An Rhein und Ruhr. Laut Verfassung soll Vermögen der Allgemeinheit zugutekommen. Was sich laut Millionenerbin Stefanie Bremer ändern muss, damit das auch geschieht.
Dass Eigentum und damit auch Vermögen verpflichtet, ist mehr als nur ein geflügeltes Wort. Im Grundgesetz steht es schwarz auf weiß in Artikel 14, Absatz 2. Auch wird hier erklärt, wozu verpflichtet wird: Eigentum soll der Allgemeinheit zugutekommen. Dass diesem Anspruch in Zeiten, in denen die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich beständiges Thema ist, wohl doch eher selten nachgekommen wird, kann nachdenklich stimmen.
Im Rahmen unserer Reihe zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes „In guter Verfassung?“ haben wir mit der Aktivistin Stefanie Bremer über Reichtum und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Problemen gesprochen. Bremer gehört zur Initiative „Tax me now“ (dt. „Besteuere mich jetzt“), welche sich für bessere Steuer- und Vermögensgerechtigkeit einsetzt – und ist selbst Millionenerbin. „Stefanie Bremer“ ist dabei nicht ihr wirklicher Name, sondern der, unter dem sie auftritt, um ihren Aktivismus vom Familienunternehmen abzugrenzen.
Artikel 14 Grundgesetz
Der 14. Artikel des Grundgesetzes regelt in Grundzügen die Themen Eigentum, Erbrecht und Enteignung. Am bekanntesten ist der zweite Absatz: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Man spricht auch von der „Sozialpflichigkeit des Eigentums“ bzw. der „Sozialbindung“.
Frau Bremer. Häufig heißt es ja, über Geld spricht man nicht, Sie wiederum tun genau das sehr öffentlich. Warum finden Sie das wichtig?
Erstens hat Geld so viel Einfluss in unserer Gesellschaft und zweitens werden Probleme nie gelöst, wenn man nicht über sie redet. Und wir haben massive Probleme mit Geld, mit Reichtum, mit Besteuerung in diesem Land.
Was genau meinen Sie damit?
Das Vermögen ist in Deutschland wahnsinnig ungerecht verteilt. Laut den letzten Zahlen besitzen die reichsten 10 Prozent in Deutschland 67 Prozent des Vermögens und da reden wir jetzt nicht von Bargeld. Sondern wir reden auch von Immobilien, also Wohnraum, und Unternehmensanteilen. Damit einher geht große Macht im wirtschaftlichen und politischen Kontext.
Wie reich sind Sie eigentlich, Frau Bremer?
Also mein Vermögen wird auf etwas mehr als 10 Millionen Euro geschätzt. Selbst mit diesem vergleichsweise kleinen Millionenbetrag gehöre ich zu dem reichsten Prozent in Deutschland.
Wie war es denn in Ihrer Erfahrung, als superreicher oder zumindest reicher Mensch aufzuwachsen? Ist Ihnen dabei schon früh aufgefallen, dass es Unterschiede gibt zwischen Ihren Lebensumständen und denen des Durchschnittsbürgers?
Zunächst würde ich die Begrifflichkeit ein bisschen anpassen. „Superreich“ hat ja einen etwas positiven Anstrich. Wir sprechen lieber von „Hyperreichen“ oder „überreichen Menschen“.
Ich bin nicht klassisch hyperreich aufgewachsen. Ich bin jedoch groß geworden in einem Einfamilienhaus, freistehend und mit Garten. Aber wir hatten kein Personal, keine Chauffeure oder Limousinen. Eine Privatschule habe ich auch nicht besucht und meine Eltern waren beide berufstätig. Also ich bin behütet aufgewachsen in einem guten Umfeld.
„Hyperreich“ und „überreich“: Wo sähen Sie denn da die Abgrenzung? Ab wann ist denn zu viel des Reichtums?
Das ist eine interessante Frage ohne eine leichte Antwort. Das sollte gesellschaftlich diskutiert und festgelegt werden. Denn wir haben eine sehr klare Definition dafür, ab wann jemand arm ist. Ab wann jemand zu reich ist, wissen wir allerdings nicht. Eine klare Grenze zu ziehen, ist schwer. Auch deshalb, weil Vermögen in verschiedenen Bereichen Deutschlands, aber auch verschiedenen Teilen der Welt, unterschiedlich viel ermöglichen.
Eine Frage, die man sich aber stellen kann, wäre: Ab wann hat jemand übermäßig viel Einfluss - zum Beispiel auf die Politik oder auf die Wirtschaft?
Im Grundgesetz in Artikel 14 heißt es „Eigentum verpflichtet“ und dass es der Allgemeinheit dienen soll. Wozu verpflichtet Sie denn Ihr Reichtum?
Mich persönlich verpflichtet mein Reichtum, dafür zu sorgen, dass es in der Gesellschaft fair zugeht und dass es mehr Menschen besser geht. Das „Wie?“ muss dabei gemeinsam ausdiskutiert werden. Aber ich fühle mich dafür verantwortlich, dieses Vermögen nicht zu egoistischen Zwecken zu verwenden.
