Voerde/Niederrhein. Seit zehn Jahren ist Ingo Hülser Deichgräf beim Deichverband Mehrum in Voerde. Deutschlands längster Fluss fließt quasi vor seiner Haustür.
13 Meter hoch stand der Rhein beim „Jahrhundert-Hochwasser“ vor fast 100 Jahren. Am 2. Januar 1926 trat das Wasser weit über die Ufer in Voerde am Niederrhein. Am Restaurant „Rheinwacht“ gibt es eine Marke, die an diesen Tag erinnert. In Folge dieses Ereignisses wurde der Deichverband Mehrum gegründet, der sich bis heute um den Deich und dementsprechend auch um Hoch- und Niedrigwasserereignisse des Rheins kümmert. Der Deich, der im Laufe der Jahre an einigen Stellen saniert wurde, ist anhand der Rekordhöhe ausgerichtet, erklärt Deichgräf Ingo Hülser, der direkt am Rhein wohnt, seit 2004 Mitglied des Deichverbands und seit 2013 Deichgräf ist.
Der Deich bestehe aus drei „Zonen“, einem Stützkörper aus Sand, einer Lehmschürze sowie einer Abdeckung aus Sand. „Man meint, es wäre nur Erde, aber der hat einen technischen Aufbau“, betont Hülser. Die Lehmschicht sei bis zu zwei Meter dick und kann extrem viel Wasser aufnehmen, sagt der Deichgräf.
Wasserstand mehr als vier Meter über der Normalhöhe
Aktuell steht der Rhein an der Messstelle Duisburg-Ruhrort, an der sich Hülser orientiert, bei acht Metern, bis Sonntag soll der Wert auf 8,50 Meter steigen. Danach beruhigt sich die Lage wieder etwas, ehe nach Weihnachten laut Zwei-Wochen-Prognose der Pegel wieder steigen soll. Die Weiden stehen deutlich unter Wasser, an einigen Stellen steht das Wasser schon bis zum Deichfuß. Der Normalstand des Rheins in Voerde beträgt 3,94 Meter.
Nicht weit von Hülsers Haus entfernt gibt es einen Fußgänger-und Radweg direkt am Ufer, auf dem das Wasser schon überschwappt. Doch Hülser macht sich keine Sorgen, die erste Meldestufe ist zwar bei acht Metern erreicht, doch kritischer wird es erst bei zehn Metern, die der nächsten Meldestufe entsprechen. „Ursprünglich war die Vorhersage, dass das Wasser noch deutlich mehr steigt, so ist es nicht ganz so wild“, meint Hülser.
Weitgehend sanierter Deich gibt ein gutes Gefühl
Er bekommt täglich Lageberichte, ob zum Beispiel Treibholz in Deichnähe ist, das gefährlich werden könnte. „Ich fahre den Deich ja auch regelmäßig selber ab und hab an der ein oder anderen Stelle schon dickes Treibholz gesehen, das ist bei den Wasserständen noch nicht gefährlich, aber das melde ich dann dem Verband“, erklärt Hülser. In seinen zehn Jahren als Deichgräf hat er bislang noch keine Situation erlebt, die in Sachen Hochwasser wirklich kritisch war. „Wir haben den Vorteil, dass wir einen über weite Strecken sanierten Deich haben, da haben wir ein relativ gutes Sicherheitsgefühl.“
Neben dem vielen Niederschlag in den vergangenen Wochen sei das aktuelle Hochwasser auch durch Schmelzwasser aus den Alpen begünstigt. „Wir sind hier natürlich auch sehr abhängig, wie sich die Pegel der Mosel und des Mains als Hauptzuströmer entwickeln. Wenn die auch Wasser kriegen, dann gehen hier die Pegel schlagartig nach oben“, betont Hülser. Insgesamt kümmert sich Hülser zusammen mit einem Team vom Deichverband, das in verschiedene Bezirke eingeteilt ist, um 12,5 Deichkilometer.
Der Verband besteht aus über 1000 Mitgliedern, von denen ein Dutzend den Verbandsausschuss, den sogenannten Erbentag, bildet. Die nächste Wahl findet im kommenden März statt. „Ich hoffe, dass sich wieder genug Mitglieder für die Wahl finden“, sagt der Deichgräf.
Unterschiedliche Ereignisse in den Sommermonaten
Mit Blick auf die vergangenen 20 Jahre resümiert Hülser: „Im Sommer beobachten wir ganz stark Niedrigwasser. Da hat man fast das Gefühl, man könnte durch den Rhein durchlaufen.“ Im Gegensatz dazu habe es in den vergangenen Jahren aber auch schon mehrfach Sommerhochwasser gegeben, als schlagartig Ende Mai/Anfang Juni viel Regen gekommen sei und dann bis zum Deich Wasser stand, berichtet der Voerder. Extreme Hochwasserereignisse habe er in seiner Amtszeit noch nicht erlebt.
Während der Fahrt über den Deich bemerkt Hülser einige große Stücke Treibgut. „Wenn die sich hier in den Bäumen verhaken und immer wieder gegen den Deich gestoßen werden von den Wellen, können die natürlich einen Schaden am Deichkörper verursachen. Da greifen wir dann ein und würden das Treibholz entfernen.“ An einigen Stellen müsste man auch auf die starke Strömung des Rheins achtgeben, betont der Deichgräf.
An Treibgut sei grundsätzlich alles denkbar, sagt Hülser. Von großen Stahlbehältern über Telegraphenmasten bis hin zu großem Treibholz und Kühlschränken sei alles dabei gewesen. „Als das Mosel-Hochwasser im Ahrtal war, kam über den Rhein wie an einer Perlenkette Treibgut durch. Da kamen ganze Reste von Gartenhäusern oder Rundballen von der Weide an. Da kam ein dickes Teil nach dem anderen angetrieben. Das war schon echt beängstigend. Da hat man gesehen, welche Kraft Wasser hat und was es für einen Schaden anrichten kann“, berichtet der Voerder. Solche Ereignisse, ganz zu schweigen von einem Jahrhundert-Hochwasser, seien laut Prognosen in den kommenden Jahren jedoch nicht zu erwarten, sagt Hülser.