Den Haag. Skandal um Kinderbeihilfen und Racial Profiling: Die Regierung von Ministerpräsident Rutte hat Verantwortung übernommen und ist zurückgetreten.

Wenige Wochen vor der Parlamentswahl im März ist die niederländische Regierung zurückgetreten und hat damit die Konsequenzen aus einer beispiellosen Affäre um Kinderbeihilfen gezogen. „Der Rücktritt ist unvermeidlich“, sagte Premier Mark Rutte am Freitag in Den Haag.

Die niederländischen Behörden hatten jahrelang tausenden Eltern zu Unrecht Betrug bei Kinderbeihilfen vorgeworfen und mit Rückforderungen viele Familien in finanzielle Not gestürzt. Der Rechtsstaat habe in ganzer Linie versagt und „Bürger gegen einen mächtigen Staat nicht geschützt“, sagte Rutte.

Racial Profiling bei niederländischen Behörden

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Die Steuerbehörden betrieben zudem sogenanntes Racial Profiling. Der Begriff beschreibt Fälle, bei denen Beamte Menschen allein aufgrund von Herkunft und äußeren Merkmalen kontrollieren. Rund 11.000 Menschen gerieten allein wegen ihrer doppelten Staatsbürgerschaft in den Fokus der Behörden. Die niederländischen Behörden sehen sich bereits seit längerem mit Rassismus-Vorwürfen konfrontiert.

In allen Jahren war der rechtsliberale Rutte Regierungschef. Zuletzt hatte seine rechtsliberale VVD gemeinsam mit der christlichen CDA, der ChristenUnion und der linksliberalen D66 regiert.

Rutte: "Gemeinsam Verantwortung übernommen"

"Die politische Verantwortung liegt beim Kabinett", schrieb Rutte in einer offiziellen Erklärung zum Rücktritt. "Wir sind uns einig: Wenn das ganze System gescheitert ist, kann nur gemeinsam Verantwortung übernommen werden."

Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders begrüßte den Rücktritt der Regierung. „Unschuldige Menschen wurden kriminalisiert, ihr Leben zerstört,“ schrieb Wilders im Onlinedienst Twitter. Die Behörden könnten nicht einfach „weitermachen, als ob nichts passiert wäre“. Grünen-Parteichef Jesse Klaver erklärte, die Entscheidung der Regierung könne ein „Neuanfang, ein Wendepunkt“ für die Niederlande sein.

Niederlande: Opposition begrüßt Rücktritt

Während die Opposition die Entscheidung einheitlich begrüßte, gab es auch Kritik am Zeitpunkt des Rücktritts. So sprach die niederländische Virologin Marion Koopmans auf Twitter von einem "schlechtmöglichsten Zeitpunkt". Rutte hatte einen Rücktritt seiner Regierung unter Verweis auf die Corona-Pandemie zunächst abgelehnt. Einige Mitglieder der Vier-Parteien-Koalition drangen jedoch darauf, dass die Regierung Verantwortung für den Skandal übernehme.

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„Dies ist absolut richtig“, sagte Kristie Rongen dem TV-Sender NOS. „Ich habe zwölf Jahre Elend hinter mir, das Schlimmste war, dass meine kleine Tochter daran beinahe kaputt ging.“ Noch immer hat sie Zehntausende Euro Schulden. Für sie kann der Rücktritt nur ein erster Schritt sein. Wie viele Eltern will auch sie strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen. „Ich finde, dass sie ins Gefängnis müssen.“

"Rutte findet es schrecklich", sagte eine weitere Betroffene dem Sender NOS. "Aber er hat nicht all die Inkassokosten bezahlt." Der Rechtsvertreter von einigen Hundert Eltern, Sébas Diekstra, erklärte, dass das erst die politische Konsequenz sein könne. Er forderte nun auch strafrechtliche Folgen.

Demonstration gegen Regierung in Amsterdam

Die niederländische Polizei hatte in Amsterdam eine Demonstration gegen die Regierung aufgelöst und dabei auch Wasserwerfer, Hunde und Schlagstöcke eingesetzt. Nach Angaben der Nachrichtenagentur ANP und des Senders NOS hatten sich trotz eines Verbots mehrere Hundert Menschen vor dem Reichsmuseum im Stadzentrum versammelt, unter dem Motto „Nie mehr für das Kabinett Rutte stimmen“ sowie „Niederlande im Widerstand“. Nur wenige Demonstranten trugen Corona-Schutzmasken; der geforderte Mindestabstand von 1,5 Meter wurde meist ignoriert.

Rücktritt niederländische Regierung: Vor allem symbolischer Schritt

Der Rücktritt wird vor allem als symbolischer Schritt bewertet und wird wohl kaum Einfluss auf den Wahlausgang am 17. März haben. In den Umfragen liegt Ruttes VVD weit vorn. Danach könnte er auch erneut eine Regierung bilden. Rutte hatte zuvor versichert, dass die Regierung bei der Bewältigung der Corona-Krise voll handlungsfähig bleibe. "Der Kampf gegen das Coronavirus geht weiter", erklärte Rutte. Er wurde von König Willem-Alexander damit beauftragt, die Amtsgeschäfte geschäftsführend fortzusetzen.

Das Kabinett unter Leitung von Ministerpräsident Mark Rutte kam am Freitag in Den Haag zu Beratungen über politische Konsequenzen aus der Affäre zusammen.

Rücktritt deutete sich bereits an

Verschiedene Minister deuteten vor Beginn der Sitzung an, dass ein Rücktritt unvermeidlich sei. Ein deutlicher „Bruch“ sei notwendig, sagte die Ministerin für Außenhandel, Sigrid Kaag. „Das Vertrauen in den Staat muss wiederhergestellt werden.“

Am Donnerstag hatte bereits wegen derselben Affäre der Leiter der sozialdemokratischen Oppositionspartei, Lodewijk Asscher, überraschend seinen Rückzug aus der Politik angekündigt. Damit hatte der Druck auf die Regierung zugenommen.

Rutte-Regierung wegen Beihilfen Affäre unter Druck

Anlass der Krise ist ein vernichtendes Urteil einer parlamentarischen Untersuchungskommission über das Vorgehen der Regierung Rutte, der Behörden und Justiz, das zu der Affäre geführt hatte. „Die Basisprinzipien des Rechtsstaates wurden verletzt“, urteilte die Kommission bereits im Dezember.

Die Steuerbehörden hatten jahrelang rund 20.000 Eltern zu Unrecht als Betrüger abgestempelt und Zehntausende Euro Beihilfen zurückgefordert. Dadurch waren Tausende Familien in finanzielle Not geraten. Asscher war bis 2017 als Sozialminister dafür mitverantwortlich. Die Regierung sagte bereits Entschädigungen von 30.000 Euro pro Familie zu.

Niederlande: Opposition fordert Rücktritt der Regierung

Opposition und Geschädigte fordern auch den Rücktritt der Regierung. Das hätte allerdings vor allem symbolischen Wert und kaum Einfluss auf den Wahlausgang am 17. März. In den Umfragen liegt Ruttes rechtsliberale VVD weit vorn. Danach könnte er erneut eine Regierung bilden. (red/AFP/dpa)

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