Voerde. Deichgräf Ingo Hülser aus Voerde hat die aktuelle Hochwasserlage am Rhein genau im Blick. Im Interview spricht er über die Sicherheit der Deiche.

Der Dauerregen der vergangenen Tage hat den Rheinpegel wieder steigen lassen. 8,16 Meter zeigt der Pegel in Duisburg-Ruhrort am Donnerstagmittag an - 1,30 Meter mehr als am Vortag. Auch in Voerde ist der Rhein an vielen Stellen deutlich über das Ufer getreten. Ingo Hülser, Chef des Deichverbandes Mehrum, verfolgt die Hochwasserlage ganz genau. Redakteurin Petra Keßler hat mit ihm über die aktuellen Prognosen, die Sicherheit der Deiche und über den Fall eines Jahrhunderthochwassers gesprochen.

Am zweiten Weihnachtstag haben Sie aufmerksam, aber nicht alarmiert auf die Hochwasserlage am Rhein geschaut. Da hieß es, dass am Mittwoch (27. Dezember) der Höchststand am Pegel Ruhrort erwartet werde und danach selbiger bis zum Wochenende wieder sinkt. Wie sehen die Prognosen jetzt aus?

Ingo Hülser: Nach derzeitiger Prognose wird der Pegel wieder deutlich ansteigen und den Höchststand von Ende letzten Jahres übersteigen. Glücklicherweise scheint sich das Wetter ab Ende der Woche zu beruhigen und es werden weniger Niederschläge erwartet.

Aktuell herrscht beim Deichverband Mehrum die Wachstufe 1, die zweite tritt ab einem Pegelstand von zehn Metern ein. Welche Maßnahmen sind damit und mit der letzten Wachstufe verbunden?

Hülser: Bei Wachstufe 2 muss der Deich viermal täglich durch die jeweiligen Deichwachen begangen werden. Über den Deichbegang ist anschließend ein Protokoll zu führen.

Der Rhein, hier am Donnerstag in Duisburg-Walsum, ist deutlich übers Ufer getreten.
Der Rhein, hier am Donnerstag in Duisburg-Walsum, ist deutlich übers Ufer getreten. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Ab welcher Hochwasserlage herrscht beim Deichverband Mehrum Alarm? Wann kam dies zuletzt vor?

Hülser: Im Bereich des Deichkreuzes in Ork beträgt beispielsweise die Deichkronenhöhe NN+26,30 m und die rheinseitige Geländehöhe NN +19,80 m. Der Deich ist an dieser Stelle also 6,50 Meter hoch. Beim aktuellen Hochwassergeschehen (Höchststand Pegel Ruhrort 9,47 m) war der Wasserstand rheinseitig des Deiches in Ork 1,70 Meter hoch. Demnach war noch fast fünf Meter Deichhöhe ohne Wasserbeaufschlagung und somit ausreichend Freiraum bis zur Deichkrone vorhanden.

Der höchste bekannte Wasserstand am Pegel Ruhrort war am 2. Januar 1926 mit 13 Metern gemessen worden.
Das Wasser hätte dann ca. 1,30 Meter unterhalb der Deichkronenhöhe am Deichkreuz in Ork gestanden. Zusammenfassend kann man sagen, dass der Deichverband Mehrum auf Hochwasserereignisse vorbereitet ist. Je höher das Wasser vor dem Deich steht, umso aufmerksamer wird der Deich überwacht.

Der etwa elf Kilometer lange Deichabschnitt Ihres Verbandes ist zum größten Teil saniert. Davon ausgenommen ist das Teilstück in Götterswickerhamm zwischen Kraftwerk Voerde und Parkplatz Storchennest. Wie gefährdet ist das Rheindorf im Falle eines Extremhochwassers?

Hülser: Der Deichabschnitt in Götterswickerhamm ist bei einem Extremhochwasser nicht sicher. Das gilt aber auch für alle übrigen Deichabschnitte im Regierungsbezirk Düsseldorf, da kein Deich am Rhein für ein sogenanntes Extremhochwasser-Ereignis dimensioniert und technisch ausgelegt ist. Egal ob der Deichabschnitt noch saniert werden muss, oder bereits saniert ist. Für ein Hochwasserereignis, das dem Bemessungshochwasser 2004 (Pegel Ruhrort und Wesel 14.800 m3/s) entspricht, ist der Deichabschnitt in Götterwickerhamm jedoch ausreichend hoch.

Anders sieht es natürlich mit der Deichgeometrie und dem Deichaufbau aus. Der sanierte Deich ist viel flacher und in der Regel als sogenannte Drei-Zonen-Deiche mit einer Dichtschürze, einem Stützkörper und einem Dränkörper aufgebaut. Allerdings ist auf gesamter Deichlänge eine gut ausgebaute Straße vorhanden, sodass eine Deichverteidigungsmaßnahme - im Falle des Falles - in jedem Fall gut durchführbar wäre.

Stimmen werden angesichts des Klimawandels lauter, dass die Sicherheit der Deiche mehr in den Fokus rücken müsse. Wie sehen Sie das?

Hülser: Ja, die Deichsicherheit ist ein Thema, das mindestens so lange auf die politische Tagesordnung gehört, bis alle Deiche an die allgemein anerkannten Regeln der Technik angepasst sind. Insofern sollten zukünftig auch Vorsorgemaßnahmen, beispielsweise zur Verminderung der hochwasserbedingten Einflüsse des Klimawandels, in die technische Dimensionierung der zu sanierenden Deiche aufgenommen werden.

Der Fokus sollte aber ganz klar in der Umsetzung der schon längst überfälligen Deichsanierungsmaßnahmen an der Rheinschiene liegen. Trotz des von der Bezirksregierung aufgestellten Fahrplans Deichsanierung aus dem Jahr 2014 - der bis 2025 abgearbeitet werden sollte - sind von geplanten von 44 Deichsanierungsmaßnahmen nur sechs Maßnahmen umgesetzt worden.

Was wäre ein Jahrhundertwasser? Wäre der Deich in Voerde dafür heute insgesamt für gewappnet?

Hülser: Die noch nicht sanierten Deiche am unteren Niederrhein, und damit auch der Deichabschnitt in Götterswickerhamm, entsprechen in der Deichhöhe mindestens dem sogenannten Jahrhunderthochwasser, also einem Hochwasserereignis, das statistisch gesehen einmal in 100 Jahren auftritt. Die Deichsanierungen, die seit dem Beginn der 1990er Jahren am Rhein in NRW durchgeführt wurden, sind auf Hochwasserereignisse ausgelegt, die statistisch gesehen seltener als einmal pro 100 Jahre auftreten.

Insofern haben wir am Niederrhein bereits jetzt ein hohes Sicherheitsmaß. Es mangelt leider nur an der Geschwindigkeit zur Genehmigung und damit Umsetzung der Deichsanierungsprojekte; da besteht ein dringender Handlungs- und Verbesserungsbedarf insbesondere auf Seiten des Landes NRW beziehungsweise der Genehmigungsbehörden. Dies haben die Deichverbände in der Vergangenheit immer wieder angemahnt. Geändert hat sich leider: nichts!