Kamp-Lintfort. An der Ernst-Reuter-Schule in Kamp-Lintfort haben rund 40 Prozent der Kinder Schwierigkeiten mit dem Lesen. Wie die Schule den Kindern hilft.

Schulleiterin Silke Roth bringt es auf den Punkt: „Lesen ist für viele Menschen etwas ganz Selbstverständliches. Doch das ist nicht bei allen so. Für viele Kinder ist Lesen Schwerstarbeit und sie haben keine Freude am Lesen, denn sie können nicht gut lesen.“ Aber nicht erst seit dem letzten Pisa-Schock, bei dem Deutschland im Bereich Lesen nur auf Platz 15 landete, wird Leseförderung an der Ernst-Reuter-Schule groß geschrieben.

496 Kinder besuchen die Schule an zwei Standorten aktuell, etwa 40 Prozent von ihnen hat Schwierigkeiten mit dem Lesen, schätzt Viktoria Immel, die als Vorsitz im Fach Deutsch die Lesebeauftragte an der Ernst-Reuter-Schule ist. Woran es liegt? Immer öfter spielten in der Freizeit weniger das Lesen als die Nutzung sozialer Medien oder Online-Spiele eine Hauptrolle, weiß Konrektorin Sabine Schein. Das Schnelllebige dieser Form von Mediennutzung habe auch Einfluss auf die Konzentrationsfähigkeit der Kinder. Mit einem gängigen Vorurteil räumt sie direkt auf: Leseschwierigkeiten seien längst nicht nur ein Problem von Kindern mit Migrationshintergrund.

Wird zuhause nicht gelesen, hinken Kinder oft hinterher

Lesestunden, Leseeltern, Projektwochen und Bücherflohmärkte gehören schon lange zum Schulprogramm. Seit August 2023 wird die Ernst-Reuter-Schule bei der Leseförderung zusätzlich von ehrenamtlichen Lesepaten der Freiwilligenagentur Kali Aktiv unterstützt. Diese kommen einmal in der Woche, um den Kindern eine Schulstunde lang beim Lesen zu helfen. Zusätzlich arbeitet die Schule seit Jahresbeginn mit dem Verein „Mentor – Die Leselernhelfer Niederrhein e.V.“ zusammen. Auch hier wollen ehrenamtliche Leselernhelfer die Lust am Lesen wecken.

Lesehelferin Elisabeth Jansen und ihr Enkel Theodor. Nicht nur Theodor profitiert von dem Einsatz der 65-Jährigen, auch seine Klassenkameraden.
Lesehelferin Elisabeth Jansen und ihr Enkel Theodor. Nicht nur Theodor profitiert von dem Einsatz der 65-Jährigen, auch seine Klassenkameraden. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Elisabeth Jansen (65) ist über ihren Enkel Theodor (6) zur Lesehelferin an der Ernst-Reuter-Schule geworden. Jeden Donnerstag kommt sie für eine Stunde, um mit Erstklässlern Lesen zu üben. „Ich gehe unheimlich gerne mit Kindern um – und Lesen ist einfach wichtig“, findet die mehrfache Großmutter. Wie groß die Bildungsschere schon in jungen Jahren aufgeht, hat sie schnell festgestellt: „Wird zuhause nicht gelesen, hinken die Kinder oft hinterher.“ Manche seien schon mit Sätzen überfordert, andere schafften mühelos Erstlesebücher. Für viele ein weiteres Handicap: Mangelnde Konzentrationsfähigkeit.

Wird zuhause nicht gelesen, hinken die Kinder oft hinterher.
Elisabeth Jansen

Bei manchen Kindern stellt sich schnell Erfolg ein

Zehn Minuten dauert in der Regel eine solche Leseeinheit, die in einem „Lesepass“ festgehalten wird. „Die Regelmäßigkeit ist wichtig“, glaubt Jansen. Dass ihre Arbeit Früchte trägt, kann sie selbst von Woche zu Woche feststellen: „Ich sehe immer wieder Fortschritte.“ Mit ihren eigenen Kindern habe sie früher viel gelesen, die hätten es in dieser Beziehung „wirklich gut“ gehabt, ebenso ihre Enkel. Dass sie jetzt auch Kinder unterstützen kann, die diese Möglichkeiten zuhause nicht haben, macht sie froh.

Viktoria Immel, links, und Sabine Schein in der kleinen Bibliothek der Ernst-Reuter-Schule.
Viktoria Immel, links, und Sabine Schein in der kleinen Bibliothek der Ernst-Reuter-Schule. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Ein Lesehelfer müsse in erster Linie gut kommunizieren können, Freude an Kindern und natürlich selbst Spaß am Lesen haben, sagt die Konrektorin. Was gelesen wird, entscheiden die Helfer selbst, in der Regel gemeinsam mit den Kindern. Es gehe bei den Leseeinheiten weniger um Wissensvermittlung, als um eine Begleitung: „Im Vordergrund sollte stehen, die Freude am Lesen zu wecken“, betont Viktoria Immel. Ein Zusatzeffekt: Über das gemeinsame Lesen werde auch gelernt, eine soziale Bindung zu einem Erwachsenen aufzubauen.

Wie groß die beiden Expertinnen den Erfolg der zusätzlichen Lesestunden einschätzen? „Der Erfolg ist sicher immer auch abhängig vom Kind. Bei manchen geht es aber sehr schnell. Die Motivation, mal zu einem Buch zu greifen, wird so geweckt,“ sagt Sabine Schein. In der Regel können die meisten geförderten Kinder hinterher flüssiger lesen, haben ihren Wortschatz verbessert und verstehen gelesene Texte insgesamt besser.

Neues Projekt startet Mitte März

Wie schön es sein kann, ganz in ein Buch einzutauchen, erleben die Kinder auch jedes Jahr beim Projekt „Lehrer lesen laut“. Alle Lehrerinnen und Lehrer lesen an jedem Tag einer Woche jeweils eine Stunde insgesamt ein komplettes Buch vor. „Dann können die Kinder Kissen oder Decken von zuhause mitbringen, und es sich in den Klassenräumen gemütlich machen“, erklärt die Konrektorin.

Schulleiterin Silke Roth nennt das Lesen den „Schlüssel zum Verstehen der Welt“. In zwei Wochen startet das nächste Leseprojekt an der Ernst-Reuter-Schule: Ähnlich wie auf den weiterführenden Schulen veranstaltet das Kollegium mit einer externen Jury einen Vorlesewettbewerb für die Viertklässler - ein weiterer Baustein für das Riesen-Projekt Leseförderung...