Grevenbroich. In der Villa Erckens in Grevenbroich können Besucherinnen und Besucher nach ihrer eigenen, niederrheinischen Seele suchen.
Tief im Inneren muss sie irgendwo sein… die niederrheinische Seele. Bei mir auf jeden Fall, bei Ihnen sicher auch! Doch wo kommt sie her, was macht sie aus, wann zeigt sie sich? Wir begeben uns auf die Suche. Im Museum der Niederrheinischen Seele muss es Antworten auf all die vielen Fragen geben. Thomas Wolff steht bereits im Eingangsbereich der Dauerausstellung, dort, wo aus einem großen O leise Stimmen mantraartig die richtige Aussprache von Grevenbroich wiederholen. „Grewenbrooch, Grewenbrooch, Grewenbrooch.“ Wer das schon vorher wusste, hat den ersten Test bestanden? Nee, keine Sorge! Hier dürfen sogar Leute rein, die weder Altbier mögen noch Hanns Dieter Hüsch kennen. Denn, das erklärt der Leiter: „Wir geben Hinweise und Impulse, aber die Antworten auf Ihre Identität müssen Sie selbst finden.“
Mit einem so philosophischen Satz im Ohr geht’s geradewegs in den ersten Raum. „Eigentlich kann man beliebig einsteigen“, sagt Wolff. „Die Ausstellung ist nicht chronologisch, sondern thematisch aufgebaut.“ Wir starten mit den „Landschaftsbildern“, die sich über die Jahrzehnte und Jahrhunderte am Niederrhein verändert haben. Nicht zuletzt durch den Abbau von Sand, Kies, Braunkohle. Fotos vom alten Otzenrath, das dem Tagebau Garzweiler weichen musste, hängen neben dem neuen Otzenrath, das nun aus erschreckend perfekt aussehenden Einfamilienhäusern besteht. An einer Hauswand im alten Ort hat Wolff ein Graffiti lesen können, daran erinnert er sich noch: „Die Seele bleibt hier.“ Das berührt, lässt nachdenken über die eigene Heimat. Was wäre, wenn plötzlich die Straße, in der ich aufgewachsen bin, im Nichts verschwinden würde?
Typisch Niederrhein: Klatschkies mit Kruk
Erinnerungen an heiße Sommertage im Garten kommen hoch, nur der kleine Apfelbaum mitten auf der Wiese spendete etwas Schatten. Viele Früchte warf der Baum nie ab, dabei ist natürlich auch der Apfel „typisch niederrheinisch“, wie der Raum der „Kostproben“ zeigt. Besonders gut schmeckt der in einer Riemchentorte… mmh… Oder doch lieber als Mus zu Sauerbraten, Kartoffeln und Sauce mit Rosinen? Der Tisch ist reich gedeckt. Ach ja, eine Scheibe Schwarzbrot mit Quark und Rübenkraut darf natürlich auch nicht fehlen. Dass es tatsächlich Leute geben soll, die „Klatschkies mit Kruk“ mit dem Kraut unten und dem Quark oben essen (so steht es zumindest auf der Info-Tafel geschrieben), ist kaum zu glauben. Bei uns war das doch immer anders rum! Genau das aber macht die Ausstellung so spannend, betont Wolff: „Es geht viel um Vergleiche, damit ein Prozess angeregt wird, über die eigene Herkunft nachzudenken.“
Und so vergleichen wir im Raum der „Glaubensfragen“ die katholischen, protestantischen, jüdischen und muslimischen Traditionen miteinander. Stellen fest, dass es natürlich Unterschiede, aber auch viele Gemeinsamkeiten gibt. Wie tolerant ist der Niederrhein? Die Antwort darauf gibt’s natürlich nicht auf einer Werteskala von 1 bis 5 präsentiert, sondern muss selbst gefunden werden. Wie gut, dass es im Raum der „Festspiele“ etwas leichter zugeht. Marschmusik ertönt, dann öffnet sich der Vorhang fürs Schützenfest. Für viele ein Muss, wie auch der entsprechende Dokumentarfilm zeigt. Man darf aber auch schnell weitergehen zum Raum der „Redensarten“ und dem wunderbaren Satz „Maulfaulheit ist kein niederrheinischen Gebrechen“. Nee, es gibt doch durchaus auch Menschen am Niederrhein, die aus dem Reden oder zumindest dem Schreiben kaum herauskommen.
Steffi Neu und Hanns Dieter Hüsch
An der Wand hängt eine Auswahl an Autorinnen und Autoren, darunter Steffi Neu neben ihrem kleinen Buch vom Kindsein am Niederrhein. Und da sind sie wieder, die Erinnerungen an gemütliche Nachmittage in der Küche, in der immer das Radio lief und Steffi Neu gute Laune verbreitete… Hanns Dieter Hüsch und sein schwarzes Schaf vom Niederrhein dürfen natürlich ebenso wenig fehlen wie Siegfried aus dem Nibelungenlied. Und dann kann jeder Besucher, jede Besucherin noch einmal selbst unter Beweis stellen, wie es um seine oder ihre Mundfaulheit tatsächlich bestellt ist. In der niederrheinischen Karaoke-Station darf munter „Op de Kirmes“ oder „Noh de Kirch“ geplappert werden. Was die vorgegebenen Texte genau bedeuten, muss man ja nicht immer verstehen… getreu dem Motto: „Der Niederrheiner weiß nichts, kann aber alles erklären.“
Dann stehen wir wieder am Anfang der Ausstellung, lauschen dem „Grewenbrooch“ und fragen uns: Wodurch definiert sich denn nun die niederrheinische Seele? „Es geht immer um die Menschen, die hier wohnen“, hält Wolff fest. Und die sind ein bisschen melancholisch, aber immer herzlich und humorvoll. So würde er es zusammenfassen. Aber wie schon zu Beginn betont, die vollumfängliche Antwort darauf muss jeder und jede für sich selbst finden. Ich fahre jetzt erstmal nach Hause, backe einen Apfelkuchen und höre Radio. Heute moderiert Steffi Neu.
>>> Villa Erckens in Grevenbroich
Das Museum der Niederrheinischen Seele feiert am 4. März sein zehnjähriges Jubiläum. Es ist untergebracht in der Villa Erckens, die 1887/1888 als Wohnhaus für den Unternehmer Oskar Erckens gebaut wurde. In unmittelbarer Nähe befand sich seine Baumwollspinnerei und -weberei.
Die Dauerausstellung beginnt bereits im Untergeschoss. Hier wird der wirtschaftliche Strukturwandel der Region beleuchtet. Höhepunkt: ein Prototyp der Münzprägepresse, erfunden von Diedrich Uhlhorn in Grevenbroich. Sonderausstellungen und Veranstaltungen finden ebenfalls regelmäßig statt.
Geöffnet ist das Museum, Am Stadtpark in Grevenbroich, mittwochs, donnerstags, samstags und sonntags von 11 bis 17 Uhr sowie freitags von 9 bis 13 Uhr. Führungen nach Vereinbarung. Kontakt: 02181/608656 oder per E-Mai an kontakt@museum-villa-erckens.de. Internet: www.museum-niederrheinische-seele.de