Und haben Sie das Gefühl, dass Vermögen in Deutschland dem Wohl der Allgemeinheit dient?
Aktuell dient Vermögen eben nicht der Allgemeinheit. Solange wir Diskussionen über Gerechtigkeit auf den Rücken derer führen, die schon nichts mehr haben - oder vielleicht noch krasser gesagt - solange wir uns in Deutschland Kinderarmut leisten, obwohl das Geld da ist, dient das Vermögen nicht zum Wohl der Allgemeinheit.
Jetzt könnte man dem entgegenhalten, dass es zum Beispiel über eine Stiftung eine Möglichkeit für Sie gäbe, das Geld an die Punkte zu bringen, an denen sich was ändern soll. Warum treten Sie dann zusätzlich noch für eine höhere Besteuerung ein?
Weil es nicht demokratisch ist. Das Schöne an einer Demokratie ist doch, dass wir alle mitbestimmen können. Ob wir das nun tun, ist natürlich was anderes. Aber in einer Stiftung können das nur diejenigen, die Geld hineingeben, also die, die eh schon ganz oben sitzen.
Ich finde, in einer Demokratie sollten alle Menschen gemeinsam entscheiden, welches Problem wir wie angehen wollen. Da kann es nicht sein, dass ich, weil ich zufällig mehr Geld habe, über die Köpfe aller hinweg entscheide, welche Probleme mir jetzt wichtig sind und wie ich sie lösen möchte. Das ist nicht fair und auch nicht demokratisch.
Welche Nachteile ergeben sich denn ihrer Meinung durch großen Reichtum? Was verändert sich in Menschen, die „hyperreich“ sind?
Also Reichtum verändert Menschen, auf jeden Fall ihre Wahrnehmung. Natürlich sind Reiche jetzt keine homogene Gruppe, genauswenig wie es „die Armen“ gibt. Aber ich habe schon vermehrt wahrgenommen, dass vermögende Menschen ein sehr großes Misstrauen gegenüber dem Staat haben.
Dabei wird dann gerne vergessen, dass ihre Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auf öffentlichen Schulen waren, vom öffentlichen Gesundheitswesen profitieren, dass sie über Straßen kommen, die die Kommunen instand halten.
Was ich auch wahrnehme, ist häufig die Angst vor dem Verlust des eigenen Komforts. Was eigentlich sehr irrational ist. Denn selbst wenn wir angemessen besteuert würden, wären wir immer noch nicht arm und könnten immer noch sehr komfortabel leben.
Sie sagten vorhin, dass die Reichen keine homogene Masse sind. Natürlich denkt nicht jeder so wie Sie in Sachen Vermögens- und Steuergerechtigkeit. Stört Sie das eigentlich?
Ein bisschen. Natürlich hätte ich gerne, dass die Menschen, die so viel Macht und Einfluss und Geld haben, das Gemeinwohl etwas mehr im Blick hätten. Auf der anderen Seite, es handelt sich bei den Hyperreichen um eine Minderheit.
In einer Demokratie kann sich also die Mehrheit entschließen, ihre Stimme zu benutzen, um für mehr Vermögensgerechtigkeit zu sorgen. Wenn die Politik dann diesem Beschluss der Mehrheit nachkommt, dann kann es mir egal sein, ob die anderen Vermögenden genauso denken wie ich, oder?
Zur Initiative „Tax me now“
„Tax me now“, die Initiative für Steuergerechtigkeit, der neben Stefanie Bremer auch die BASF-Millionenerbin Marlene Engelhorn angehört, existiert seit 2022. Zuvor gab es aber schon ähnliche Organisationen im englischsprachigen Raum. Besonders ist, dass sich hier vermögende Menschen selbst für ihre stärkere Besteuerung engagieren. Ganz konkret tritt die Initiative dabei für fünf Forderungen ein:
Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Eine Begrenzung von Ausnahmen und anderen Sonderregelungen bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Progressive Steuersätze statt eines einheitlichen Abgabensatzes bei der Kapitalertragssteuer. Eine Diskussion darüber, ob es eine einmalige Vermögensabgabe für Reiche geben soll, da in der Pandemie vermögende Menschen überproportional profitiert hätten. Zuletzt sollen auch Finanzbehörden besser ausgestattet werden.
Mehr aus unserer Serie zum Geburtstag des Grundgesetzes
- Teil 1: In guter Verfassung? Wie das Grundgesetz entstand – und wo
- Teil 2: Ein Morgen in Düsseldorf: Nicole sucht nach Pfand in 200 Mülleimern
- Teil 3: Alleinerziehende: Warum es Mütter schwerer haben als Väter
- Teil 4: Verfassungsschützer will die Vorratsdatenspeicherung
- Teil 5: Grundgesetz: Homosexuelle sind noch immer ohne Anerkennung