Groningen. Die Impfkampagne in den Niederlanden läuft, doch die Krankenhäuser sind überlastet. Nun verbreitet sich auch die britische Variante zunehmend.
Obwohl die Neuinfektionen in den Niederlanden weiterhin leicht rückläufig sind, gibt es kaum Grund zum Aufatmen: Die Lage in den niederländischen Krankenhäusern bleibt ernst.
"Die Niederlande sind ungefähr so groß wie NRW, haben aber nur rund 87 Akutkliniken im Vergleich zu etwa 350", erklärt Professor Alexander Friedrich von der Fakultät für medizinische Mikrobiologie und Infektionsprävention der Universität Groningen. "Die Niederlande haben viermal weniger Intensivbetten pro Hunderttausend Einwohner als Deutschland."
Corona in den Niederlanden: Jeder Tag zählt
Deshalb könne es auch schneller als in Deutschland zum Kollaps kommen. Weniger Betten, weniger Personal - es gehe um "jede Stunde, jeden Tag", wie Friedrich weiter ausführt. Um Kapazitäten zu schaffen, werden momentan in den Niederlanden alle Behandlungen, die sechs Wochen warten können, zurückgestellt.
Auch deshalb haben die Niederlande zum Impfstart ein anderes Vorgehen gewählt: "In Deutschland ist eine über 100-jährige Bewohnerin eines Pflegeheims als erstes gegen Corona geimpft worden. So auch in Italien", sagt Friedrich. "In den Niederlanden war es eine 39-jährige Pflegekraft."
Impfkampagne: Kritik an niederländischer Regierung
So sind die Mitarbeitenden im niederländischen Gesundheitssektor, die direkten Kontakt zu Covid-19-Patienten haben, bei der Impfstrategie vorgezogen worden. Auch, weil die klassischen Risikogruppen aus logistischen Gründen erst seit dem 15. Januar geimpft werden können.
Die logistische Planung war einer der Gründe, warum die niederländische Regierung in den vergangenen Woche stark in der Kritik stand. Erst am 8. Januar war das Nachbarland von NRW mit den ersten Impfungen gestartet - als letztes Land in der EU. Vielen ging das zu langsam. Die Regierung habe zu lange auf den Astra-Zeneca-Impfstoff gesetzt, so Friedrich. "Deutschland hat sich frühzeitig auch auf mRNA-Impfstoffe konzentriert."
Corona-Strategie: Probleme bei der Kommunikation
Ein weiterer Faktor bei der Impfverzögerung: "Die Niederlande sind es eigentlich gewohnt, in Hallen zu impfen. Da dachte man: Das können wir", sagt Friedrich. Dass der bei -70 Grad zu kühlende Biontech-Pfizer-Impfstoff zu Problemen bei Logistik und Lagerung führte, sei leider zu spät erkannt worden. Es war nicht möglich, wie in Deutschland Impfdosen von Biontech Pfizer rechtzeitig in Pflegeeinrichtungen zu transportieren.
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"Es gab Verzögerungen in der Kommunikation", so Friedrich, der Mitglied im niederländischen "Outbreak Management Team" ist, das das Gesundheitsministerium berät.
Niederlande: Impfbereitschaft bei Pflegepersonal
Die Impfkampagne läuft und ein Großteil der Bevölkerung wartet darauf, endlich an der Reihe zu sein. 77.000 Mitarbeitende aus Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen haben sich nach Angaben des zuständigen Instituts RIVM bereits impfen lassen. "Die Impfbereitschaft in den Niederlanden ist generell etwas höher als in Deutschland. Rund 70 Prozent der Bevölkerung will sich derzeit gegen das Virus impfen lassen", sagt Friedrich.
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Woran das seiner Meinung nach liegt? "Die Impfbereitschaft hat neben Aufklärung etwas mit Vorbildern und Vertrauen zu tun. Die Frage ist, ob Menschen, die Einfluss auf andere im eigenen sozialen Netzwerk haben, bereits sind, diese Rolle zu übernehmen." Zwar nehme man mit einer Impfung ein sehr geringes Risiko auf sich. Doch das müsse man auch tragen wollen.
Wenig Wertschätzung, mangelnde Impfbereitschaft?
In Deutschland kam zuletzt die Frage auf, ob es eine Impfpflicht für medizinisches Personal geben sollte, da es auch beim Pflgepersonal Skepsis gegenüber der Impfung gibt. "Meine persönliche Einschätzung: Das hat bei Pflegekräften auch etwas mit Wertschätzung zu tun", sagt Friedrich. Je weniger sich Pflegekräfte gewertschätzt fühlten, umso geringer sei die Bereitschaft, ein Risiko zum Schutz anderer auf sich zu nehmen.
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In den Niederlanden sei die Wertschätzung für diese Mitarbeitenden im medizinischen Bereich höher als in Deutschland. "So verdienen sie bis zu 40 Prozent mehr und sind viel mehr gleichwertiges Mitglied im Behandlungsteam."
Niederlande: Britische Virusvariante nachgewiesen
Ein weiterer Aspekt: die Arbeitsbelastung. Auf niederländischen Intensivstationen komme eine Pflegekraft auf einen Patienten, in Deutschland seien es mehr als zwei Patienten, so Friedrich. "Und es gibt Unterschiede im System. In den Niederlanden verdient ein Krankenhaus nicht mehr, wenn es mehr macht." In Deutschland sei die Arbeitsverdichtung daher entsprechend höher.
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Sorge bereitet Friedrich die sogenannte britische Variante des Corona-Virus, deren Verbreitung in den Niederlanden sich in kurzer Zeit von ein auf zehn Prozent gesteigert habe. "Wir haben nun eigentlich zwei Epidemien gleichzeitig", sagt Friedrich. "Wir sind Zeuge der ersten Welle der britischen Variante, die sich noch unter dem Radar verbreitet."
Niederlande: Welche Corona-Maßnahmen kommen?
"Obwohl Deutschland und die Niederlande in einem relativ vergleichbaren Lockdown sind, müssen die Maßnahmen noch strenger werden", so Friedrich. "Die Ausgangssperre, die in den Niederlanden im Gespräch ist, ist momentan sicherlich eine angemessene Maßnahme, um die Verbreitung der britischen Variante vor allem unter Jüngeren einzudämmen."
Auch Hotels und Ferienbungalows sollten laut Friedrich in den Niederlanden wie in Deutschland geschlossen und die Mobilität im Land reduziert werden - etwa über einen Bewegungsradius in der eigenen Region und noch mehr Schutz des Gesundheitsnetzwerks.
"Wir teilen unsere Welt nach unterschiedlichen Sektoren ein, das Virus macht das nicht, sondern kennt nur Kontakte", sagt Friedrich. Es zähle in den kommenden Winterwochen in Deutschland wie in den Niederlanden, die Kontakte noch stärker zu beschränken - und damit die Übertragungsmöglichkeiten so gering wie möglich zu halten.