Voerde. Auch wenn die Stadt Voerde die Haushaltssicherung Ende April nach zehn Jahren verlassen hat, wird sie weiter nicht aus dem Vollen schöpfen können.

Ende April konnte die Stadt nach zehn Jahren die Haushaltssicherung verlassen, mit der Restriktionen und ein enger Handlungsrahmen vorgegeben waren. Weite finanzielle Sprünge wird sie dennoch auch in Zukunft nicht machen können. Das verdeutlichte Kämmerer Jürgen Hülser, als er am Dienstag im Stadtrat den Doppelhaushalt für 2022 und 2023 einbrachte. Handlungsspielräume für freiwillige Leistungen etwa im kulturellen oder im sportlichen Bereich, aber auch zur Umsetzung verkehrs- und klimapolitischer Ziele seien nach wie vor „nur in eingeschränktem Umfang“ vorhanden. „Weitere Einsparpotenziale zur Reaktion auf Krisen sind nicht erkennbar“, erläuterte Hülser und mahnte: Dieser Umstand mache den Haushalt anfällig insbesondere für „negative gesamtwirtschaftliche Effekte auf Gewerbesteuern, Einkommen- und Umsatzsteuer sowie letztendlich auf die Schlüsselzuweisungen“ des Landes an die Kommunen.

Größte Last: Transferaufwendungen

Kommt es vor allem in diesen Bereichen zu einem Einbruch der Ertragslage – wie zurzeit in Folge der aktuellen Pandemielage – führe dies zwangsläufig zu schwierigen Situationen für den strukturellen Haushaltsausgleich. Die Prognosen für den Doppelhaushalt 2022/2023 in Voerde sind – Stand jetzt – positiv. Demnach würde unter dem Strich des Ergebnisplans ein Plus stehen (die NRZ berichtete). Möglich ist dies dadurch, dass die coronabedingten Schäden (dazu gehören etwa Einnahmeausfälle bei der Gewerbesteuer) aus der Haushaltsbilanz isoliert und ab 2025 über einen Kredit mit einer Laufzeit von längstens 50 Jahren finanziert oder bei Reduzierung des Eigenkapitals getilgt werden können.

Die mit Abstand größte Belastung im Ergebnisplan des Haushalts stellen mit fast 52,4 Mio. Euro in 2022 und auf knapp 56,2 Mio. Euro ansteigend bis 2026 die Transferaufwendungen dar. Im nächsten Jahr macht der Posten mehr als 50 Prozent der Gesamtausgaben in Höhe von 102,313 Mio. Euro aus.

Neben den verschiedenen Umlagen – alleine die Kreisumlage beläuft sich auf knapp 21 Mio. Euro – schlagen unter anderem die „Hilfen zur Erziehung“ mit 10,3 Mio. Euro, die Kindertagesbetreuung mit 13,2 Mio. Euro oder der Asylbereich mit 1,65 Mio. Euro zu Buche. In dem Zusammenhang erinnert der Kämmerer erneut an die Forderung der Stadt, dass die Finanzierung der an sie übertragenen Aufgaben „auskömmlich gestaltet“ werden müsse.

Die positiven Prognosen für den Haushalt der nächsten Jahre seien der Stadt im wesentlichen durch die Aufstockung der Verbundmasse im Gemeindefinanzausgleich für 2022 (Stichwort Schlüsselzuweisungen) möglich. Dennoch tritt der Kämmerer auf die Euphoriebremse. Denn: Das Land habe angekündigt, den Aufstockungsbetrag zu kreditieren und „in künftigen Jahren zurückzufordern“. Angesichts der „generellen finanziellen Unterdeckung“ in den kommunalen Haushalten fordert Hülser, auf die beabsichtigte Rückzahlung zu verzichten. Vielmehr sollte die Anhebung des Verbundsatzes im Gemeindefinanzausgleich stufenweise von derzeit 23 Prozent auf 28 Prozent festgeschrieben werden, um so die kommunale Finanzkraft nachhaltig zu stärken, betont er.

Kämmerer fordert Aufstockung der Investitionspauschale

Die Notwendigkeit zu handeln, sieht Hülser auch im Bereich der Investitionen. Angesichts des hohen Nettofinanzbedarfs (Auszahlungen minus Einzahlungen), den der Kämmerer für den Zeitraum 2022 bis 2026 auf fast 31 Mio. beziffert, müsse die Stadt alle sich bietenden Bundes- und Landesfördermöglichkeiten ausnutzen. Derzeit aber zeichneten sich die endlosen Programme durch eine „extreme Heterogenität“ aus. Es habe sich eine Förderbürokratie entwickelt, die mit Blick „auf den zunehmenden Fachkräftemangel“ nicht mehr zu bewältigen scheine. Ein Schritt hin „zum Abbau dieser Bürokratiehürden“ sowie bestehender „extremer Fördermaßregeln“ wäre es nach Hülsers Ansicht, die im Gemeindefinanzierungsgesetz normierte Investitionspauschale nennenswert aufzustocken und gleichzeitig einen Großteil der kleinen Einzelförderprogramm abzuschaffen.

Ein weiteres Problem sind die Altschulden, die kurzfristigen Kassenkredite, die auf den Schultern der Kommunen lasten. In Voerde liegen diese heute bei 48 Mio. Euro. Hülser verweist darauf, dass diese Liquiditätskredite derzeit praktisch zu null Prozent finanziert sind. Dies aber kann sich ändern. Der Kämmerer rückt das Risiko der Zinsanhebung in den Blick. Im Fall einer Verzinsung von einem Prozent würde der Haushalt ergo aktuell jährlich mit 480.000 Euro belastet.

Betroffene Kommunen bemühten sich als Teil des Aktionsbündnisses „Für die Würde unserer Städte“ seit geraumer Zeit um zielführende Lösungen. Verschiedene Aspekte hätten zumindest im Koalitionsvertrag 2021-2025 „Mehr Fortschritt wagen“ der neuen Bundesregierung Erwähnung gefunden, konstatiert Voerdes Kämmerer.

>>Info: Investitionen und Kreditbedarf

Der Finanzplan des Doppelhaushaltes der Stadt Voerde weist für 2022 ein Investitionsvolumen von rund 24,610 Mio. Euro und für 2023 von etwa 22,366 Mio. Euro aus. Der Kreditbedarf oder Nettofinanzbedarf, der sich aus der Differenz zwischen Auszahlungen und Einzahlungen (Fördermittel, Verkaufserlöse etc.) ergibt, liegt im nächsten Jahr bei rund 9,804 Mio. Euro und 2023 bei zirka 12,189 Mio. Euro.

Für den Zeitraum von 2022 bis 2026 ergibt sich die Stadt Voerde ein Kreditbedarf in Höhe von knapp 31 Mio. Euro. In der laufenden Haushaltsplanung war man von rund 11,146 Mio. Euro für die Jahre 2021 bis 2024 ausgegangen. Der Anstieg um rund 20 Mio. Euro für fünf Jahre ergibt sich im wesentlichen aus folgenden Punkten: Neubau der Otto-Willmann-Schule (6,1 Mio. Euro), Mindererlöse bei den Grundstückserlösen (2 Mio. Euro), Investitionen in Straßen, Verkehrsflächen und Abwasseranlagen (6,8 Mio. Euro), Rathaussanierung (1 Mio. Euro), Erweiterungen im Bereich der Kitas (2,1 Mio. Euro) und Kauf von Fahrzeugen und Maschinen (1,4 Mio. Euro).