Dinslaken/Voerde/Hünxe. 355 Städte und Gemeinden in NRW, darunter auch Dinslaken, Voerde und Hünxe, haben einen Brandbrief verfasst. Das kritisieren sie konkret.
In einem Brandbrief an Ministerpräsident Hendrik Wüst warnen die Verwaltungschefs von 355 Städten und Gemeinden in NRW – 396 sind es in Nordrhein-Westfalen insgesamt – angesichts immenser „Belastungen“ und einer „chronischen Unterfinanzierung“ vor einem finanziellen Kollaps. Zu den Unterzeichnern des Schreibens an den Landesvater gehören auch die Bürgermeister von Dinslaken, Voerde und Hünxe. Die Verfasser zeichnen ein düsteres Szenario, sie sehen in Folge der aktuellen Situation der Haushalte die kommunale Selbstverwaltung „in Gefahr“.
Immer mehr Aufgaben für die Verwaltungen vor Ort
Auf der einen Seite stagnierten die Steuereinnahmen und würden Bund und Land die Zuwendungen an die Kommunen kürzen. Auf der anderen Seite stiegen die Kosten für Sachaufwendungen und Personal und die kreisangehörigen Städte und Gemeinden würden durch stetig neue Erwartungen an Leistungen der Daseinsvorsorge überfordert.
Bei der Unterbringung und Versorgung geflüchteter Menschen sei man „jenseits der Grenze der Leistungsfähigkeit“, die Regelung, dass ab 2026 jedes Grundschulkind der Klassen eins bis vier einen Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung hat, sei unzureichend finanziert. Außerdem werden die „stark inflationäre Preisentwicklung“, die Verpflichtung, kommunale Wärmepläne zu erstellen oder die „steigenden Zinslasten für sämtliche kommunalen Kredite“ als einige weitere „Überlastungen“ angeführt. „In der Summe entwickelt sich eben diese Dramatik“, kommentiert Dirk Haarmann.
Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen
Der Voerder Bürgermeister und seine 354 Kolleginnen und Kollegen fordern unter anderem, eine „aufgabenangemessene Finanzausstattung“ der Städte und Gemeinden wiederzustellen, indem der Verbundsatz im Gemeindefinanzierungsgesetz deutlich erhöht wird. Auch soll auf gesetzliche Regelungen zu deren Lasten verzichtet werden, wenn es keine eigenen Finanzierungsverpflichtungen des Bundes bzw. des Landes gibt. Zu denen, die seit Jahren – unter anderem als Mitglied des Aktionsbündnisses „Für die Würde unserer Städte“ – den Finger mit in die Wunde legen, gehört auch Voerde. Bund und Land müssten künftig eine rechtskonforme, dem Konnexitätsprinzip (vereinfacht gesagt: Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen) „entsprechend nachvollziehbare Kommunalfinanzierung sicherstellen“, heißt es aus dem Rathaus. Bund und Land, die den Städten und Gemeinden Aufgaben übertragen, sollen auch deren Finanzierung übernehmen.
Sollte sich an der gegenwärtigen Situation nichts ändern, würden die Folgen unmittelbar vor Ort spürbar sein, warnen die 355 Verwaltungschefs: Die Städte und Gemeinden im Land würden „fast flächendeckend gezwungen sein, die Grundsteuer B anzuheben“ – und zwar in einem Maße, das der Bevölkerung schlichtweg weder vermittelbar noch zumutbar sein werde. Eine Erhöhung der Abgabe trifft alle Haus- und Wohnungseigentümer – und am Ende jeden. Denn: Vermieter können sie über die Nebenkosten an ihre Mieter weitergeben.
Appell an Landesregierung, den Hilferuf ernst zu nehmen
In Voerde ist der Hebesatz seit 2016 stabil. Die Stadt laufe 2024 und 2025 in einen strukturell nicht ausgeglichenen Haushalt und muss das Defizit über ihre Rücklage ausgleichen. Trotz dieser düsteren Aussicht für den Doppelhaushalt sei nicht vorgesehen, die Grundsteuer B anzuheben, erklärt Haarmann. Spätestens wenn die Ausgleichsrücklage aufgebraucht ist, besteht erneut die Gefahr, dass Voerde in die Haushaltssicherung rutscht – womit die Handlungsfähigkeit der Stadt aufgrund der Vorgaben und erheblicher Einschnitte erneut stark eingeschränkt wäre. Haarmann appelliert, den Hilferuf ernst zu nehmen: „Das geht so nicht mehr!“
Auf den Ernst der Lage weißt auch Bürgermeister Dirk Buschmann aus Hünxe hin. „Was uns derzeit am meisten beschäftigt ist die Unterbringung von Flüchtlingen“, sagt er. Es fehle langsam an passenden Plätzen, aber man bekäme immer mehr Menschen zugewiesen, die man unterbringen soll. „Die Probleme vor Ort scheinen niemanden zu kümmern.“ Eine Anhebung der Grundsteuer B sei auch in Hünxe noch nicht vorgesehen, erklärt Dirk Buschmann. Allerdings sieht er in der finanziellen Überlastung der Kommunen eine andere Gefahr: Nicht mehr richtig funktionierende Verwaltungen würden vor Ort für Unmut sorgen, was dazu führen könnte, dass Menschen unzufrieden werden und dann für extreme Parteien stimmen. „Das will niemand. Dann wäre die Demokratie gefährdet“, sagt Dirk Buschmann.
>>>Vereinfachung der Förderprogramme notwendig
Nach Ansicht der Stadt Voerde müssen die Fördersysteme „dringend vereinfacht“ und die Vielfalt an Förderprogrammen reduziert werden. „Die permanente Beobachtung der Förderlandschaft und die Bearbeitung von Förderanträgen bindet in großem Umfang und unnötigerweise Arbeitskräfte“, erläutert Stadtpressesprecherin Miriam Lütjann. Es müsse erreicht werden, dass für Investitionen im Rahmen der kommunalen Pflichtaufgaben auch in angemessenem Maße „langfristig planbare, pauschale und vor allem unbürokratisch einsetzbare Investitionsmittel zur Verfügung gestellt werden“.