Dinslaken. Die Burghofbühne Dinslaken zeigte mit „Fabian“ das Ertrinken im Strudel der Zeit. Dies sind die Parallelen der 1920er Jahre zu heute.
Ein Technoclub der 90er Jahre. Schwarz gestrichener Brutalismus, nur die Wände dieser Bühnenkulisse von Jörg Zysik verweisen mit ihren stürzenden Linien in die Zeit des Expressionismus, in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Oben in der DJ-Kabine lässt Jan Exner die Bässe dröhnen, unten leben Fabian (Markus Penne), der „vieles kann, aber nichts möchte“ und sein Freund Dr. Labude (Norhild Reinicke – „Ich bin schon mit ganz anderen als mit mir fertig geworden“) in die Nacht hinein. 100 Jahre Berliner Clubleben: „Der Lärm und das Lachen sind nicht persönlich gemeint und können uns deshalb nichts anhaben.“
Nichts anhaben. Eine Schlüsselphrase nicht nur für die Darstellenden in Mirko Schomberts Burghofbühnen-Inszenierung von „Fabian“, der Romansatire von Erich Kästner, die mit ihren Bonmots und ihrer moralischen Unmoral an Oscar Wilde erinnern würde, wäre da nicht die drückende Last der historischen Realität der ausgehenden 20er Jahre: Das Trauma des 1. Weltkriegs, Inflation und Arbeitslosigkeit, das Erstarken der Nazis, deren Anhänger sich Straßenkämpfe mit den Linken liefern. Europa steuert dem Abgrund entgegen und alle schwimmen mit.
Die Rolle des bloßen Betrachters
Nur Fabian schwimmt nicht, er lässt sich treiben. Er wählt die Rolle des bloßen Betrachters, der zwar weiß, was moralisch wäre, aber auch seine gemischten Gefühle wie ein Chirurg seziert, wenn er sich einmal wieder in eine Situation gebracht hat, für die er eigentlich zu sensibel ist. Labude gibt sich kämpferischer, spielt aber schon in der erste Szene mit Selbstmordgedanken. Es ist halt keine Zeit für Intellektuelle, weder für die, die von sich glauben, Weltenveränderer zu sein noch für die, die versuchen, Distanz zu waren.
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Aber was wäre die Alternative? Labudes Fernbeziehung scheitert, als ein zweitklassiger Assistent seines Professors sich den schlechten Scherz erlaubt, Labudes in fünf Jahren akribisch ausgearbeitete Dissertation über Lessing wäre vom Professor als völlig blamables Machwerk abgelehnt worden. Die Folge: Er erschießt sich. Die Szenen, in denen Fabian mit dem toten Freund in seinen Armen spricht, machen Markus Penne und Norhild Reinicke zu den bewegendsten des Premierenabends am Samstag in der Kathrin-Türks-Halle.
Dies geschieht zu einer Zeit, in der es auch schon mit Fabian bergab geht. Den Job als Werbetexter, den der studierte Germanist inhaltlich exzellent, aber mit formaler Desinteresse leistet, wird ihm gekündigt: Der Schleimer wird vorgezogen.
Der Fall Harvey Weinstein
Und die Liebe, die für Fabian Motivation sein sollte, seinem Leben endlich einen Sinn zu geben, scheitert am Ehrgeiz der Freundin (Lara Christine Pelzer). Die Juristin bricht lieber ihrem Kopf das Herz und ihrem Herz das Genick, als auf die Aussicht einer Karriere als Filmstar zu verzichten. Wie Kästner in seinem Roman von 1931 den Fall Harvey Weinstein mit allen Konsequenzen vorwegnimmt, gibt schwer zu denken.
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Aber diesen Fatalismus - „am End’ ist es das alte Lied“, wie Zarah Leander zum Schluss mit „Nur nicht aus Liebe weinen“ verzerrt vom Band singt - macht Schombert zum Motor der ganzen Inszenierung, die alles rauschhaft in den Abgrund zieht. Denn die 20er von einst sind auch ein Stück weit die 20er von heute. Kriege, Inflation, Erstarken der Rechten und die Hilflosigkeit derer, die ahnen, wohin das alles führen kann, aber kein Mittel finden, gegenzusteuern.
Fabian ertrinkt, weil er ein Kind retten will, aber selbst gar nicht schwimmen kann. Eine Metapher. Lernt schwimmen! Aber wie? Mitschwimmen Richtung Abgrund und versuchen, den Kopf oben zu halten: So funktioniert die Gesellschaft. Oder eben nicht. Schomberts „Fabian“ ist düster, dystopisch, fatalistisch. Keine leichte Kost, die sein Ensemble mit Einsatz und Spielfreude auf die Bühne brachte.
Kreatives Ensemble
Schon zu Beginn lobte Mirko Schombert sein „kreatives und engagiertes Ensemble“. Markus Penne (Fabian), Norhild Reinicke (Labude), Lara Christine Pelzer (Cornelia), Jan Exner (DJ, Erzähler) und Matthias Guggenberger, Arno Kempf und Christiane Wilke (in wechselnden Rollen) wussten zu überzeugen. Die Ausstattung entwarf Jörg Zysik. Dramaturgie: Verena Caspers. Regieassistenz: Julia Kempf.