An Rhein und Ruhr. Die Liste der Probleme vieler Firmenkantinen an Rhein und Ruhr ist lang. Eine Entscheidung der Politik war aus Sicht der Betreiber der Todesstoß.
Sie sind durch das Tal der Tränen gegangen. In Hochzeiten der Pandemie. Aber nah am Wasser gebaut, haben viele noch immer. Denn so wie früher ist für Betreiber von Firmenkantinen nichts mehr. Die Kosten für Waren, Energie und Arbeitslohn sind nach oben geschossen.
Auch die Arbeitswelt hat sich in kürzester Zeit radikal geändert und das Rad – es kann nicht mehr zurückgedreht werden. Viele Betriebe und Betreiber sind auf der Strecke geblieben. Und die, die für die „Tagesgäste“ vor Ort noch kochen, kämpfen häufig an allen Fronten und können ohne finanzielle Unterstützung nicht überleben.
Mehrwertsteuer in Kantinen: 19-Prozent-Satz als Problemfall
Gebeutelt hat es die gesamte Gastronomie in den vergangenen Jahren heftig. Ob Hotels, Restaurants oder Verpflegung im Werk, es ist ein Seiltanz zwischen Preisen, die von den Kunden noch akzeptiert werden und denen, die die Betriebe brauchen, um zu überleben. Den Todesstoß Richtung Geschäftsaufgabe hat vielen Betrieben die Wiedereinführung der Mehrwertsteuer auf frühere 19 Prozent gegeben, die wegen Corona auf sieben Prozent reduziert worden war.
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„Kantinen haben es noch viel schwerer als Restaurants. Die Betreiber müssen preiswertes Essen anbieten, Löhne, Strom und Sprit bezahlen und auch Versicherungen und die Krankenkasse. Außerdem stehen jetzt wieder die nächsten Tarifverhandlungen an. Wer soll das stemmen?“ fragt Heinz Bruns, Vizepräsident der Dehoga (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband) Westfalen und gibt ein Beispiel.
Vor Corona habe er für ein Schnitzel in seinem Restaurant zwischen 18 und 19 Euro genommen, jetzt liege der Preis bei 22 Euro. Das allerdings sei sehr knapp gerechnet, erklärt sein Pendant, der Vizepräsident der Dehoga-Nordrhein, Frank Schwarz, der auch Ortsgruppen-Vorsitzender der Dehoga Duisburgs ist.
Enge Preiskalkulation in Kantinen
Schwarz gibt ein Beispiel aus der gut bürgerlichen Küche, das man vergleichen könne. „Ein Schweineschnitzel mit Gemüsebeilage und Jägersauce bekam man 2019 für durchschnittlich 18,90 Euro. Heute kostet es 26,50 Euro.“ Aber die Kalkulation in Kantinen sei deutlich enger, sagt er.
Das kann der Koch einer Behördenkantine in Mülheim nur bestätigen, die er seit sieben Jahren betreibt. „Vor Corona war hier immer richtig was los. Die Leute haben hier gefrühstückt und Mittag gegessen. Es müssen ja die Tische sauber gehalten werden, das dreckige Geschirr muss weggeräumt und gespült werden, aber es hat sich gelohnt“, berichtet seine Frau. Inzwischen sei alles so teuer geworden, dass ihr Mann, um frische, bezahlbare Ware zu bekommen, mittlerweile bis zu 60 Kilometern weit fahre. Das koste Zeit und Sprit. Und noch ein Punkt ist gravierend. „Kamen vor Corona täglich zwischen 60 und 80 Gäste in die Kantine, sind es heute zwölf bis 30.“
Salatbüfett wurde abgeschafft – zu viel wird weggeschmissen
Die vegetarischen Mahlzeiten werden immer noch unter 4 Euro angeboten, die mit Fleisch unter 5 Euro. Erhöht haben sie manche Preise um 20 Cent. „Das Salatbüfett haben wir abgeschafft, weil wir das meiste weggeschmissen haben. Würden wir nicht noch Kindergärten und Schulen beliefern, hätten wir die Kantine schon lange aufgegeben.“
Die Miete für die Räumlichkeiten sei nicht hoch, Zuschüsse aber bekämen sie von der Behörde nicht. Was das Ehepaar auf die Palme bringt, ist die Arbeitsmoral in der letzten Zeit. „Unsere Familie hat jahrelang keinen Urlaub mehr gemacht. Wir würden so gerne mit den Kindern in den Sommerferien mal ausspannen. Aber arbeiten will keiner mehr.“
Keine aktuellen Zahlen zur Ablehnung
„Eine Zahl, wie viele Menschen ein zumutbares Arbeitsangebot abgelehnt haben, gibt es in dieser Form nicht“, erklärt Christoph Löhr von der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit. Denn oft scheitere eine Arbeitsaufnahme auch wegen psychischer Erkrankungen.
