeit. „Als Folge dessen fehlt es zudem an einem konkreten Zeitplan und konkreten Details der geplanten Ausschreibungen, um die Kraftwerksneubauten anzureizen“, sagte ein Konzernsprecher.

Das Steag-Heizkraftwerk mit Gas- und Dampfkraftwerk in Herne.
Das Steag-Heizkraftwerk mit Gas- und Dampfkraftwerk in Herne. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Beim Düsseldorfer Uniper-Konzern gab man sich vor allem zuversichtlich. „Wir sind sehr erleichtert, dass die Bundesregierung sich auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Kraftwerksstrategie geeinigt hat und sich zugleich für die Einführung eines Kapazitätsmechanismus in Deutschland ab 2028 ausspricht“, erklärte das Unternehmen auf Anfrage. Uniper befindet sich freilich in staatlicher Hand, nachdem der Bund den Konzern im Zuge der Gaskrise vor gut einem Jahr retten musste.

Uniper zeigt sich „erleichtert“ über Einigung von Habeck und Lindner

Der Stromerzeuger kündigte an, dass Uniper einen Teil der neuen Kapazitäten für Deutschland bauen werde. Man werde „die geplante Konsultations-Phase positiv begleiten“, in der es um die Ausgestaltung des Kapazitätsmarktes geht. „Sobald wir die Details prüfen konnten, werden wir entscheiden, ob und mit welchen Investitionen wir uns beteiligen“, so Uniper. In der Vergangenheit hatte der Konzern erklärt, Gaskraftwerke mit einer Gesamtkapazität von „mehreren Gigawatt“ bauen zu wollen.

RWE hatte der Bundesregierung bisher den Bau von Gaskraftwerken mit einer Gesamtkapazität von drei Gigawatt zugesagt. Am Montag bekräftigte der Dax-Konzern, er beabsichtige, „an den Ausschreibungen zu beteiligen“. Eine wichtige Rolle beim Zubau wird auch den Stadtwerken in Deutschland zukommen. Klar ist allerdings: Die nun angekündigten zehn Gigawatt Gasstromkapazität sind nicht einmal die Hälfte dessen, was tatsächlich benötigt wird, um die Kohlekraftwerke abschalten zu können. Dafür braucht es nach Branchenangaben rund 25 Gigawatt, also rund 50 statt der angekündigten 20 Gasblöcke. Dass die Planungs- und Genehmigungsverfahren für diese neuen Kraftwerke substanziell beschleunigt werden sollen, ist mit Blick auf den engen Zeitplan zu begrüßen. E

Deutsche Umwelthilfe: „Umstieg auf Wasserstoff kommt spät, aber nicht zu spät“

Entsprechend skeptisch äußert sich die Deutsche Umwelthilfe (DUH) gegenüber unserer Redaktion: „Diese Einigung lässt viele Fragen offen – in erster Linie die, wie viel das kostet und wie es bezahlt werden soll“, sagt DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Unklar ist auch, ob bei den Gaskraftwerken, die zeitnah ausgeschrieben werden sollen, nur der Betrieb oder auch der Bau subventioniert werde. Ebenso, ob später gebaute Kraftwerke dann über den erst ab 2028 greifenden Kapazitätsmechanismus finanziert werden sollen. „Was bisher bekannt ist, ist sehr vage“, findet der Energie- und Klimaexperte der DUH.

Was ebenfalls noch für einen in sich geschlossenen Plan fehlt, ist ein bundesweites Wasserstoffnetz und die Gewissheit, dass auch genügend und möglichst grün erzeugter Wasserstoff zur Verfügung stehen wird, wenn er das Erdgas als Brennstoff ablösen soll. Klimaschützer Müller-Kraenner lobt die Eckpunkte der Regierung trotzdem: „Eine vollständige Umstellung auf Wasserstoff bis 2040 ist spät, aber nicht zu spät“, sagt er. Wichtig sei aber, dass dieser Wasserstoff dann grün sei: „Das muss garantiert sein, wenn man wirklich klimaneutral werden will.“

Die Regierung vermeidet bisher aber den Zusatz „grüner“ vor Wasserstoff in ihrer Forderung, bis 2040 umzustellen. Damit könnten die Kraftwerksbetreiber etwa auch „grauen“ Wasserstoff verwenden, der mit Hilfe fossiler Brennstoffe gewonnen wird. RWE lobte an diesem Punkt ausdrücklich, dass die Regierung auf „eine teure Vorfestlegung auf die exakte Wasserstoffumstellung“ verzichte.

Die Stadtwerke warnen vor neuem Strom-Oligopol

Die Stadtwerke zeigten sich ebenfalls grundsätzlich erleichtert, dass es eine erste Einigung zur Kraftwerksstrategie gibt, sie sehen aber ebenfalls noch viele Fragen offen. „Richtig ist, dass die Einigung eine Verzahnung von kurzfristig ausgeschriebenen Kraftwerken mit dem langfristigen Marktdesign vorsieht“, erklärte der Verband kommunaler Unternehmen (VkU), der für die Energietöchter der Stadtwerke spricht. Entscheidend sei es aber nun, „dass möglichst schnell Klarheit herrscht: Sowohl über die konkrete Ausgestaltung der im Rahmen der Kraftwerksstrategie kurzfristig vorgesehenen Ausschreibungen als auch über die Rahmenbedingungen eines zukünftigen Kapazitätsmarkts“. Hier komme es auf die Details an. Schon jetzt warnen die Stadtwerke vor „neuen Oligopolen im Bereich der Versorgungssicherheit“, die entstünden, wenn sich nur Konzerne wie RWE und Uniper an den Ausschreibungen beteiligen.