Voerde. Szenario würde tiefe Einschnitte für die Stadt bedeuten. Bürgermeister sieht Bund und Land bei Finanzausstattung der Kommunen in der Pflicht.
Vor wenigen Jahren erst hat die Stadt eine lange finanzielle Durststrecke hinter sich lassen können: Die Kommune befindet sich nicht mehr in der Haushaltssicherung, was grundsätzlich und in der Theorie mit größeren Handlungsspielräumen verbunden ist. Die aktuellen negativen Entwicklungen, die Bürgermeister Dirk Haarmann mit großer Sorge auf den Haushalt blicken lassen, werfen allerdings die Frage auf, ob Voerde bereits in Bälde genau dieses Szenario wieder droht. Der Verwaltungschef sieht diese Gefahr akut noch nicht
Die Stadt Voerde habe durch „das erfolgreiche Wirtschaften“ der vergangenen Jahre – seit 2019 wurden durchgängig Überschüsse in der Jahresrechnung erzielt – eine Ausgleichsrücklage aufbauen können. Diese lag Haarmann zufolge Ende 2021 bei rund 4,9 Mio. Euro. Auch für 2022 werde voraussichtlich erneut ein Überschuss darstellbar sein, „der die Ausgleichsrücklage weiter auffüllt“. Von diesen Reserven könne zunächst noch gezehrt und absehbar ein zumindest fiktiv ausgeglichener Haushalt dargestellt werden, „so dass zumindest unmittelbar noch kein erneutes Abrutschen in die Haushaltssicherung zu erwarten ist“.
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Und selbst wenn die Ausgleichsrücklage verbraucht sei, würde dies nicht sofort wieder in eine Haushaltssicherung führen. Haarmann verweist auf die Gemeindeordnung NRW, in der die Voraussetzungen dafür definiert sind. Aus heutiger Sicht sei eine derartige Konstellation, wie sie dort in drei Punkten beschrieben wird, bislang „zumindest innerhalb des Planungshorizontes noch nicht absehbar“. Gleichwohl müssten auch ohne formelles Haushaltssicherungskonzept strukturelle Defizite erwartet werden, „die gleichsam wieder zu einem Anstieg der Kassenkredite führen werden“. Und das wird, wie Haarmann betont, solange so sein, wie die an die Kommunen übertragenen Aufgaben nicht ausfinanziert sind. Dafür müssten Bund und Land sorgen.
Klar ist: „Eine Haushaltssicherung bedeutet erhebliche Einschnitte in die Entscheidungsfreiheit der Stadt. Im Rahmen der Aufstellung eines Haushaltssicherungskonzeptes wäre erneut sämtliches Agieren in Plan und IST vorrangig auf die Sicherstellung der pflichtigen Aufgaben der Daseinsvorsorge zu fokussieren, auf freiwillige Leistungen ist praktisch komplett zu verzichten, wobei in diesem Bereich ohnehin seit Verlassen der Haushaltssicherung noch keine nennenswerten Positionen aufgebaut wurden“, erläutert Haarmann.
Wo welche Maßnahmen zu ergreifen wären, müsse situationsabhängig beurteilt werden, alle relevanten Positionen kämen „auf den Prüfstand“. Nicht immer seien Maßnahmen mit kurzfristig für die Bürger spürbaren Auswirkungen verbunden. „Im Extremfall könnten die Auflagen einer Haushaltssicherung aber beispielsweise zu Verschiebungen von Sanierungs- und Investitionsmaßnahmen oder der Absenkung von Leistungsstandards führen“, sagt Haarmann.
Haarmann: Einsparpotenziale sind bereits weitestgehend ausgereizt
Er sieht keine großen Hebel mehr für die Stadt, weiter Einsparungen vorzunehmen oder Mehreinnahmen zu generieren: Da Voerde „gerade erst zehn Jahre einer intensiven Haushaltssicherung hinter sich gebracht hat, sind Einsparpotenziale bereits weitestgehend ausgereizt“. Die Kommune habe ob der „umfangreich weiterwachsenden, gesetzlich verpflichtenden Aufgaben nur vergleichsweise kleine eigene Entscheidungsspielräume zur Steuerung der Kostenseite“. Haarmann verweist hier auf Pflichtaufgaben etwa in den Bereichen Kindertagesbetreuung, Jugendhilfe, Wohngeld oder Asylunterbringung.
Die Stadt unterstütze „nach Kräften Handel und Gewerbe“. Erste positive Ergebnisse „der langfristigen Strategie“ zeigten sich mittlerweile „in sich gut entwickelnden Gewerbesteuererträgen“, so Haarmann. Entscheidend werde jedoch sein, wie sich die Erträge der Stadt aus Einkommen- und Umsatzsteuern und Schlüsselzuweisungen entwickeln und ob „Bund und Land den seit langem bestehenden Forderungen der Kommunen, die übertragenen Aufgaben vollumfänglich zu refinanzieren, endlich nachkommen. Auch die Lösung des Altschuldenproblems ist dringender denn je, insbesondere vor dem Hintergrund steigender Zinsen“.
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Auf die Frage, ob nach langer Zeit eine Anhebung der Grundsteuer B in Betracht käme, erklärt er: „Dies kann und darf nicht politisches Ziel sein!“ Um dies abzuwenden, sieht Haarmann nicht nur Bund und Land in der Verantwortung, sondern auch den Kreis Wesel. Der stehe dauerhaft in der Pflicht, die Städte und Gemeinden „in der Kreisumlage nicht zu überfordern“. Ziel in Voerde müsse es sein, „die Grundsteuerhebesätze perspektivisch wieder auf ein historisch ,normales’ Niveau zu senken, damit wir im kommunalen Umfeld wettbewerbsfähig bleiben“, betont der Verwaltungschef. 2022 rangierte die Stadt mit einem Hebesatz von 690 Prozent bei der Grundsteuer B auf Rang 3 – hinter Moers (740 Prozent) und Spitzenreiter Kamp-Lintfort (765 Prozent).
Fortschritte in puncto einer auskömmlichen Finanzierung von Aufgaben, die den Kommunen übertragen sind, sieht Haarmann bei der Unterbringung von Flüchtlingen: Dort habe es zuletzt diverse Anpassungen zugunsten der Städte und Gemeinden gegeben, die die Kostendeckung verbessert hätten. Der Bürgermeister nennt hier etwa die Anhebung des Übernahmeanteils an den Kosten der Unterkunft (KdU) auf 75 Prozent, den Rechtskreiswechsel der Ukraine-Flüchtlinge oder die Kostenübernahme für geduldete Flüchtlinge. Zugleich schränkt er ein: „Aufgrund der gerade zuletzt aber wieder deutlich steigenden Vorhaltekosten gibt es noch immer Verbesserungsbedarf. Trotz wiederholt aus den Kommunen erhobener Forderungen an das Land gibt es diesbezüglich bislang keine konkrete Antwort in dieser Frage“.
>>Forderungen in Richtung Berlin und Düsseldorf
Neben der Umsetzung des Konnexitätsprinzips, sprich, der auskömmlichen Finanzierung der an die Kommunen übertragenen Aufgaben, fordert Voerdes Bürgermeister von Bund und Land die Übernahme der Altschulden. Diese seien „auf die jahrelange Missachtung dieses Prinzips zurückzuführen“, erklärt Dirk Haarmann. Des weitere fordert er die „kassenwirksame Übernahme“ der Coronaschäden und eine „Entschlackung der überbürokratisierten Fördersysteme“.