Neukirchen-Vluyn. Während des Unterrichts sitzt auch Stefanie Dallmann (49) im Klassenraum. Was eine Alltagshelferin macht und warum sie dringend gebraucht wird.

27 Kinder in der ersten Grundschulklasse. Drei hüpfen auf Sitzbällen herum, andere wibbeln mit den Füßen auf Fitnessbändern, die unter den kleinen Tischen befestigt sind, manche Jungen hopsen auf Hockern. Klassenlehrerin Sabine Soesters sitzt auf dem Boden, hat große und kleine Buchstaben vor sich und winkt manche Kinder zu sich heran, um ihnen die Buchstaben zu erklären. „Mittlerweile ist nur noch individuelles Lernen möglich“, sagt die Pädagogin. Wer Unterricht noch aus früheren Jahrzehnten kennt, der ist sicher, in einer anderen Welt angekommen zu sein. Unverzichtbar und hoch geschätzt ist daher Stefanie Dallmann, die Alltagshelferin. „Sie ist ein echter Stern“, weiß Stefanie Klein, die die Gerhard-Tersteegen-Grundschule in Neukirchen-Vluyn leitet.

Seit Dezember 2023 ist Stefanie Dallmann eine riesige Hilfe in einer ersten Klasse. Die 49-jährige Mutter von drei Kindern, die selbst Erziehungswissenschaften studiert hat, entlastet 30 Stunden in der Woche die Klassenlehrerin. So ist bei den 27 Erstklässlern von denen mindestens zehn auffällige Probleme mitbringen, Unterricht möglich. Trotz erschwerter Bedingungen. „Aber das ist mittlerweile der Normalfall in den Schulen“, sagt Sabine Soesters und bleibt ruhig, auch wenn der Lärmpegel immer mal wieder ansteigt.

Was den Grundschulunterricht so kompliziert macht

Gleich zu Unterrichtsbeginn ist die Alltagshelferin gefragt. Ein Junge schafft es nicht, seine Uhr am Handgelenk zu befestigen, der nächste hat ein Problem mit seiner Trinkflasche, die sich nicht mehr vernünftig öffnen und schließen lässt. Dann geht es los. Mathematik steht als erstes auf dem Stundenplan. Es sollen Minusaufgaben geübt werden. Während einige Kinder ruckzuck die ersten Päckchen ausgefüllt haben, träumen andere und sind weit davon entfernt, mit dem Rechnen loszulegen.

„Einige Kinder haben Probleme, überhaupt ans Arbeiten zu kommen“, schildert die Alltagshelferin. „Es gibt eine Reihe, die von Zuhause offensichlich gar nicht untrerstützt und gefördert werden. Viele Schülerinnen und Schüler haben enorme Konzentrationsschwierigkeiten, und immer wieder sind in den Klassen auch Kinder mit ADHS.“

Nicht jede Schule bekommt eine Alltagshelferin

Schulleiterin Klein: “Ich bin unendlich dankbar, dass wir Frau Dallmann hier bei uns haben. Sie ist eine große Entlastung, und eine wahnsinnige Bereicherung.“ Zum Glück sei der Gerhard-Tersteegen-Schule am Standort Jahnstraße genehmigt worden, eine Stelle für eine Alltagshelferin auszuschreiben. Denn, obwohl jede Grundschule solche Unterstützung gebrauchen könnte, guckt das Schulamt, an welchem Standort der Bedarf am größten ist, erklärt die Chefin.

Schulleiterin Stefanie Klein, links, ist froh um die Unterstützung von Alltagshelferin Stefanie Dallmann.
Schulleiterin Stefanie Klein, links, ist froh um die Unterstützung von Alltagshelferin Stefanie Dallmann. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Hundert Prozent der Lehrerstellen könnten an keiner Schule mehr besetzt werden, weil einfach zu wenige Lehrerinnen und Lehrer vorhanden sind. Personalmangel wie in jeder anderen Branche. Aber auch bei einer Hundert-Prozent-Besetzung würden Ausfallzeiten durch Schwangerschaften oder Krankheiten bei der Lehrerstellen-Berechnung nicht eingerechnet.

Nachhilfe bei laufendem Geschäft

„Aber der Schulbereich ist ja unsere Zukunft“, betont Stefanie Klein. Da an ihrer Schule der Lehrermangel besonders groß und der Bedarf durch die Schülerstruktur extrem hoch sei, habe sie die Alltagshelferin bekommen. „Wir haben unglaublich viele quirlige Kinder in den Klassen. Da ist Stefanie Dallmann mit ihrer ruhigen Art absolut perfekt“, schwärmt sie. Und in der Tat: Wenn der Unterricht läuft, bemerkt man die 49-Jährige gar nicht. Sie sitzt zwischen den Kindern, hat ein Auge auf den Jungen an ihrer linken Seite und ein Auge auf das Mädchen auf der rechten. Nachhilfe bei laufendem Geschäft, kann man die Arbeit nennen.

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Die Türe des Klassenraums ist die ganze Zeit geöffnet. Mehrfach kommt – sehr leise – die pensionierte Lehrerin Annette Hucklenbroich ins Klassenzimmer. Sie holt während des Unterrichts einzelne Kinder, so wie mit der Lehrerin abgesprochen, um mit ihnen individuell lesen zu üben. Denn sie ist Lesepatin und arbeitet ehrenamtlich.

Die neuen Hürden der Grundschullehrer

„Schule hat sich enorm gewandelt“, erzählt die 49-jährige Alltagshelferin, die den Unterricht ganz anderer Art noch aus eigener Erfahrung kennt. Sie ist tatsächlich häufig zur Stelle, wenn Kinder im ganz normalen Alltagsleben nicht klarkommen. „Der eine kann seine Jacke nicht anziehen, die andere bekommt ihre Schuhe nicht zugebunden. Vielen fällt es absolut schwer, überhaupt ans Lernen zu kommen. Sie wollen nur spielen und können sich keine zwei Minuten konzentrieren“, schildert sie ihre Erfahrungen.

Schritt für Schritt

Zurzeit gibt es in NRW 1400 Alltagshelfer und -helferinnen an Grund- und Förderschulen. „Die Lösung des Lehrkräftemangels ist und bleibt ein Marathon und eine Daueraufgabe, an der wir kontinuierlich arbeiten. Aber die ersten Ergebnisse unseres Handlungskonzepts sind ermutigend. Unsere Maßnahmen wirken, wir kommen Schritt für Schritt voran“, erklärt Dorothee Feller, Schul- und Bildungsministerin von NRW.

Wer sich für eine solche Aufgabe interessiert, kann sich an das Ministerium für Schule und Bildung NRW wenden, Völklinger Straße 49 in 40221 Düsseldorf, Tel. 0211/586740, Mail-Adresse: poststelle@msb.nrw.de., Internet: schulministerium.nrw.

„Ich bin so froh, dass es die Alltagshelferinnen und -helfer gibt und hoffe, dass sie in den Grundschulen bleiben können, auch wenn es mal wieder Zeiten geben sollte, in denen genügend Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung stehen“, betont die Schulleiterin. Denn mit deren Hilfe könne man Kinder mit Defiziten auch unter den schwierigen Unterrichtbedingungen fördern und nach vorne bringen.