„Wir sprechen nicht von Totalverweigerern, sondern von Menschen mit mangelnder Kooperationsbereitschaft.“ Die aktuellste Zahl zur „Weigerung der Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung oder eines geförderten Arbeitsverhältnisses“ stammten aus dem Dezember 2023.
„Danach haben die NRW-Jobcenter im Dezember eine Leistungsminderung (…) in 241 Fällen ausgesprochen. Insgesamt gab es in dem Zeitraum in NRW 508.598 arbeitslos gemeldete Menschen – also Leistungsbeziehende, die Jobangebote erhielten.“
Seit langem sucht das Ehepaar einen Koch, der den Chef entlasten könnte. „Wir haben eine Top-Arbeitszeit von 7 bis 14 Uhr, haben auch schon mehrere Vorstellungstermine gehabt. Aber die wollen alle immer nur schwarz arbeiten, weil sie auf ihr Bürgergeld nicht mehr verzichten möchten. Das sagen die mittlerweile auch völlig unverblümt“, sagt die Ehefrau voller Entsetzen.
Kantine in Wesel gibt weniger Essen aus
Corona hat offenbar überall in den Kantinen Spuren hinterlassen. Die Kantine der Kreisverwaltung Wesel wird durch die Verwaltung selbst betrieben. Vor Corona wurden bis zum Frühjahr 2020 rund 230 Mittagessen täglich ausgegeben. 2023 sind es durchschnittlich 160 bis 180 Essen. Auch dort wurden die Preise um 10 bis 20 Cent erhöht. Stark verteuerte Lebensmittel werden nach Möglichkeit weniger eingesetzt.
Auch die Duisburger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft (DVV) hat die gleichen Erfahrungen gemacht. Vor Corona wurden täglich bis zu 500 Essen ausgegeben, heute sind es durchschnittlich 350 Essen pro Tag.
Viele Arbeitsabläufe hätten sich aber auch angepasst, sodass viele Monteurinnen und Monteure jetzt direkt von zu Hause auf die Baustellen fahren. Die Mittagsverpflegung ist Teil der DVV-Sozialleistungen, dennoch hat der Kostendruck dazu geführt, dass die Preise zum 1. Mai 2024 von vier Euro auf fünf Euro angehoben werden mussten.
Kostendruck, Homeoffice: Diese Probleme haben Kantinen
„Veränderte Essgewohnheiten, Homeoffice und hybride Arbeitszeitmodelle sowie der anhaltende Kostendruck in den Bereichen Lebensmittel, Energie und vor allem Personal stellen die Betriebsgastronomie vor große Herausforderungen“, erklärt Stefanie Heckel vom Dehoga Bundesverband. Auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 7 auf 19 Prozent zum Jahresanfang habe Caterern und Gemeinschaftsgastronomen stark zugesetzt.
Es sei weder fair noch gerecht, dass für das Essen in der Betriebsgastronomie 19 Prozent Mehrwertsteuer gelten, während das Essen To Go oder der Fertigsalat aus dem Supermarkt oder Essen vom Bäcker weiter mit 7 Prozent besteuert werde. „Zuversichtlich stimmt uns, dass viele Unternehmen den Wert der Kantine als Wohlfühloase wie Begegnungs- oder Kommunikationsplattform für die Belegschaft und damit einer wichtigen Unternehmenskultur wieder schätzen“, erklärt Stefanie Heckel.
Betriebsrestaurant kann „Wohnzimmer des Unternehmens“ sein
Ekkehard Lehmann von K&P Consulting in Düsseldorf, berät große Unternehmen, wie sie die Mitarbeitenden wieder in die Betriebe zurückholen können. „Mit einer guten Betriebsgastronomie und attraktiven Preisen fördern sie die Lust, ins Büro zu kommen, den internen Austausch und die Kommunikation. Denn das fördert ein kreatives, wertschätzendes Miteinander. Das Betriebsrestaurant ist häufig das Wohnzimmer des Unternehmens.“
Umgesetzt hat die neue Konzeption zum Beispiel der Gesundheitskonzern Fresenius. Im Rahmen einer Neueröffnung am Campus Bad Homburg, dem Hauptsitz des Unternehmens, wurde ein großer Raum geschaffen, der mit der herkömmlichen Kantine nur noch wenig zu tun hat. „Es gibt unterschiedliche Zonen, in denen man zu Mittag essen kann, die Tische und Bänke sind zum Teil aus Eichenholz“, teilt Evelyn Frank von Fresenius mit.
Man hat aber auch die Möglichkeit, auf der Außenterrasse oder an Stehtischen zu essen. Das kommt bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gut an. Aber auch dort macht sich Corona bemerkbar. 1800 Essen waren es täglich vor der Pandemie, heute sind es 70 Prozent davon. Die Preise blieben stabil zwischen 4,50 Euro und 8 Euro.