Kamp-Lintfort. Liesel Hannen bietet Niederrheinische Kaffeetafeln an und erzählt dabei die so manche Anekdote aus der Bornheimer Krautfabrik.

Das Feuer im Kamin ist fast erloschen, deshalb muss Liesel Hannen schnell etwas Holz nachlegen. Die Gäste sollen es ja gleich schön warm haben, wenn sie sich in der guten Stube an den gedeckten Tisch setzen. Die blauweiß gemusterten Teller, Tassen, Kännchen stehen schon bereit, „ich bin nur nicht so gut im Serviettenfalten“, gibt die 65-Jährige zu und lacht. Aber darauf kommt es bei einer Niederrheinischen Kaffeetafel auch wirklich nicht an. Viel wichtiger sind doch „Weck on Kränteweck“, deshalb holt sie nun mehrere Körbchen mit selbstgebackenem Schwarzbrot, frischem Rosinenstuten und etwas Weißbrot. Dazu gibt‘s Butter, Käse, Schinken... Und natürlich: das Bornheimer Rübenkraut!

„Früher hatten viele Leute am Niederrhein eine Krautpresse“, erzählt Liesel Hannen, während sie durch das Haus ihrer Kindheit führt, wo es so viel zu entdecken gibt! Moment, sie holt mal eben ein zerfleddertes Büchlein, in dem nicht nur seitenweise Predigten stehen, sondern in dem sich auch die älteste Rechnung der Bornheimer Krautfabrik befindet: Am 27. Oktober 1761 ging ein Fass Birnenkraut nach Kempen zu Johannes, dem „Stecknadelmacher“. Tatsächlich gab‘s damals hauptsächlich Birnen- und Apfelkraut, erst im 19. Jahrhundert kam das Rübenkraut hinzu. „Bei uns war Apfelkraut das Sonntagskraut“, erinnert sie sich. Rübenkraut dagegen das Wochentagskraut. Und das ist bei ihr heute noch so.

Das Bornheimer Rüben- und Apfelkraut darf bei der Niederrheinischen Kaffeetafel natürlich nicht fehlen.
Das Bornheimer Rüben- und Apfelkraut darf bei der Niederrheinischen Kaffeetafel natürlich nicht fehlen. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Rüben in der Waschmaschine

Jeden Morgen isst Liesel Hannen Schwarzbrot mit Rübenkraut und Käse, „manchmal auch mit Quark“, fügt sie hinzu. „Das schmeckt einfach wie Heimat.“ Dabei kommt auch schon mal die ein oder andere Erinnerung hoch... Wie sie beispielsweise als Kind nach der Schule mit dem Trecker in die „Waschmaschine“ gefahren ist, um die Äpfel und Rüben zu säubern. „Danach wurden sie in einem Kessel bedampft und dann ausgepresst“, erzählt sie und zeigt auf eine rostige Schraube. „Beim Drehen konnte man immer gut Lateinvokabeln lernen“, erzählt sie lächelnd. Der Saft kam anschließend in eine Vakuumanlage, in der er bei 70 Grad bis auf 78 Prozent Trockenmasse eingedickt wurde.

Die Niederrheinische Kaffeetafel

Liesel Hannen bietet auf Anfrage ihre „Niederrheinische Kaffeetafel“ in der ehemaligen Bornheimer Krautfabrik, Kirchhoffstraße 94 in Kamp-Lintfort, an. Die Kosten liegen bei 14,50 Euro pro Personen, eine Kaffeetafel ist ab zehn und bis zu 40 Personen zwischen April und Oktober möglich. Anmeldungen: 02835/92723 oder per E-Mail an lieselhannen@gmail.com

Außerdem ist samstags zwischen 9 und 12 Uhr der Hofladen geöffnet. Hier gibt‘s neben dem Bornheimer Rüben-, Apfel- und Birnenkraut auch Vollkornbackmischungen, Hausmacherwurst, Fruchtsäfte, Senf und vieles mehr. Weitere Informationen sind online zu finden unter www.bornheim-kraut.de

Das klingt zwar theoretisch gut, muss aber praktisch auch schmecken! Liesel Hannen nimmt einen verbogenen Teller in die Hand, „damit wurden Proben genommen“, sagt sie. Nur wenn die Qualität stimmte, durfte das Kraut ins Glas. Und auch dabei half sie als Kind oft mit, denn gerade in den 1960ern gab‘s immer viel zu tun. „Damals hatten wir die höchste Produktion in einem Jahr“, erzählt sie. 125 Tonnen Rübenkraut, 50 Tonnen Apfelkraut. „Heute würde man darüber wahrscheinlich lachen.“ Bis 1981 lief die Produktion in der Bornheimer Krautfabrik, doch dann zerstörte ein Feuer das Kesselhaus. Ganz abschließen konnte ihr Vater jedoch nie mit der Fabrik. Bis er 75 Jahre alt war, führte er sie im Nebenerwerb. 2007 übernahm dann die Tochter.

In der ehemaligen Krautfabrik Bornheim in Kamp-Lintfort steht auch noch die alte Tachowaage.
In der ehemaligen Krautfabrik Bornheim in Kamp-Lintfort steht auch noch die alte Tachowaage. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Wie in Omas Stube

Das Rübenkraut lässt Liesel Hannen in einer Fabrik nahe Mönchengladbach produzieren. Aber auch für sie stecken in dem alten Gebäude viel zu viele Erinnerungen, als dass sie es einfach leerstehen lassen könnte. Wobei das mit dem „Leerstehen“ sowieso so eine Sache ist... „Mein Vater konnte nix wegschmeißen“, erzählt sie. Die Abfüllmaschine, das Etikettiergerät, die Tachowaage... ja, selbst das Refraktometer ist noch da. Aus einer „dollen Idee heraus“, so formuliert sie es selbst, hat sie deshalb angefangen, nach dem Tod ihres Vaters aufzuräumen, sauberzumachen, umzudekorieren. Nun kann sie interessierten Menschen durch die verwinkelten Räume führen und dabei die ein oder andere Anekdote von früher erzählen.

Das Beste aber kommt zum Schluss! Es geht zurück in die gute Stube, das Feuer im Kamin lodert immer noch lichterloh, denn gleich klopfen auch schon die ersten Gäste an. „Viele fühlen sich in ihre Kindheit zurückversetzt“, erzählt Liesel Hannen. Hier sieht es eben aus wie in Omas Stube – mit dem alten Radio in der Ecke, den vielen Fotos an der Wand, der weißen Spitzengardine am Fenster... Und natürlich auch mit dem üppig gedeckten Tisch, auf den die 65-Jährige nun prüfend schaut. „Kaffee muss ich gleich noch kochen“, sagt sie dann. Ansonsten ist sogar das Rübenkraut schon geöffnet – die Niederrheinische Kaffeetafel kann beginnen!