An Rhein und Ruhr. Viele Alleinerziehende kämpfen mit Vollzeitjobs gegen die Armut. Warum die Not bei Müttern noch größer ist als bei Vätern.
Finanzielle Sorgen, Stress und das Gefühl, zu wenig Zeit für das eigene Kind zu haben – das gehört für viele Alleinerziehende zum Alltag dazu. Fast die Hälfte der alleinerziehenden Mütter arbeiten laut dem Statistischen Landesamt NRW in Vollzeit oder vollzeitnah. Unter den Paarfamilien macht das lediglich jede dritte Mutter. „Diese Entscheidungsfreiheit haben viele Alleinerziehende gar nicht. Sie müssen in Vollzeit arbeiten, um überhaupt irgendwie über die Runden zu kommen und trotzdem gelingt das längst nicht allen“, erklärt Ute Zimmermann vom Verband allein erziehender Mütter und Väter (VAMV) NRW im Gespräch mit unserer Redaktion.
Denn um Vollzeit arbeiten gehen zu können, müssen die eigenen Kinder währenddessen betreut werden. „Doch nicht jeder kommt einen Platz in der Ganztagsbetreuung, also muss man als Alleinerziehender die Arbeitszeit wieder zurückfahren“, weiß Zimmermann um den finanziellen Drahtseilakt vieler Alleinerziehender.
Hohes Armutsrisiko bei Ein-Eltern-Familien
Die Folge: Von allem Familienformen ist das Risiko, in Armut zu leben, für alleinerziehende Familien in Deutschland am höchsten. Das zeigen Zahlen der Bertelsmann Stiftung: 43 Prozent der Ein-Eltern-Familien gelten demnach als einkommensarm, während es bei Paarfamilien mit einem Kind 9 Prozent, mit zwei Kindern 11 Prozent und mit drei Kindern 31 Prozent sind.
Dabei steht der Schutz von Ehe und Familie laut dem deutschen Grundgesetz sogar unter besonderem Schutz: „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft“, steht es in Artikel 6 des Grundgesetzes geschrieben, das vor mittlerweile 75 Jahren beschlossen wurde.
Grundgesetz nach altem Rollenbild
In dem Gesetzestext ist allerdings nur von der Mutter die Rede, nicht von dem Vater. Warum? „Als das Grundgesetz verabschiedet wurde, herrschte in der Gesellschaft noch das klassische Rollenmodell: Der Vater geht arbeiten und ernährt die Familie, die Mutter bleibt Zuhause bei den Kindern“, erläutert Zimmermann. „Doch es gibt natürlich auch alleinerziehende Väter.“ Im vergangenen Jahr waren es in Deutschland immerhin rund 580.000, etwa 160.000 mehr als noch zehn Jahre zuvor. Damit sind die Single-Väter allerdings immer noch deutlich in der Unterzahl, die Zahl der alleinerziehenden Mütter in Deutschland schwankt seit Jahren zwischen zwei und 2,3 Millionen.
Hinzu kommt, dass die Kinder von alleinerziehenden Müttern im Durchschnitt deutlich jünger sind als von alleinerziehenden Vätern, „wodurch Mütter häufiger abhängig von verlässlicher Kinderbetreuung sind. Und die bekommt bekanntlich leider nicht jeder“, sagt die Sprecherin des VAMV NRW. Und wer für junge Kinder keine ausreichende Betreuung findet, könne auch nicht in Vollzeit arbeiten gehen. „Das ist ein Problem, das bei den Müttern deutlich größer ist.“
Der finanzielle Unterschied
Unter den alleinerziehenden Vätern haben etwa 88 Prozent einen Vollzeitjob. „Das liegt unter anderem am Alter der Kinder aber auch an der Art des Berufs“, begründet das Zimmermann. So hätten Väter häufiger Berufe, die sich auch im Homeoffice ausüben lassen. Frauen würden dafür mehr in sozialen Berufen arbeiten, in denen das in der Regel nicht möglich sei.
Auch finanziell gesehen unterscheidet sich die Situation der alleinerziehenden Mütter und Väter stark. Über die Hälfte der Mütter müssen laut der Bertelsmann Stiftung monatlich mit weniger als 1.700 Euro netto auskommen, alleinerziehende Väter haben hingegen durchschnittlich 2.461 Euro zur Verfügung.
Steuerliche Entlastung?
Aufgrund der hohen finanziellen Belastung gibt es für Alleinerziehende einen steuerlichen Entlastungsbetrag. Dieser liegt bei 4260 Euro im Jahr. Bei mehreren Kindern steigt der Betrag ab dem zweiten Kind um jeweils 240 Euro pro Kind. Steuerlich sieht der VAMV NRW Alleinerziehende trotzdem in einer benachteligten Position, da diese nicht vom Ehegattensplitting profitieren können. Alleinerziehende können sich lediglich in die Steuerklasse 2 eintragen lassen. Laut dem Landesverband bleiben dadurch am Monatsende durchschnittlich 70 Euro mehr Nettogehalt.
„Trotzdem haben sowohl alleinerziehende Mütter als auch Väter viele Probleme“, betont Zimmermann. Mit seinen Ortsvereinen in Aachen, Bonn, Düsseldorf und Münster bietet der Verband Betroffenen deshalb Beratungen an, informiert über die rechtlichen Ansprüche Alleinerziehender, organisiert Selbsthilfegruppen und vermittelt Kindertagespflegepersonen.
Wofür sich der Landesverband einsetzt
Der Landesverband setzt sich indes politisch als Interessensvertretung der Alleinerziehenden ein. „Einen großen Wert legen wir gerade auf die Debatte um die Einführung der Kindergrundsicherung“, erzählt die VAMV-Sprecherin. Die wurde bereits 2021 von der Ampelregierung beschlossen und soll „bessere Chancen für Kinder und Jugendliche schaffen“ und sich vor allem auf die konzentrieren, „die am meisten Unterstützung brauchen“, heißt es im Koalitionsvertrag.
Auch interessant
Ursprünglich hatte Familienministerin Lisa Paus dafür 12 Milliarden Euro veranschlagt, daraus wurden letztendlich 2,4 Milliarden. „Mit der Protestaktion #Lindnererinnern wollen wir deshalb unseren Bundesfinanzminister an sein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag erinnern und Kinder mit der Grundsicherung aus der Armut zu holen.“